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Industrie 4.0, Microtasking und Loyalität
Interview mit Prof. Dr. habil. Sabine Pfeiffer, Arbeitssoziologin (Universität Hohenheim) über die Zukunft des Arbeitens
Welches sind Ihrer Auffassung nach Elemente, die im Rahmen der Diskussion um die Zukunft der Arbeit auf keinen Fall fehlen dürfen?
Mit welchen technischen Veränderungen wir es im Grundsatz zu tun haben, wissen wir. Genau deswegen müssen im Rahmen der Debatte viel prinzipiellere Punkte geklärt werden. Diese bewegen sich allem voran im Sinne von: Gestalten wir die Arbeit für den Menschen oder ist der Mensch sozusagen eine Restgröße im Rahmen einer Arbeit, die nach den Kriterien der Effizienz und der Profitmaximierung gestaltet wird?
Arbeit kann nicht nur schöpferisch, sondern durchaus auch zerstörerisch sein. In welche Richtung bewegen wir uns derzeit in Bezug auf Letzteres?
Wir wollen, dass alle Menschen, die Produkte brauchen, sie auch bekommen, am besten ganz schnell. Im Moment wird produziert, auch wenn es keine Nachfrage gibt, in der Hoffnung, dass sich schon ein Käufer finden wird. Das heißt, man verbraucht im Endeffekt in jedem Fall ökologische Ressourcen. Die neue Vernetzungslogik könnte aber eigentlich dafür eingesetzt werden, die Umwelt zu schonen. So könnte beispielsweise ein Auto nur dann hergestellt werden, wenn es einen Kunden gibt, der ein bestimmtes Auto mit ganz bestimmten Ausstattungsmerkmalen haben möchte. Das ist auch das, was Industrie 4.0 verspricht, also dass wir immer mehr personalisierte Produkte fertigen können. Die Digitalisierung stellt eine Chance dar, nicht sinnlos fossile Brennstoffe zu verschwenden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Prozesse überwiegend in diese Richtung gestaltet werden, ist im Moment nicht sonderlich groß.
Es besteht die weitverbreitete Annahme, die Arbeit hochqualifizierter Menschen sei schwerer wegzurationalisieren als jene von weniger qualifiziertem Personal. Trifft dies in Zeiten hochintelligenter Algorithmen wirklich zu?
Es ist durchaus problematisch, mit so pauschalen Unterstellungen an diese Thematik heranzutreten. Man muss sich die diversen Tätigkeiten schon genauer anschauen. Es muss beachtet werden, wie viel jeweils ohnehin schon standardisiert wurde und wie viele Schritte es noch braucht, um das letzte bisschen Standardisierung auch noch durchzusetzen. Gerade im Angestelltenbereich wird es diesbezüglich in den nächsten Jahren noch viel Bewegung geben. Wenn man sich beispielsweise die großen Automobilkonzerne anschaut, sieht man auf dem Shopfloor, dass quasi jeder Schritt schon automatisiert wurde, der technisch machbar ist. Ebenso gestaltet sich dies für das Personal, das beispielsweise am Bankschalter steht. Hier gibt es kaum mehr autonomen Handlungsspielraum, wenn da ein Kunde kommt und fragt, ob er einen Kredit für ein Auto haben kann. Denn der Bankangestellte stellt eigentlich nur noch die Fragen, die das IT System vorgibt. Diese Arbeit ist schon so standardisiert, dass der letzte Schritt, diesen Menschen, der eigentlich nur das Sprachrohr zwischen der Technik und dem Kunden ist, eben auch noch wegzurationalisieren, nicht so weit entfernt scheint. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die IT-Technik noch viel wegrationalisieren wird in den nächsten Jahren, da braucht es nicht unbedingt intelligente Algorithmen für, sondern die jetzige Informatisierung wird lediglich einige Schritte weitergetrieben.
In welchem Verhältnis zueinander werden die Arbeit im sozialen Bereich und die Robotik stehen?
