forum_C: Die Erinnerungen des K. ━ „Blade Runner 2049“ von Denis Villeneuve

Ridley Scotts Blade Runner (1982) beginnt mit einer Sequenz, die Filmgeschichte schrieb. Los Angeles, 2019: Die übervölkerte Metropolis ist durchtränkt von Nebel und Regen. Zu den sphärischen Synthesizerklängen von Vangelis schwebt die Kamera langsam über die nächtliche Stadtlandschaft, die beherrscht ist von Häuserschluchten, grellen Werbetafeln und Neonzeichen, Lichtern und Feuer speienden Industriekaminen, und steuert schließlich auf die gigantomanische Tyrell-Pyramide zu, die furchteinflößend über der Stadt thront ⎼ all dies spiegelt sich in der Iris eines Mannes. Mit Blade Runner drehte Scott einen der einflussreichsten Science-Fiction-Filme der jüngeren Kinogeschichte, einen dystopischen Film noir, der die Essenz des Cyberpunk konzentrierte und unzählige ähnlich pessimistische Zukunftsvisionen inspirierte. Aktuell läuft im Kino das Sequel Blade Runner 2049 (2017), entstanden unter der Regie des Kanadiers Denis Villeneuve (u.a. Sicario, 2015 und Arrival, 2016), das gleichzeitig eine Verneigung vor und Weiterentwicklung des Originals ist.

Basierend auf dem Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968, Philip K. Dick) entwarf Scott in Blade Runner die Zukunftsvision von einer geteilten Gesellschaft ⎼ hier die Herrschenden, die in absurden Großbauten leben und brüten, dort die Unterprivilegierten, die sich in den endlosen, schmutzigen Gassen der Megastadt tummeln. In dieser Gesellschaftsordnung erledigen Replikanten ⎼ synthetische Menschen mit erweiterten Fähigkeiten, aber auch mit implantierten Gefühlen und künstlichen Erinnerungen ⎼ die Sklavenarbeit auf kolonisierten Planeten. Als einige Replikanten der hochentwickelten Nexus-6-Serie rebellieren, Menschen töten und auf die Erde fliehen, wird der versoffene, zynische Blade Runner Deckard (Harrison Ford) eingeschaltet, um die Abtrünnigen zu jagen und auszuschalten. Er verliebt sich bei seinen Ermittlungen in Rachael (Sean Young), die eine Replikantin ist, ohne es selbst zu wissen, da ihr Erinnerungen implantiert wurden. Beide beschließen aus ihrer Welt auszubrechen und zu fliehen, und je nach Version (Scott schnitt den Film mehrmals um) bleibt offen, ob ihnen diese Flucht gelingt. Neben den sphärischen Klangteppichen und dem wegweisenden visuellen Stil sorgten auch die philosophischen Aspekte der Erzählung ⎼ Ist die Existenz von Replikanten lebenswert? Ist Deckard etwa selbst unwissentlich ein Replikant? ⎼ für viele Diskussionen und dafür, dass sich Blade Runner über die Jahre zu einem regelrechten Kultfilm entwickelte.

Man sollte den Originalfilm zumindest vor Augen haben bevor man das 163minütige Sequel sichtet, denn Blade Runner 2049 knüpft in vielerlei Hinsicht direkt an den Vorgängerfilm an, zitiert diesen und greift alte Handlungsstränge wieder auf, um sie weiter zu erzählen.

(c) Warner Bros. Pictures

Auch Blade Runner 2049 beginnt mit der Großaufnahme einer Iris, die auf eine dystopische Welt blickt, das Kalifornien des Jahres 2049. Doch die Welt ist noch fahler geworden, kälter, trostloser: Das Ökosystem ist kollabiert, reale Tiere und Pflanzen existieren nicht mehr; ein universaler Stromausfall hat sämtliche elektronische Daten, und damit auch den größten Teil des kollektiven Gedächtnisses der Menschheit, gelöscht. Der Blade Runner K (gewohnt stoisch, müde und melancholisch: Ryan Gosling) steuert den Wohnsitz des unbescholtenen Proteinfarmers Sapper Morton (Dave Bautista) an, einem älteren Nexus-8-Modell, die nach wie vor eliminiert werden, da sie angeblich zu rebellischen Impulsen neigen. “You’ve never seen a miracle”, entgegnet der Farmer dem Blade Runner, also seinesgleichen, bevor er sich schlagkräftig gegen seine Eliminierung zur Wehr setzt.

