Die geschundene amerikanische Seele? – 9/11 und Hollywood

Es entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit: Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center (WTC) in New York und auf das Pentagon in Arlington (ein weiteres entführtes Flugzeug, das vermutlich auf ein Ziel in Washington, D.C. gelenkt werden sollte, stürzte nach Kämpfen zwischen den Passagieren und den islamistischen Entführern nahe Shanksville ab) markieren eine welthistorische Zäsur, doch bis dato hat ausgerechnet die ansonsten äußerst reaktionsfreudige amerikanische Filmindustrie noch keinen großen, paradigmatischen 9/11-Film hervorgebracht, der die Ereignisse in ihrer Gesamtheit rekonstruiert. Zwar haben sich in den letzten fünfzehn Jahren einige kleinere wie größere Filmproduktionen durchaus mit den Attacken und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft beschäftigt, doch gerade ob des medialen Charakters der Ereignisse – die Bilder der Flugzeugeinschläge und der zusammenstürzenden Türme wurden live in die ganze Welt übertragen und anschließend während Monaten wiederholt – sorgt die überwiegende Zurückhaltung Hollywoods doch für einige Verwunderung.

Ist 9/11 etwa eine Leerstelle im amerikanischen Kino geblieben? In einer Ciné-Conférence, die das Centre national de l’audiovisuel (CNA) zusammen mit dem Zentrum für politische Bildung (ZpB) am 28. April organisiert, versuche ich das schwierige Verhältnis zwischen den realen Ereignissen und ihrer filmischen Repräsentation zu beleuchten – denn die Bezüge zu 9/11 finden sich überraschenderweise auch im Subtext von Filmen, die sich vordergründig gar nicht um Politik oder Krieg drehen.

Die Anschläge vom 11. September haben in der amerikanischen Seele tiefe Spuren – um nicht zu sagen: ein kollektives Trauma – hinterlassen. Im Nachgang der Attentate breitete sich in der Gesellschaft eine Stimmung aus Fassungslosigkeit, Verunsicherung und Paranoia aus – und die Filmindustrie tat sich zunächst schwer damit, eine angemessene Reaktion zu finden. Bereits abgedrehte Filme wie Spiderman (Sam Raimi, 2002) oder Zoolander (Ben Stiller, 2001) wurden vor ihrem Kinostart eiligst digital bearbeitet (selbst dann, wenn sie gar keinen Terrorbezug hatten), um die Zuschauer nicht mit Aufnahmen des WTC zu konfrontieren; Steven Spielberg forderte sogar, aus Respekt vor den Opfern der Anschläge gar keine Filme über 9/11 zu drehen.

The 25th Hour (c) 40 Acres and a Mule Filmworks

Erste filmische Beiträge, die sich explizit mit den Folgen der 9/11-Attentate beschäftigen, finden sich seit dem Jahr 2002 – zumeist in der Form von (Familien)dramen, die den Fokus auf die individuelle Trauerarbeit legen, wie beispielsweise The 25th Hour (Spike Lee, 2002), Reign over me (Mike Binder, 2007) sowie Extremely loud and incredibly close (Stephen Daldry, 2011). Hervorzuheben wäre, neben 25th Hour, der als erster Film die Baustelle am Ground Zero in die Handlung integriert, auch noch das weitestgehend unbekannte, aber intensiv gespielte Drama The Guys (Jim Simpson, 2002) mit Sigourney Weaver und Anthony LaPaglia in den Hauptrollen. Letzterer mimt hier den Captain einer New Yorker Feuerwehreinheit, der an der Aufgabe scheitert, Grabreden für acht verstorbene Feuerwehrmänner aus seinem Team schreiben zu müssen. Der Film, der auf einem Theaterstück basiert, thematisiert die Unmöglichkeit, das Geschehene zu begreifen und in Worte zu fassen, und die omnipräsente Trauer der New Yorker, die selbst jene erfasst, die keine Angehörigen oder Freunde verloren haben.