Ich würde schon mal davon ausgehen, dass noch viel Zeit ins Land ziehen wird, bis Roboter den Anforderungen in z.B. einem komplexen Altenpflegesetting entsprechen können. Dort hat man es ja hauptsächlich mit Menschen zu tun, die ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, die sich zudem täglich ändern können. Es gibt keine statischen Krankheitsbilder. Wir können jedoch die neuen Digitalisierungsschübe dazu nutzen, das Fachpersonal in diesen Einrichtungen stärker zu entlasten. Diese berichten in den letzten Jahren von immer mehr Dokumentationsaufwand und immer weniger Zeit für den Patienten. Es könnte endlich intelligentere IT-Technik entwickelt werden, denn die Tools dafür sind alle vorhanden. Die Entscheidung, dies zu tun, würde in die Richtung gehen, dass das Fachpersonal nicht ersetzt, sondern unterstützt wird.
Sie berichteten in einem Ihrer Vorträge von Arbeitern, die in Werken 20 bis 30 mal während einer Schicht eingreifen müssen, um Fehler von Robotern zu verhindern. Was bedeutet dies auf der Ebene der Arbeitsorganisation?
Das Problem ist, dass diese Eingriffe nicht sichtbar sind, weil diese Arbeiter gut „funktionieren“. Denn, wenn sie nicht eingreifen würden, würde die Produktion weitaus häufiger am Tag stehen bleiben, was natürlich große Kosten produzieren würde. Erst dann würde man auf die Problematik aufmerksam werden. So scheint alles reibungslos zu laufen und man fragt sich, warum es die paar Menschen, die da noch rumlaufen, überhaupt braucht. Das ist in dem Sinne problematisch, als dass die Menschen, die letztlich darüber entscheiden, welche Technik eingesetzt wird, sich aus unterschiedlichen Gründen nicht die Mühe machen, die Arbeitsplätze der Menschen, für die sie sie gestalten, wirklich zu verstehen. Die Chefetage unterschätzt die Komplexität des Arbeitsfeldes der „einfachen Arbeiter“ in der Produktion auch deswegen, weil sie viel zu weit davon weg ist. Bei manchen Besichtigungen bietet sich diesbezüglich ein interessantes Schauspiel: Jemand aus der Vorstandsetage bewegt sich einmal in die „Niederungen“ der Produktion. Er rauscht hindurch, im Voraus ist festgelegt, an welchen drei Stellen er kurz stehen bleibt und mit einem Arbeiter spricht. Meist ist dann auch ein Fotograf dabei, der diesen „historischen Moment“ festhält. Das Vorstandsmitglied denkt sich dann natürlich, dass sich die Arbeit, die er in diesen zwei Minuten wahrnimmt, auch wirklich so präsentiert.
Ebenso schwierig kann es sich bei Technikentwicklern gestalten, die sich manchmal schwer damit tun, die Grenzen der Technik zu beachten, und nicht nah genug am späteren Nutzern dran sind. Sie stellen sich oft den einzelnen Menschen vor, der mit der Technik isoliert arbeitet, aber wenn ihre Entwicklung dann im reellen Arbeitskontext den Arbeitsabläufen und der Organisation Stand halten soll, funktioniert sie nicht, wie sie soll. Deswegen besteht die Gefahr, dass wir die Randbedingungen und die wirkliche Komplexität unterschätzen. Wenn so Technik gestaltet wird, dann wird man sich noch viele blutige Nasen holen.
Welche Rolle wird die Interdisziplinarität in der Zukunft spielen?
Sie wird auf jeden Fall zunehmen. Ich schließe gerade eine Studie im Bereich des Maschinenbaus ab, in der es um die Frage geht, was Interdisziplinarität für die Qualifizierung bedeutet. Alle sind sich einig, dass mehr Interdisziplinarität benötigt wird, aber stellt man dann die Frage, was Interdisziplinarität eigentlich bedeutet, so scheint es oft, dass eher eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Hochqualifizierten, die einen akademischen Abschluss haben, aber aus verschiedenen Fachrichtungen kommen, gemeint ist. Wir bräuchten aber eigentlich eine Art „Transdisziplinarität“. Also auch die Zusammenarbeit über Hierachiegrenzen z.B. zwischen den Automatisierungsentwicklern und den später daran arbeitenden Beschäftigten.
Werden sich Arbeitskulturen durch immer häufiger auftretende Fusionen und Einverleibungen von lokalen Unternehmen durch globale Konzerne, stärker vermischen oder eher verschwinden?
