- Philosophie, Religion
Ein Teeist und ein Ateeist gehen in eine Bar
Liegt die Beweislast bei den Religionen?
Mein Nachbar ist ein komischer Kauz. Er ist bekennender Teeist. Fest glaubt er daran, dass zwischen unserem Planeten und dem Mars eine kleine Teekanne aus weißem Porzellan elliptisch um die Sonne kreist. Ob er die Teekanne denn schon mal gesehen habe, frage ich ihn. Nein, entgegnet er, sie sei so klein, dass kein menschengemachtes Teleskop, nicht einmal das leistungsfähigste aller leistungsfähigsten, sie bislang vor die Linse holen konnte. So nimmt er das Argument vorweg, nach dem nur das, was sinnlich erfassbar ist, tatsächlich als wirklich erkannt werden könnte.
Doch wenn niemand die Kanne bislang gesehen hat, wie kann denn behauptet werden, dass sie existiere? Warum nehmen gar ganze Scharen von Leuten, sogenannte Teeisten, die Existenz dieser Teekanne als heilige Wahrheit an, versammeln sich wöchentlich und preisen den Pott?
Nun, sagt mein Nachbar, es gibt keine guten Argumente dafür, dass die Teekanne nicht existiert, sodass es, wegen des Fehlens solcher Argumente, Unsinn sei, ihre Existenz anzuzweifeln. In dem Sinne fordert er, dass, wenn ich weiterhin den Finger drohend erhebe und den Dogmatismus dieser Annahme anzukreiden gedenke, ich doch zunächst mit Beweisen ankommen müsste, um die Existenz der Kanne zu widerlegen.
Entgeistert entgegne ich: „Besteht der Unsinn nicht gar darin, zu behaupten, dass etwas so wäre, bis man das Gegenteil beweisen könne?“ Dann läge die Beweislast bei den Skeptikern, sodass nahezu alle wissenschaftlichen Absurditäten, wie etwa das Spaghettimonster oder rosa Einhörner, tatsächlich existierten, sie sich eben nur nicht zeigten. Ja, meint mein teeistischer Nachbar, es steht sogar in antiken Büchern geschrieben, dass es die Teekanne wirklich gibt, und dass sie in ihrer Barmherzigkeit im Winter allen frommen, doch fröstelnden Erdenbürgern gnädig Kamillentee ausschenkte. Sogar in der Schule gäbe es Teekannenologie, es könne also gar nicht anders sein, als dass es die Kanne wirklich gibt.
Dann läge die Beweislast bei den Skeptikern, sodass nahezu alle wissenschaftlichen Absurditäten, wie etwa das Spaghettimonster oder rosa Einhörner, tatsächlich existierten, sie sich eben nur nicht zeigten.
Sie ahnen es, dieses Gespräch hat so nicht stattgefunden. Viel eher ist dies die vereinfachte Version des Teekannen-Gedankenexperiments des britischen Philosophen Bertrand Russell (1872-1970), der unter anderem in seinem 1952 als Nachschrift publizierten Artikel „Is there a God?“ ausführt, dass derjenige, der eine Behauptung äußert, auch die Beweislast dieser trägt und dass es nicht an der Wissenschaft ist, zunächst die Wahrscheinlichkeit dieser Aussage zu widerlegen, um ihr dann erst die Sinnhaftigkeit absprechen zu können. Ansonsten würde jede bizarre Annahme, und es gibt deren ja unzählige, apriorisch als wahrheitsgemäß gehandelt werden müssen, bevor sie dann als Humbug enttarnt würde. Einfach zu behaupten, dass etwas so sei, weil kein Beweis angeführt werden kann, dass es nicht so sei, reicht demnach nicht aus, um dieser Behauptung einen Wahrheitsgehalt zuzusprechen.
