forum_C: Yasujirô Ozu oder die Feier des Alltagslebens

Die Cinémathèque der Stadt Luxemburg zeigt am 18. Dezember (19.00 Uhr) den Film Ein Herbstnachmittag von Yasujirô Ozu.

Im Jahr 1951 wird 
Akira Kurosawas Rashomon in Venedig zum Überraschungserfolg der Filmfestspiele und mit dem Grand Prix ausgezeichnet. Das Publikum auf der ganzen Welt wird plötzlich auf die japanische Filmkunst aufmerksam; vor allem drei Namen ragen nun stellvertretend für das japanische Nachkriegskino heraus: Akira Kurosawa, Kenji Mizogushi und Yasujirô Ozu. Während Kurosawa und Mizogushi historische Dramen im feudalen Japan inszenieren (die sogenannten Jidai-geki) macht Ozu durch seine zeitgenössischen Dramen (Gendai-geki), deren Handlungen in der Zeit der Modernisierung Japans anberaumt sind, auf sich aufmerksam. Ozu interessiert in seinen Filmen das gewöhnliche Leben der unteren Mittelschicht und Arbeiterklasse im gesellschaftlichen Alltag.

Die Reise nach Tokyo (DR)

Sein langsamer, gedehnter Rhythmus, der den Zuschauer auffordert, sich mit kontemplativer Geduld auf die Familiengeschichten einzulassen, macht ihn zu einem höchst unwestlichen Filmemacher. Während Kurosawas Filme im Westen viel eher verstanden werden, die Anbindung an den Publikumsgeschmack mit aufwendigen Kostümfilmen (etwa Shichinin no samurai, Die Sieben Samurai 1954; Yojimbo 1961) eher gewährleistet ist, setzt Ozu auf wesentlich undramatische Geschichten; als ausgezeichneter Stilist meditiert er über Orte und Zeiten und dies mit einer im Westen mitunter befremdlichen Sensibilität und Besonnenheit.

Im Mittelpunkt seiner Filme stehen zumeist Generationenbeziehungen und -konflikte in Familien: In Banshun (Später Frühling, 1949) gibt es die erwachsene Tochter Noriko, die seit Jahren bei ihrem Vater lebt und lernen muss sich von ihm zu lösen, nachdem sie zur Heirat gedrängt wird. Sanma no aji (Ein Herbstnachmittag, 1962) erzählt von einem alternden Witwer, der für seine Tochter eine Hochzeit arrangiert hat, schließlich fügt sie sich dem Wunsch ihres Vaters. Tradition und Moderne, die alte und die neue Welt geraten bei Ozu in Konflikt und sorgen so für Spannungsverhältnisse: Das alte Ehepaar aus Tokyo monogatari (Die Reise nach Tokyo, 1953), im Westen wohl Ozus bekanntester Film, muss während eines Besuches bei ihren Kindern in der Hauptstadt feststellen, dass die junge Generation zu sehr mit den eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist, um noch Zeit mit den Eltern zu verbringen. In Ozus Handhabung entfaltet sich darin eine einzigartige Offenbarung über Liebe, Ehrerbietung und Verpflichtung – und inmitten dieser Generationenkonflikte sehen wir oftmals wiederkehrend die Schauspielerin Setsuko Hara: Sie übernimmt in Ozus Filmen die Rolle der Vermittlerin, die zwischen den beiden Welten mit einem Gefühl der Fürsorglichkeit verhandelt.

Ein Herbstnachmittag (DR)

Es gehört zur bemerkenswerten Leistung Ozus, dass er beide Sphären gegenüberstellt, ohne dabei eine wertende, gar verurteilende Position zu beziehen. Seine ruhige, statische Kamera wirkt dem hektischen Treiben der modernen Großstadt zwar entgegen, dennoch spricht sie sich nicht gegen die sich verändernde Welt aus. Seine Kamera registriert das Nebeneinander von Tradition und Moderne; Ozus Blick erfasst das, was ist. Während Kurosawa etwa mit rasanter Kamerabewegung und Lichtästhetik eine Form der Selbstexotisierung Japans betreibt, dann steckt dahinter eine gezielte Vermarktungsstrategie, um das traditionelle Bild Japans einem westlichen 
Publikum attraktiv zu machen. Nicht so bei Ozu: Seine Kamera ist unbewegt, häufig in extremer Untersicht (die Position entspricht etwa der Augenhöhe der zumeist auf einer Tatami-Matte sitzenden Personen) und unternimmt immer wieder Achsensprünge, die im Westen wiederum als irritierend und Regelbruch empfunden werden. So nutzt er stets einen 360-Grad-Raum, anstelle der gewohnten 180 des westlichen, vor allem Hollywood-Kinos. Nicht selten sind dies leere Räume, unbewohnte Zimmer und verlassene Landschaften, die die Handlung erheblich entdramatisieren, unterdessen aber die poetische Größe des einfachen Lebens hervorkehren.

Das Gefühl von Melancholie ist bestimmend für Ozus Filme, die wie Panoramen der Alltäglichkeit anmuten: Ozu führt uns ein in eine Welt der Alltagsriten; er versteht den Film als eine Art „Album“, in dem man Erinnerungen bewahren kann. Mit typisch japanischer Klarheit, Empfindlichkeit und Respekt behandelt er das Leben und die häuslichen Probleme von Mittelklassenfamilien. Dramatische Wendepunkte gibt es bei Ozu nicht, anstelle plötzlicher Erkenntnis tritt viel eher das Gefühl von einsichtigem Verständnis – das Unveränderbare wird letztendlich akzeptiert.

 

 

 

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