forum_C: TV-TIPP: „Eines Menschen Charakter ist sein Schicksal“ – „High Noon“ von Fred Zinnemann

10.09.2017 | 01:20 Uhr rbb Fernsehen

15.09.2017 | 12:40 Uhr MDR

16.09.2017 | 05:50 Uhr MDR

Das offenkundige Interesse des Regisseurs Fred Zinnemann für Menschen in Extremsituationen, das auf einen Satz von Robert Louis Stevenson zurückgeht – „Eines Menschen Charakter ist sein Schicksal“ – ist für seinen Westernklassiker High Noon von 1952 vielsagend.

Will Kane hat in der Quäkerin Amy die Frau fürs Leben gefunden. Er will ihr zuliebe seine Funktion als Marshall der Stadt Hadleyville aufgeben, sein Nachfolger soll bereits am kommenden Tag eintreffen und an seiner statt für Recht und Ordnung sorgen.

Nach der Hochzeit wollen Will und Amy die Stadt verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Doch da erhält Will unerwartet Nachricht, dass der Mörder Frank Miller, den Will vor fünf Jahren verhaftete, mit dem Zwölf-Uhr-Zug auf dem Weg in die Stadt ist, um die offene Rechnung zu begleichen.

Die Figurenkonstellation, die Handlungsstruktur, die äußere Form sprechen dafür, den Film als klassischen Hollywoodwestern einzustufen, dennoch unternimmt er an mehreren Stellen Abweichungen vom etablierten Muster: Kane sucht nach Hilfe, doch seine Mitbürger verweigern sich ihm, wollen ihr Leben nicht riskieren. Kane ist auf sich alleine gestellt, der Leitgedanke des Westerngenres somit zumindest bei oberflächlicher Betrachtung bestätigt. Zu bedenken gilt allerdings, dass Kane nicht – wie es sonst für den Westernhelden üblich ist – von sich aus einsam ist, sondern erst durch seinen Akt der Solidarität zum Außenseiter wird; hier weicht der Film folglich von der Konvention ab. Die emotionale Kälte, die Wortkargheit, die sonst so typisch für den Westernhelden sind, sucht man bei Kane ebenfalls vergebens. Er spricht über seine Ängste, fertigt sein Testament an und zeigt auch Emotionen, ja er ist sogar den Tränen nah. Hatte der Westernheld in den Filmen der 20er und 30er, die um den Gründungsmythos kreisten, noch eine gesellschaftsstabilisierende und ordnungsstiftende Funktion, so scheint dieses Bild nunmehr obsolet; der Film signalisiert deutlich, dass es für den ohnehin alternden Kane freilich kein Platz mehr gibt in dieser Gesellschaft des Übergangs.

Mehrere Uhren im Film signalisieren unentwegt, dass es auf die Mittagsstunde zugeht, mit seiner Laufzeit von 85 Minuten spielt sich die Filmerzählung fast in Echtzeit ab und verleiht dem Film eine dramatische Konzentration. Wills Pflichtbewusstsein ist es, das ihn den Kampf gegen Miller antreten lässt – und dies obschon er nicht mehr im Amt ist.

Es sind diese Innovationserscheinungen, die aus High Noon einen besonderen Western machen, einen, dem man gern eine latent angelegte Botschaft zugesteht und so einen Deutungsspielraum eröffnet, der nach Interpretationen verlangt. Die zentralen Konfliktlinien des Films sind unverkennbar: Es geht um Integrität, Gewissenhaftigkeit, Würde, Verpflichtung und Gemeinwohl einerseits; um Fragen der Feigheit, Opportunismus und Eigennutz andererseits. Oft wird der Film auch als versteckte Allegorie auf das innerpolitische Klima von Angst und Verdächtigungen, das die McCarthy-Ära prägte, gelesen. Scharfe Kritik an der teils widerrechtlichen Politik Joseph McCarthys übt der Film bezeichnenderweise in der Szene in der der Richter die Zeichen der amerikanischen Rechtsstaatlichkeit wie die Fahne, die Waage und das Gesetzbuch ablegt, daraufhin Kane über die Manipulierbarkeit der Massen unterrichtet und schließlich Hadleyville verlässt.

High Noon war für sieben Oscars nominiert, ausgezeichnet wurden schließlich Gary Cooper als bester Darsteller, Dimitri Tiomkin und Ned Washington für den Song Do Not Forsake Me, oh My Darlin, Tiomkin für die Musik, Elmo Williams und Harry Gerstad für den Schnitt. Interessant ist in genreevolutionärer Hinsicht vor allem auch, wie sich der italienische Filmregisseur Sergio Leone mit der Anfangsszene seines Italowesterns C’era una volta il West (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) geradezu in einem Gestus postmoderner Ironie auf High Noon bezieht, das Genre mithin weiterführt.

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