Russels Argument kreidet somit die Ansprüche aller Religionen an, die an die Existenz des übermächtigen Jemand oder Etwas glauben, ohne dafür handfeste Beweise anführen zu können. Auch das Jahrtausende andauernde Predigen und Huldigen stellt keine ausreichende Rechtfertigung dar. Da jede Religion zudem die eigene Teekanne für die einzig wahre hält, ergibt sich ein Sammelsurium an Behauptungen, die religionsintern teilweise noch in eigene Abspaltungen aufgeteilt sind, sodass mit selbstausgewiesenen Wahrheiten nur so jongliert wird. Dabei wird von der einen Religion auch erkannt, dass die andere Religion absurde Hypothesen anführt. Dem zum Trotz belegen Geschichte und Alltag jedoch, dass die Vehemenz der Verfechter in vielen Fällen gar Krieg, Verfolgung und/oder Tod initiiert.
Es gibt aber keine Phänomene, die als Wirkung des übersinnlichen und ursächlichen Gottvaters bewiesen werden können. Dem Kreationismus stehen Darwin und die Astrophysiker entgegen, auch wenn in einigen Gegenden dies als der eigentliche Humbug gehandelt wird. Doch wenn es einfache wissenschaftliche Erklärungen wie physikalische Gesetzmäßigkeiten gibt, warum sollte dann etwa eine erzürnte Gottheit für Naturkatastrophen verantwortlich sein?

© Carlo SchmitzDie Frage ist nun: Warum an Gott glauben, wenn es keine belegenden Gründe dafür gibt? Dann könnte ich auch an das Einhorn, die Teekanne oder gar das Spaghettimonster glauben! Dem Agnostizismus gemäß wäre zu sagen, wir können nicht wissen, ob Gott existiert oder nicht, die Diskussion ist demnach für uns gegenstandslos. Russell geht dies aber nicht weit genug und bereitet dem Atheismus, der Absage an den Glauben, den Weg: „Meine Schlussfolgerung ist, dass es keinen Grund gibt, an die Dogmen der traditionellen Theologie zu glauben, und dass es auch keinen Grund gibt, sich zu wünschen, dass sie wahr wären. Der Mensch ist, soweit er nicht den Naturkräften unterworfen ist, frei, sein eigenes Schicksal zu gestalten. Er trägt die Verantwortung und hat auch die Möglichkeit dazu.“ [Meine Übersetzung, N. S.].
Die Beweislast bei Glaubensbehauptungen bleibt dabei nicht bloß eine Frage der empirischen Beweisführung, sondern muss auch die persönliche Verantwortung des Einzelnen umfassen, den eigenen Glauben zu reflektieren – und seine Sinnhaftigkeit darzulegen.
Kant und die moralische Dimension
Ich weiß, Sie erwarten Ihn auch schon sehnsüchtig. Vorhang auf, Eintritt Immanuel Kant. Kant publizierte für seine Zeit (18. Jahrhundert) gewagte, jedoch überzeugende Reflexionen zur Unmöglichkeit eines theoretischen Gottesbeweises. Er adressiert des Weiteren eine unterschiedliche Dimension der Frage, nämlich die moralisch-praktische, und erweitert so die Diskussion um die Bewertung des Glaubens an Gottes Existenz: Obschon Gottes Existenz nicht bewiesen werden kann, ist es dennoch nicht unvernünftig, an einen Gott zu glauben.
Nun stellt Kant dem scheinbaren Dilemma um die theoretische Beweislast folgende Argumentation gegenüber: Nach Kant begehen wir in unserem Denken genau dann einen Fehler, wenn wir vergessen, dass menschliche Erkenntnis (also Aussagen mit Wahrheitsgehalt) stets aus zwei Quellen erfolgen muss: aus der Sinnlichkeit (Erfahrungen, Eindrücke, Wahrnehmungen) und aus dem Intellekt (Begriffe, Zusammenhänge, Kategorien), der das Erfahrene in ein großes Ganzes einordnet. Erst, wenn diese Kombination besteht, können wir sagen, dass etwas (für uns) „wahr“ ist: ein Gegenstand, der objektiv erkannt werden kann.