Es gibt Studien, die zeigen, dass die Logik der globalen Konzerne in den Ländern, in denen sie Unternehmen aufkaufen, sehr wirkmächtig wird. Wenn man genauer hinschaut, wird man sehen, dass die Menschen, die dort arbeiten, trotzdem versuchen, die bestehende Arbeitskultur aufrecht zu erhalten. Dies ist wahnsinnig schwer und verursacht zusätzliche Arbeit, weil die Mitarbeiter vor sehr widersprüchlichen Anforderungen stehen. Leider geht sehr viel verloren, was letztendlich möglicherweise auch für den Konzern ein Verlust ist. Nicht zuletzt auch, weil die globalen Arbeitskulturen oft die Frage danach, welche Produkte für den jeweiligen Markt eigentlich wichtig sind, selbst weniger gut beantworten können. Leider gehen viele davon aus, man müsse stärker in das Marketing investieren. Dabei könnte die lokale Arbeitskultur viel mehr dabei helfen, besser zu verstehen was die Kunden der lokalen Märkte wirklich brauchen.
Nach außen hin präsentieren sich vor allem junge Unternehmen locker. Werden Hierarchien am Arbeitsplatz in Zukunft eine weniger große Rolle spielen?
Die vordergründige Lockerheit, also dass man sich duzt, legerer kleidet, statt sich im dunklen Anzug zu präsentieren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir von Erwerbsorganisation sprechen. Diese Unternehmen sind immer konkurrenz-orientiert. Außer man entscheidet sich in Bezug auf die Rechtsform für ein grundsätzlich anderes Modell und die Mitarbeiter sind beispielsweise Mitglieder einer Genossenschaft. Dann haben wir es mit einer anderen Form von Mitsprache und einer formal anderen Struktur zu tun. Das ist in den seltensten Fällen der Fall. Meist ist man eine GmbH oder AG. Bei neu gegründeten Unternehmen hat man es nicht selten mit scheinbar informellen Herrschaftsstrukturen zu tun. Diese wirken so, als gäbe es keine Herrschaft, aber letztlich werden die Kämpfe um Macht nur weniger offen, also entsprechend versteckter oder gar intriganter ausgefochten. Somit gestaltet sich das Ganze eigentlich schädigender für einzelne Menschen als wenn man eine klare Hierarchie hat und beispielsweise ein Leitungsposten frei wird. In dem Fall weiß man, welche Mitarbeiter sich auf diesen bewerben und ein vertrautes Verfahren durchlaufen werden.
Wird die Herrschaft irgendwann ganz ausbleiben?
Wir haben letzten Endes eine neue Herrschaftsform, die sich nicht mehr an Führungskraft und Hierarchie festmacht, sondern es entsteht über IT ganz viel Kontrolle über Arbeit, da beispielsweise über technische Wege festgehalten wird, wer wie oft die Deadline des Projektes schafft oder nicht. Alles wird transparenter. Zudem ist es vor allem bei Start-ups so, dass die Geldgeber, also die Venture Capitalists eine echte Herrschaft ausüben können, weil sie die Entwicklung durch ihre Investitionen beeinflussen. Das ist also die direkteste Form von Herrschaft, die man sich vorstellen kann. Herrschaft bleibt nicht einfach aus. Will man an Herrschaftsstrukturen etwas ändern, muss man diese bewusst verändern wollen.
Es ist längst nicht mehr so, dass ein Arbeitnehmer sein Leben lang bei einem einzigen Arbeitgeber bleibt. Die Tendenz geht eher Richtung Lebensabschnittspartner. Welche Rolle spielt hierbei die Loyalität?
Durch diese Arbeitsformen verstärkt sich der Prozess der Individualisierung noch weiter, speziell in Bereichen wie dem Crowdworking und Microtasking. Bei Letzterem wird der Auftraggeber sozusagen minütlich gewechselt. Wenn wir uns vorstellen würden, dass Arbeit sich ausschließlich in diese Richtung entwickelt, dann gäbe es irgendwann kaum mehr Beschäftigungsverhältnisse mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern wir wären alle völlig freigesetzt, also auch Lohnarbeit wäre endgültig freigesetzt. Wir wären also alle selbstständig und würden uns permanent auf elektronischem Wege Aufträge suchen. Vorstellen kann man sich das schon, ob dies jedoch ein effizientes Modell darstellt, ist eine andere Frage.
