forum_C: „The Shape of Water“ von Guillermo del Toro ★★★★☆

Stille Wasser sind tief

Das filmische Schaffen von Guillermo del Toro einzuordnen, ist nicht immer leicht: Mal dreht der mexikanische Regisseur ambitionierte surrealistische Dramen wie die Faschismusparabel Pan’s Labyrinth (2006), mal sind es großkalibrige und überkandidelte Effektspektakel à la Pacific Rim (2013) – gemein ist dem Œuvre del Toros, der seine Drehbücher in der Regel selbst verfasst, aber sein Sinn für fantasievoll erzählte und mit Reminiszenzen an das klassische Genrekino (wie bspw. Horror- und Monsterfilme) angereicherte Geschichten. Seine überbordende Kreativität hat er jetzt in einem poetischen Herzensprojekt kanalisiert, das von der Liebesbeziehung zwischen einer stummen (aber nicht tauben) Putzfrau und einem Amphibienmenschen aus dem Amazonas handelt: The Shape of Water.

Auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig wurde der Film 2017 bereits mit dem Goldenen Löwen prämiert, und im Vorfeld der diesjährigen Academy Awards gilt The Shape of Water mit nicht weniger als 13 Nominierungen (in nahezu sämtlichen prestigeträchtigen Kategorien wie Bester Film, Beste Hauptdarstellerin, Bestes Drehbuch…) als unumstößlicher Oscarfavorit.

(c) Fox Searchlight

Baltimore, 1963 –der Höhepunkt des Kalten Krieges: Elisa Esposito (wie gewohnt großartig: Sally Hawkins), Waise und seit ihrer Kindheit stumm, lebt mehr oder weniger einzelgängerisch – zu ihren wenigen Freunden gehört u.a. Nachbar Giles (Richard Jenkins), Mitte fünfzig und schwul – über einem Kino, und arbeitet als Putzkraft in einer geheimen Forschungseinrichtung, die vom US-Militär genutzt wird. Elisas Alltag plätschert monoton und ereignislos dahin, bis ein Wassertank mit einer amphibischen Kreatur aus dem südamerikanischen Dschungel in dem Labor eintrifft – und sie sich in das schillernde humanoide Kiemenwesen (Doug Jones in beeindruckender Kostümierung) verliebt. Durch Gebärdensprache, Essen und Grammofonmusik nimmt sie behutsam Kontakt zum Amphibienmann auf. Unter Anleitung des machohaften und sadistischen Colonels Richard Strickland (unterfordert: Michael Shannon), der die Bühne am liebsten mit seinem martialischen elektrischen Schlagstock betritt, wird das intelligente Wesen jedoch gefoltert und malträtiert, denn das Militär erhofft sich davon strategische Vorteile im ideologischen Kampf gegen die Russen. Als Elisa schließlich erfährt, dass Strickland den Amphibienmann bei lebendigem Leibe sezieren will, plant sie mit Nachbar Giles und ihrer schwarzen Arbeitskollegin Zelda (Octavia Spencer) dessen Befreiung. Und auch russische Spione, die ihrerseits militärisches Potential in dem Wesen erkennen, wollen ein Wort mitreden…

Del Toro hat The Shape of Water nicht nur in einem realen politischen Kontext verankert, sondern auch in der Kinogeschichte, denn sein Filmmärchen ist gespickt mit Reminiszenzen an das hollywoodsche Musical- und Monsterkino der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre. Die offensichtlichsten Anleihen finden sich freilich bei den thematisch verwandten Klassikern La Belle et la Bête (Jean Cocteau, 1946) und Creature from the Black Lagoon (Jack Arnold, 1954, integral und legal abrufbar)– von dem Herkunft und Aussehen der Kreatur deutlich inspiriert sind.

(c) Fox Searchlight

Doch auch der prunkvolle Kinosaal, über dem Elisa und Giles leben, wirkt wie eine einzige Hommage an das selige Kino von früher – ebenso wie die mit Büchern, Malerei und Katzen ausgestatteten Wohnungen, die beide, inmitten von Vietnamkrieg und Rassenunruhen, in ein Refugium für Träumer und Außenseiter verwandelt haben. Hinsichtlich Ausstattung ebenfalls hervorzuheben ist die Ausgestaltung der Forschungseinrichtung, die mit ihren metallisch-düsteren Art déco-Elementen Erinnerungen an die Unterwasserwelten des Videospielklassikers BioShock (2007) weckt.

Zu Del Toros Erzählrepertoire gehört es aber auch, seine Träumer immer wieder in die (amerikanische) Realität zurückzuholen, sie mit ebendieser zu konfrontieren: Die Avancen, die Giles dem gutaussehenden Konditor macht, werden jäh abgeschmettert, afroamerikanische Gäste sind in dem Kuchenlokal gar nicht erst erwünscht. Bezeichnenderweise sind dann auch an der Rettungsaktion des humanoiden Fischmanns mit Giles und Zelda Außenseiterfiguren beteiligt, die sich im Laufe die sechziger Jahre eine Stimme und ein Recht auf Selbstbestimmung erkämpft haben.

Auch das Zusammenleben mit dem Amphibienmann gestaltet sich nach dessen erfolgreicher Befreiung als schwierig, wovon Giles‘ Katzen ein leidvolles Lied singen können – del Toro begeht hier nicht den Fehler, die Kreatur aus den Sümpfen in der Tradition des Bon sauvage zu infantilisieren, sondern zeigt sie als Wesen mit Ecken und Kanten. Interessante – und erstaunlich freizügige – Wege findet er auch für die Bebilderung der Liebesbeziehung zwischen der stillen, aparten aber sehnsüchtigen Elisa und dem Amphibienmann, die beide ihre Libido nur im Wasser ausleben können.

Wasser und Regen sind es dann auch, die die Figuren ständig umgeben – sei es beim Putzen, im Bassin des Labors, im Badezimmer oder bei nächtlichen Schießereien, in die Colonel Strickland bei dem Versuch, die Kreatur wieder einzufangen, verwickelt ist. Bedauernswert ist es aber, dass ebendiese per se ambivalente und zutiefst verklemmte, in puritanischen Moralvorstellungen und kleinbürgerlichen Selbstbestätigungsfantasien (Stichwort: mintgrüner Cadillac) feststeckende Figur, weniger Konturen und Tiefgang erhält als die anderen Charaktere – schade, bei einem Schauspieler vom Format eines Michael Shannon.

The Shape of Water ist kein politischer Film und kein Sittengemälde der USA in den sechziger Jahren, sondern ein ernstes und emotionales Märchen, opulent ausgestattet und edel gefilmt, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet.

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