Wer nun meint, eine bloße Idee wäre wahr, der „hält“ sie zwar für wahr, hat aber keine guten objektiven Gründe (etwa handfeste Eindrücke) hierfür. Ein Beweis braucht eine sinnlich-erfahrbare Quelle. Dies kann ein übersinnliches Wesen jedoch kaum leisten, denn ein Gott ist ja kein Erdenwesen, dem man einfach mal so begegnen kann. Das Supranatürliche entzieht sich also der Vergegenständlichung. Demzufolge kann in Bezug darauf kein Wahrheitsanspruch erhoben werden. Die negative Behauptung, dass Gott nicht existiert, ist demnach ebenso wenig beweisbar, wie die positive. Nichtsdestotrotz kann man Gott aber immer noch … denken!
Die negative Behauptung, dass Gott nicht existiert, ist demnach ebenso wenig beweisbar, wie die positive. Nichtsdestotrotz kann man Gott aber immer noch … denken!
Nun fragt Kant sich: Dürfen wir denn auch hoffen, dass es einen Gott gibt? Für ihn gilt: Wenn ich annehme, dass es ein Absolutes (Höchstes) Gut geben muss, das Sittlichkeit und Glückseligkeit für jedes Wesen der Welt darstellt, dann darf ich auch hoffen (daran glauben), dass es einen Gott gibt; einen Gott, der (unter anderem) dieses Ideal der Sittlichkeit realisiert darstellt. Dank dieser gedanklichen Richtschnur fällt es mir so vielleicht leichter, dem moralischen Ideal, dem Höchsten Gut auf Erden, entgegenzustreben; also mich moralisch gut zu verhalten.
Moralischer Aufguss: Rationalität und Freiheit mit einem Schuss Glauben
Genauso wie Russell erteilt Kant so dogmatischen Doktrinen, die mit Ach und Krach versuchen, „ihren“ Gott als den einzig wahren zu propagieren, eine Absage. Wir sehen hier eine Verfechtung des moralischen Glaubens, der, ganz im Sinne von Russell, darauf hinweist, dass es dabei immer noch unsere Ideen sind, die unsere Lebenswelt gestalten; dass wir dies beeinflussen und es uns frei ist, nach welchen Ideen wir versuchen, das Gute zu realisieren.
Eins dürfen wir dabei aber nie vergessen: auch wenn wir unsere Ideen für wahr halten, sind sie es nie wirklich. Wir können die Welt so denken, als habe sie ihren Ursprung in der kreativen Vernunft eines Gottes. Aber beweisen können wir dies noch immer nicht, im „als ob“ bewegen wir uns in der gewählten Fiktion – nicht in dem, was unsere Lebenswelt objektiv ausmacht. Aber es spricht nichts dagegen, uns Orientierungspunkte zu geben, die uns helfen, unserer Verantwortung, die uns als Wesen dieser Welt nun mal zugesprochen wurde, nachzukommen. Die Freiheit besteht nun darin, dass wir diese Orientierung selbst gestalten können – ohne auf externe Doktrinen angewiesen zu sein: Die Beweislast wird so nicht nur zu einer Frage der Argumentation, sondern zu einer Frage der persönlichen Integrität und moralischen Verantwortung.
Russell und Kant kritisieren auf ihre Weise eine unkritische Religiosität, doch während Russell auf die Rationalität der Wissenschaft besteht, öffnet Kant den Raum für eine rationale Moralität, die durch den Glauben ergänzt wird. Die Diskussion um Religion kann nicht einfach auf empirische Beweise reduziert werden, sondern muss auch Fragen der Ethik, Hoffnung und menschlichen Vernunft adressieren: Wann macht „Gott“ Sinn? Die Akzeptanz oder Ablehnung des Gottesglaubens muss sich dabei auf rationale Überlegungen stützen. Darauf dann erst mal einen Tee!
Nora Schleich ist in der Philosophievermittlung tätig. Nachdem sie in Mainz zu Immanuel Kant promovierte, arbeitet sie freiberuflich in Luxemburg. Sie beschäftigt sich mit Fragen zu Kultur und Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Wissenschaft und interessiert sich für die existenziellen Probleme und Phänomene, die sich aus dem Verhältnis zwischen Mensch und Lebenswelt ergeben.
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