Große Firmen werden immer austauschbarer und gleichförmiger, insofern ist es auch logisch, dass Beschäftigte keine oder nicht mehr so eine starke Bindung haben zum Unternehmen oder zur Unternehmenskultur. Eine starke Loyalität entsteht dann, wenn es auch umgekehrt zumindest eine gefühlte Loyalität gibt. Wenn also der Eindruck entsteht, nicht nur eine Nummer zu sein und dass der eigene Arbeitsplatz nicht immer zur Disposition steht. Die Wirtschaft sagt seit 20 Jahren zum Beschäftigten: „Du musst wie ein Unternehmer denken, du muss ständig darüber nachdenken, ob das, was du tust, sich auch rechnet“. Dann ist es doch nur logisch, dass der Beschäftigte sich sagt: „Dann achte ich jetzt verstärkt auf den Kosten-Nutzen-Faktor und wenn ich das Gefühl habe, in einem anderen Unternehmen würde mir mehr geboten, dann gehe ich dorthin, weil es hier nichts Besonderes gibt, das mich hält.“ Das ist ein Problem, das sich gerade die großen Unternehmen selbst geschaffen haben und auch jetzt schon spüren. Natürlich versuchen sie, durch Geschenke, Workshops oder Events Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen, aber damit kann man Vertrauen nicht erzeugen, das man anderweitig verspielt hat…
Besteht in der Zukunft das Risiko eines neuen Maschinensturms?
Die historischen Maschinenstürmer hatten nichts gegen Maschinen, sondern gegen deren soziale Folgen. Wenn wir Technologien schaffen, die nicht gut sind für Menschen und Gesellschaft, dann wird das Folgen haben. . Hier spielen die Formen der Mitbestimmung eine wichtige Rolle. Wie dies sich jedoch künftig gestalten wird, ist angesichts von Situationen wie jener, die wir derzeit z.B. mit TTIP erleben, überhaupt nicht klar. Zumindest in Deutschland haben wir „Inseln“ in der Wirtschaftslandschaft, die eine starke Mitbestimmung leben und durchsetzungsfähige Betriebsräte haben. Aber es gibt auch jetzt schon große Bereiche und Branchen, in denen kaum gewerkschaftliche Organisation oder Betriebsräte existieren und deren Gründung sogar von Konzernen torpediert wird. Wenn wir innerhalb der Gesellschaft keine Möglichkeiten finden, in ziviler Form auszuhandeln, wo es hingehen soll, dann kann man sich durchaus vorstellen, dass es irgendwann wieder größeren Unmut geben könnte.
Wird der Glaube noch eine Rolle spielen in der Arbeitswelt?
Ich kann diese Frage nicht aus soziologischer Perspektive beantworten, da es sich dabei nicht um mein Fachgebiet handelt.Aber ich halte es für äußerst interessant, dass in einer Zeit, in der wir es mit der bereits erwähnten Individualisierung zu tun haben, auch eine Unmenge an esoterischen Richtungen einen Aufschwung erleben. Diese können die Bedürfnisse Vieler scheinbar besser bedienen, als dies bei den eher klassischen Religionen der Fall ist.
Wie sieht der zukünftige Arbeitsbegriff aus? Oder brauchen wir keinen mehr, da uns das Ende der neuen Arbeit bevorsteht?
Eine menschliche Gesellschaft, in der Arbeit keine Rolle spielt, ist schwer vorstellbar. Ich halte es da eher mit der Sichtweise Hegels, in der Arbeit sehr ontologisch begriffen wird, also in der der Mensch die Welt bearbeiten muss, damit er überhaupt überleben kann. Er ist existentiell auf die Bearbeitung seines Umfeldes angewiesen und entwickelt eben darüber sein Bewusstsein. Er nimmt sich als durch die Objektivierung der Welt, selbst als Subjekt überhaupt wahr. Dieses Element wird sich sicherlich sehr verändern, aber es wird letztlich immer eine Rolle spielen, weil wir sonst aufhören würden, Mensch zu sein. Weiterentwicklung von Kreativität geht nur in Auseinandersetzung mit der Welt. Und das ist Arbeit. Ob das nun Erwerbs- oder Lohnarbeit sein muss, also Arbeit in einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft ist oder ob irgendwann auch mal andere Modelle unter diesen Begriff fallen, das ist noch nicht gesagt. Welche Verfasstheit wir Arbeit geben wollen, also in welchen Formen wir Arbeit belohnen, sanktionieren, kontrollieren, organisieren und gestalten, vor allem aber nach welchen Werten und Kriterien wir das tun, das liegt an uns. Und da wird es viel Bewegung geben – in welche Richtung, das müssen wir aushandeln.
Danke für das Gespräch!
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