forum_C: Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ★★★★☆

Eine Frau sieht Rot

Mildred Hayes (Frances McDormand) reicht es: Vor mehreren Monaten wurde ihre Tochter Angela auf einer Landstraße außerhalb der Kleinstadt Ebbing vergewaltigt und ermordet – doch der örtlichen Polizei gelingt es bis heute nicht, den oder die Täter zu überführen. Von ihrer Wut beseelt, mietet sie drei Werbetafeln am Ortsrand von Ebbing und lässt in großen schwarzen Lettern auf rotem Grund eine unmissverständliche Kritik anbringen: Raped while dying; And still no arrests; How come, Chief Willoughby? – es ist eine Kriegserklärung an die Polizei von Ebbing, vor allem an den respektierten Sheriff Bill Willoughby (Woody Harrelson). Dieser sucht dann auch das Gespräch mit Mildred, möchte beschwichtigen und die wütende Mutter dazu überreden, die Plakate wieder entfernen zu lassen – auch aus persönlichem Interesse, denn der Polizeichef ist unheilbar krank. Mildred hält jedoch an ihrer Entscheidung fest und setzt damit eine Eskalationsspirale in Gang, bei der sich immer mehr Einwohner von Ebbing, die sich entweder für oder gegen sie positionieren, seelisch und körperlich verletzen. Vor allem der einfältige und rassistische Hilfssheriff Dixon (Sam Rockwell) fühlt sich durch Mildreds Plakate persönlich gekränkt und lässt sich zu unüberlegten Racheaktionen hinreißen…

Frances McDormand  (c) Fox Searchlight Pictures

Die Prämisse von Martin McDonaghs drittem Spielfilm (nach In Bruges, 2008 und 7 Psychos, 2012; der irische Regisseur zeichnete hier wieder für das Skript verantwortlich) weckt zunächst Erinnerungen an Dürrenmatts Kriminalroman Das Versprechen (erschienen 1958), denn auch in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri verlieren gleich mehrere Figuren ihren seelisch-emotionalen Halt wegen der vergeblichen Aufklärung eines scheinbar unlösbaren Verbrechens, die auch eine Aufarbeitung bzw. Bewältigung verhindert. Mildreds zerstörerische Wut prallt nicht nur auf die zunehmend angeknackste Berufsehre der örtlichen Polizei, sondern hinterlässt auch in ihrer eigenen Familie eine Spur der Verwüstung: Sohn Robbie (Lucas Hedges), der ohnehin einen Schlussstrich unter das Verbrechen ziehen möchte, wird in der Schule gemobbt, und Ex-Mann Charlie (John Hawkes), ein aufbrausender und Frauen prügelnder Feigling, vergnügt sich inzwischen lieber mit einer Neunzehnjährigen.

Mildreds titelgebende Plakate und die Auseinandersetzungen, die dadurch entstehen, lassen aber auch tiefe Risse im Fundament der vorgeblich idyllischen US-Kleinstadt sichtbar werden. Der Ire McDonagh imaginiert das Leben im archetypischen Provinzkaff Ebbing, Missouri auf übergespitzte, ja: parodistische Weise als öden, deprimierenden und oppressiven Mikrokosmos, der geprägt ist von Perspektivlosigkeit, allabendlichen Besäufnissen in der Kneipe und verbaler wie körperlicher (Polizei-)gewalt gegenüber Schwarzen und Schwulen. Im Kern erinnert diese Porträtierung des ruralen Amerikas durchaus an Filme wie August: Osage County (John Wells, 2013), in denen die großartigen Landschaften keine Freiheit mehr versprechen, sondern die Protagonisten in ihrer monotonen Leere und Einöde regelrecht erdrücken – es ist das Amerika der Abgehängten.

Auch in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri tummelt sich ein wahres Sammelsurium gescheiterter und tragischer Existenzen auf der Leinwand, die einander nicht entfliehen können und deshalb immer wieder aneinander geraten – und verkörpert werden sie von einem Schauspielensemble, das auf dem unbestrittenen Zenit seines Könnens ist. Besonders hervorzuheben sind jedoch Frances McDormand und Sam Rockwell – sie als wütende, verbitterte und aufrechte, aber doch keineswegs ausschließlich positiv besetzte Mutter, die sich unbeirrt mit alles und jedem anlegt, was sich ihr in den Weg stellt, er als unterbelichtetes und homophobes Muttersöhnchen mit extrem kurzer Zündschnur – die ihre jeweiligen Charaktere derart facettenreich verkörpern, dass die Leistungen zu den besten ihrer Karriere gehören.

Sam Rockwell, Frances McDormand  (c) Fox Searchlight Pictures

In den irrwitzigen Wortduellen, die beide sich liefern – in einem Verhör etwa provoziert Mildred den Rassisten Dixon, indem sie ihn fragt „So how’s it all going in the nigger-torturing business, Dixon?“, worauf dieser entgegnet „It’s ‚Persons of color‘-torturing business, these days, if you want to know. And I didn’t torture nobody!“ – zeigt sich abermals McDonaghs Talent, gekonnt zwischen ernstem Drama und grimmigem Humor zu pendeln, und die Zuschauer so in ein Wechselbad der Gefühle zu stürzen. Bei aller charakterlichen Härte lässt McDonagh seinen Figuren dabei bis in die Nebenrollen eine zutiefst menschliche und verwundbare Seite, die immer wieder durchschimmert und ihnen so eine erstaunliche Tiefe gibt.

Bisweilen wirken lediglich einige Einfälle und Wendungen des Drehbuchs etwas zu konstruiert und forciert (bspw. Dixons feurige Wiedergeburt), doch die Regie fängt sie stets zur rechten Zeit wieder ein, damit die Geschichte nicht zu lange an Plausibilität verliert. McDonagh gelang mit Three Billboards Outside Ebbing, Missouri eine vielschichtige, äußerst empfehlenswerte filmische Achterbahnfahrt, die überdies durch die Thematisierung unterschiedlicher Formen von sexueller-, verbaler-, häuslicher- und polizeilicher Gewalt erschreckend zeitgemäß ist.

Aktuell im Utopia und im Kinepolis Kirchberg.

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