Die Bühne der Macht – „The Death of Stalin“ von Armando Iannucci ★★★★☆

Moskau, Anfang März 1953: Beim Direktor von Radio Moskau klingelt das Telefon – am Apparat ist der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und oberste Machthaber der Sowjetunion, Josef Stalin (Adrian McLoughlin), der eine Aufzeichnung des eben übertragenen Mozart-Konzertes anfordert. Das Problem: So eine Aufzeichnung gibt es nicht. Doch der Direktor weiß zu improvisieren. Kurzerhand werden das Orchester und die Gäste am Verlassen des Konzertsaals gehindert, die bereits leeren Ränge mit Passanten von der Straße gefüllt (um eine ideale Akustik herzustellen), die Pianistin (Olga Kurylenko) wird bestochen und der ohnmächtig gewordene Dirigent durch einen hastig herbeigeholten Kollegen im Pyjama ersetzt, damit das Konzert wiederholt werden kann.

Diese Auftaktepisode von Armando Iannuccis giftiger Historiensatire The Death of Stalin genügt bereits, um die Absurdität und Exzessivität des geradezu mythischen Personenkults um Stalin – der im heutigen Russland paradoxerweise immer noch zu den beliebtesten Persönlichkeiten der Geschichte zählt – und die daraus resultierende Paranoia gehörig durch den Kakao zu ziehen. Es verwundert also eher nicht, dass das russische Kulturministerium der britisch-französischen Koproduktion (adaptiert von der Graphic Novel La Mort de Staline von Fabien Nury und Thierry Robin) im Januar 2018 eine Kinoauswertung verweigert hat.

Lange währt Stalins Freude an der Schallplatte jedoch nicht, denn ein Schlaganfall rafft den überlebensgroßen Väterchen der UdSSR in seiner Datscha dahin (die Umstände sind allerdings frei erfunden). Stalins plötzlicher Tod löst in seinem innersten Zirkel, dem Zentralkomitee der Partei, eine Mischung aus Bestürzung, Hysterie und Aufbruchstimmung aus, und Iannucci nimmt sich genüsslich die Zeit, die unterschiedlichen Reaktionen von Stalins Umfeld einzufangen. Während Geheimdienstchef Lawrenti Beria (Simon Russell Beale) sich gar nicht schnell genug als Nachfolger in Stellung bringen kann, hadern andere – darunter der ZK-Generalsekretär und designierte politische Erbe Stalins Malenkow (Jeffrey Tambor), Außenminister Molotow (Michael Palin) und der kühl kalkulierende ZK-Sekretär Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi) – mit der bloßen Anerkennung seines Todes. Iannucci insistiert hier und in den Szenen davor, die Stalins serviles Umfeld beim Abendessen mit dem Diktator zeigen, mit galligem Humor auf das Misstrauen und die Paranoia, die selbst unter den mächtigen Männern des Politbüros allgegenwärtig ist: Bereits geringste Fehltritte (wie etwa ein misslungener Witz) können dafür sorgen, dass man auf einer von Stalins berüchtigten Todeslisten landet, Beobachtungen und Bespitzelungen sind ebenso ausgeprägt wie die Bereitschaft, sich gegenseitig ans Messer zu liefern.

(c) Entertainment One

Anschließend konzentriert sich The Death of Stalin ganz auf die Organisation von Stalins Beisetzung und den Machtkampf zwischen dem gnadenlosen Geheimdienstchef Beria, der mutmaßlich auch in der Realität ein Vergewaltiger und Mörder war, und dem unterschätzten Sekretär Chruschtschow, welcher nach und nach zur Hochform aufläuft und sämtliche anderen Minister wie Schachfiguren hin- und herbewegt. Beide halten Stalins designierten Nachfolger Malenkow, der die Regierungsgeschäfte übernimmt, für zu zögerlich und inkompetent und wollen das entstandene Machtvakuum wieder füllen – Beria, indem er aus reinem politischen Kalkül vermeintlich tote Gefangene wieder aus dem Arrest holt (Molotows jüdische Ehefrau!) um sich damit in die Herzen der Sowjetbürger zu spielen, Chruschtschow, der historische Gewinner, indem er ein Komplott mit der Militärlegende Georgi Schukow (Jason Isaacs) austüftelt. Beide Figuren nutzen damit jenes Klima von Kaltblütigkeit, Kontrolle und Manipulation, das Stalin selbst kultiviert hat – von Entstalinisierung kann also keine Rede sein.

The Death of Stalin unternimmt dabei gar nicht erst den Versuch, die Sowjetunion der frühen fünfziger Jahre historisch akkurat darzustellen – davon zeugen nicht nur die biografischen Freiheiten, die Iannucci sich bei der Charakterisierung seiner Ministerriege herausnimmt – sondern möchte eher den Zustand des (post)stalinistischen Terrorregimes und seines alltäglichen Horrors auf zugespitzte Weise illustrieren. Mit seiner spekulativen Herangehensweise bewegt sich Iannucci damit näher an den Realitäten der Geschichtsschreibung als gedacht, denn aufgrund der jahrzehntelangen exzessiven, systematischen Säuberungen des Systems von seinen tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden (bis hin zur Auslöschung jeglicher fotografischer Quellen) ist es ohnehin nicht mehr möglich, weite Teile der Geschichte der Sowjetunion historiografisch aufzuarbeiten. Bedauerlich ist es trotzdem, dass sich der Film mehr für die Machthungrigen als für die wahren Opfer dieses Machttheaters interessiert: Die russische Bevölkerung, auf deren Rücken die Ränkespiele ausgetragen werden.

(c) Entertainment One

Verkörpert wird Stalins mächtige, aber auch eitle und hinterhältige Ministerschar von einem bestens aufgelegten Cast britischer und amerikanischer Komödiendarsteller, die hier unbedingten Mut zur Hässlichkeit beweisen. Besonders hervorzuheben sind neben Steve Buscemi als taktierende graue Eminenz Chruschtschow auch noch Jason Isaacs als großspuriger und übertrieben vitaler General Georgi Schukow, der vor lauter Kraft kaum laufen kann und dem der geplante Putsch gar nicht wagemutig genug ist, und Simon Russell Beale, der den finsteren Geheimdienstchef Beria als größtmögliches menschliches Monster spielt.

The Death of Stalin ist eine tiefschwarze, manchmal grausame Reflexion über Angst, Macht und die Eitelkeit von Machthabenden, eine Satire, die auf dem feinen Grat zwischen Witz und Wahnsinn balanciert – und das so gekonnt, dass einem mehr als einmal das Lachen im Hals stecken bleibt.

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