Rund fünf Jahre nach den Attentaten beginnen erste Regisseure damit, nicht mehr nur die Folgen von 9/11 zu thematisieren, sondern auch die Attacken selbst, so etwa WTC (Oliver Stone, 2006) und United 93 (Paul Greengrass, 2006). Beide Filme richten ihre jeweiligen Fokus aber nur auf einen bestimmten Aspekt von 9/11 – WTC auf die Rettung von zwei eingeschlossenen Polizisten, wobei die Terroranschläge in klassischer Hollywoodtradition als Heldengeschichte umgeschrieben werden, United 93 auf die Passagiere des vierten Flugzeugs, die über den Wolken einen verzweifelten (und selbst für die Zuschauer nervenzerrenden) Überlebenskampf gegen ihre Entführer anzetteln – und können damit noch kein sinnstiftendes und konsensfähiges Trauernarrativ ausformen.

Zero Dark Thirty (c) Annapurna Pictures

Auf die Suche nach größeren und längerfristigen Sinnzusammenhängen begab sich 2013 die Regisseurin Kathryn Bigelow mit dem Politdrama Zero Dark Thirty, das den War on Terror und die langwierige Suche nach dem Drahtzieher der Attentate, Osama bin Laden, in den Mittelpunkt rückt. Die CIA-Agentin Maya (gespielt von Jessica Chastain), welche die Suche leitet, ist selbst eine höchst ambivalente und obsessive Figur, die nicht nur auf Foltermethoden zurückgereift um die Recherchen voranzutreiben, sondern auch die Frage aus dem Blick verliert, ob sich die Suche nach bin Laden überhaupt lohnt – sind andere al-Qaida-Figuren nicht inzwischen weitaus gefährlicher? Kann es durch bin Ladens Tod eine Wiedergutmachung für das erlittene kollektive Trauma geben? Kritisiert wurde der Film vor allem wegen seiner offenen Zurschaustellung der Foltermethoden der CIA – dabei zeigt Bigelow, in welche emotionalen Abgründe diese Methoden auch jene stürzen, die sie einsetzen.

Aufschlussreich sind aber auch die Produktionen, die anderen filmischen Genres wie dem Polit- oder Kriegsdrama zuzuordnen sind und die 9/11-Anschläge deshalb eher indirekt thematisieren – auch diese Filme reflektieren jenes Klima aus Desorientierung und Unsicherheit, das die US-Gesellschaft während einigen Jahren fest im Griff hielt.

The Dark Knight (c) Legendary Pictures

Das Spektrum ist enorm und reicht von Science-Fiction-Filmen wie War of the Worlds (Steven Spielberg, 2005), welcher die Ikonografie des Terrors (staubbedeckte Gesichter, pulverisierte Leichen, abgestürzte Flugzeuge) ausgiebig zitiert, und Cloverfield (Matt Reeves, 2008), vordergründig ein Monsterfilm in der Tradition der Godzilla-Reihe, auf anderer Ebene aber auch lesbar als Parabel auf ebenjenen überraschenden Terrorangriff, der die Stadt New York wie aus dem Nichts heimsuchte, über Katastrophenfilme (die nach 9/11 ungleich fatalistischer ausfielen – Katastrophen können nicht mehr vermieden, sondern nur noch verwaltet werden) bis hin zu Superheldenfilmen wie etwa The Dark Knight (Christopher Nolan, 2008), die sich auch als kritischen Beitrag zur Geheimdienst- und Sicherheitspolitik der USA verstehen. In The Dark Knight bekommt Batman (Christian Bale) es mit einem Gegenspieler, dem Joker (Heath Ledger), zu tun, der weder eine kriminelle noch eine politische Agenda hat, sondern die Stadt Gotham City in ein zivilisatorisches Chaos stürzen möchte. Auch Batman, ohnehin eine ambivalente Selbstjustizfigur, bleibt nichts anderes übrig als Feuer mit Feuer zu bekämpfen, und ein totalitäres Überwachungssystem zu installieren, das die Kommunikation sämtlicher Bürger überwacht; es bleibt die Erkenntnis, dass manchem Gegner mit den traditionellen Mitteln des Rechtsstaates nicht mehr beizukommen ist – eine Erkenntnis, die 2013 mit dem Bekanntwerden des NSA-Skandals auch in der Realität ankam.

Samstag, der 28. April 2018 von 10h-12h im Starlight 2 des CNA in Düdelingen.

Die Ciné-Conférence findet in luxemburgischer Sprache statt.

Referent: Yves Steichen

Eintritt frei. Anmeldung erwünscht unter: info@zpb.lu

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