Die Welt in Blade Runner 2049 ist eine konsequente Weiterentwicklung des Originals: L.A. wirkt inzwischen noch enger und zugebauter, die grell leuchtenden Werbetafeln verschwinden zwischen den Hochhausschluchten. Von Zeit zu Zeit regnet oder schneit es, riesige Hologramme von russischen Balletttänzerinnen werden auf die Straßen zwischen die Passanten projiziert, Prostituierte tummeln sich zwischen Imbissbuden. Omnipräsent ist auch wieder die lockende Aussicht auf einen Ausbruch in die Off-World-Kolonien ⎼ doch wer jetzt noch in dieser Welt lebt, gehört endgültig zu den Unterprivilegierten, den Menschen zweiter Klasse, die gar nicht mehr aus ihrem beschränkten Handlungsspielraum ausbrechen können.

Wie im Originalfilm stößt K bei der Untersuchung von Mortons Farm eher zufällig auf ein Geheimnis, das ihn nicht nur vom Jäger zum Gejagten werden lässt, sondern das auch das Potential hat, das gesellschaftliche System zum Zusammensturz bringen zu können . Villeneuve inszeniert diese Detektivgeschichte auch als Sinn- und Identitätssuche Ks, der sich, wie sein Namensvetter in Kafkas Schloss (1926) ständig im Kreis dreht, und sich seiner eigenen Rolle und Funktion im großen Ganzen nur allmählich bewusst wird. Villeneuve lässt Figuren aus dem Originalfilm wieder auftauchen ⎼ darunter Deckard (Harrison Ford) und Gaff (Edward James Olmos), den Ermittler mit einem Faible für Origami-Figuren ⎼, dehnt den Handlungsraum aber auch in atemberaubenden Farbwelten weit über L.A. hinaus: San Diego ist eine einzige Müllhalde, Las Vegas eine radioaktiv verseuchte, in Sand gehüllte Geisterstadt, in der die Idole von einst als zuckende Hologramme weiterleben.

(c) Warner Bros. Pictures

Hervorstechend in seiner Gigantomanie ist abermals das Gebäude des Industriellen Niander Wallace (Jared Leto), der die Tyrell-Corporation übernommen hat und damit begann, neue Replikanten ⎼ wie K ⎼ herzustellen, die komplett domestiziert sind, keine rebellischen, gewaltanfälligen Impulse mehr haben, und im vollen Bewusstsein ihrer eigenen Künstlichkeit leben. K führt überdies eine Beziehung mit einer Frau, Joi (Ana de Armas), die nicht einmal mehr ein Replikant ist, sondern nur noch ein Hologramm, das man nicht berühren kann. Auch sie ist sich ihrer eigenen Fabriziertheit bewusst und doch als quasi einzige Figur zu humanen Emotionen imstande ⎼ Villeneuve verwischt hier (gelungener als Spike Jonze in Her, 2013) die Grenzen zwischen Echtheit und Simulation und zeigt auf, wohin die tatsächliche Entwicklung künstlicher Intelligenzen wie Siri, Alexa und Cortana sowie die Übermacht von Großkonzernen, die bis in den allerletzten Winkel menschlicher Existenz eindringen, führen mag. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Sequel deutlich vom Vorgänger: Die Frage nach der Replikanz – Wer ist Mensch, wer nicht? – stellt sich hier gar nicht mehr. Vielmehr reflektiert Villeneuve auf kluge Weise, was das Menschliche in uns ausmacht, wenn die Welt um uns herum eine reine Scheinwelt, eine Simulation durch Fremdbestimmung, geworden ist: Geburt, Name, Emotionen, Erinnerungen (auch wenn es gar nicht die eigenen sind) oder Individualität, bzw. die Hoffnung, besonders zu sein?

 

 

 

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