forum_C: „Red Sparrow“ von Francis Lawrence ★★☆☆☆

Körper und Kontrolle

Es hätte ein starkes und sinnstiftendes Signal werden können: Mitten in der anhaltenden Debatte über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch in der US-Filmbranche veröffentlicht ein Major-Studio (20th Century Fox) einen Spionagethriller um eine wehrhafte weibliche (und russische) Geheimagentin, die ihren etablierten männlichen Pendants Bond, Bourne, Hunt usw. die Stirn bieten soll. Verkörpert wird sie von einer der besten Schauspielerinnen ihrer Generation, Jennifer Lawrence, die 2014 selbst das Opfer eines entwürdigenden und bloßstellenden Hackerangriffs auf ihre Privatsphäre wurde. Leider verschenkt Regisseur Francis Lawrence, der zuvor bei drei The Hunger Games-Filmen (auch mit Lawrence in der Hauptrolle) Regie führte, aber nahezu völlig das Potential seines Agentenfilms Red Sparrow (nach einem Roman des ex-CIA-Mitarbeiters Jason Matthews, 2013) durch eine zähe Inszenierung, zu viele Genreklischees und vorhersehbare Volten.

(c) Twentieth Century Fox

Im Mittelpunkt der Handlung, die ohne nähere Angaben im heutigen Russland ― ergo: Putins Russland ― angesiedelt ist, steht die disziplinierte und deshalb erfolgreiche Ballerina Dominika Egorova (Jennifer Lawrence), die am Bolschoi-Theater tanzt und daneben ihre schwerkranke Mutter Nina (Joely Richardson) pflegt. Eine gravierende Verletzung beendet allerdings ihre professionelle Karriere und stellt sie vor die Wahl: Entweder lässt sie sich von ihrem dubiosen Onkel Vanya (der Belgier Matthias Schoenaerts) für eine (legendenumwobene aber fiktive) Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes, die Sparrows, rekrutieren oder sie und ihre Mutter riskieren den Verlust von Wohnung und Krankenversicherung.

Unter der Leitung der diktatorischen Matrone (Charlotte Rampling in Rosa-Klebb-Kostümierung) werden Dominika und die anderen RekrutInnen des Sparrow-Programms stückweise gedemütigt und entmenschlicht, um sie in psychologischer Manipulation zu schulen ― die Spezialität dieser AgentInnen besteht nämlich nicht nur darin, Extremsituationen wie Folter und Vergewaltigung zu überstehen, sondern auch ihre männlichen oder weiblichen Zielpersonen durch Verführung und körperliche Reize gefügig zu machen. Dominika erweist sich als Naturtalent und wird alsbald von General Korchnoi (komplett unterfordert: Jeremy Irons) auf den CIA-Agenten Nate Nash (Joel Edgerton) angesetzt, um diesem in Budapest den Namen eines russischen Maulwurfs zu entlocken, der scheinbar auf höchster Ebene des Systems arbeitet und den amerikanischen Geheimdienst mit Informationen füttert…

(c) Twentieth Century Fox

In der Welt von Red Sparrow hat der Kalte Krieg nie geendet, sondern wird mit anderen, verborgenen, Mitteln weitergeführt. Konsequenterweise fährt Regisseur Lawrence dann auch von der ersten Filmminute an sämtliche Russlandklischees auf, die sich im westlichen Kino bewährt haben: Plattenbauwohnungen, omnipräsente Kälte und Schnee, bittere Armut auf der einen und verschwenderische Dekadenz auf der anderen Seite, sowie konspirative Gespräche unter Geheimdienstoffizieren in schummerigen und halbverfallenen Örtlichkeiten sozialistischer Provenienz. Dieses naive, unerschütterliche Festhalten an der zweigeteilten Weltordnung von einst zeigt sich auch bei der Charakterisierung von Dominikas und Nates Widersacher, die auf ein traditionelles Bösewichtschema des westlichen Achtziger-Jahre-Kinos zurückgreift: Den patriotischen Geheimdienst-Hardlinern („The West is drunk on shopping and social media!, trichtert die Matrone ihren angehenden AgentInnen ein) wird mindestens eine gemäßigte Figur gegenübergestellt, die das System, ebenfalls aus patriotischen Motiven, reformieren möchte um es vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Das zweifellos interessanteste Moment des Films liefert allerdings Jennifer Lawrence, die den Film nicht nur mit ihrer Präsenz trägt, sondern ihre Protagonistin Dominika auch explizit als Sprachrohr nutzt, um in ihren teilweise sehr freizügigen Nacktszenen die Deutungshoheit über die Darstellung des eigenen Körpers wiederzugewinnen: I showed up for the first day [and] I felt empowered. I feel like something that was taken from me, I got back. It’s my body, it’s my art, and it’s my choice, äußerte sich die Hauptdarstellerin vor kurzem in einem US-Interview. Zwar ist es in Red Sparrow der russische Staat (bzw. Geheimdienstapparat), der die Kontrolle über die Körper seiner RekrutInnen innehat, doch wenn Dominika/Lawrence über Männer und sexualisierte Gewalt spricht, und dabei quasi direkt in die Kamera blickt, reichen ihre Aussagen weit über den filmischen Kontext hinaus. Allein: Mit seinen sadistischen und ultrabrutalen Folterszenen bedient Red Sparrow an anderer Stelle hingegen wieder genau jenen genretypischen Voyeurismus, den der Film eigentlich anprangern möchte.

Red Sparrow ist weder so elektrisierend wie die James-Bond- oder Bourne-Filme, noch reflektiert er die weitreichenden Implikationen und die Einsamkeit des Agentendaseins wie etwa Tinker Tailor Soldier Spy (2011, nach John le Carré). Hat man ein gewisses Faible für altmodische Intrigenspiele, so gewinnt man Red Sparrow über die stolze Dauer von 140 Minuten sicherlich den einen oder anderen gelungenen Moment ab ― wozu auch der hervorragende internationale Cast beiträgt, bei dem allenfalls die anglophonen Schauspieler bisweilen mit ihren unfreiwillig komischen Akzenten amüsieren.

Leider geriet die Handlung um die Aufdeckung des russischen Maulwurfs aber über weite Strecken völlig uninteressant und spannungsfrei, und der finale Twist kündigt sich bereits eine gefühlte Ewigkeit vorher an ― und ist dann an Einfallslosigkeit nicht zu überbieten.

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