forum_C: Tanz und Moral – „7 Days in Entebbe“ von José Padilha ★★★☆☆

José Padilhas filmische Nacherzählung der Entführung einer Air France-Maschine, die sich auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris befand und am 27. Juni 1976 von einem vierköpfigen Terrorkommando, bestehend aus Kämpfern der „Volksfront zur Befreiung von Palästina“ und deutschen Linksextremisten, gekapert wurde, beginnt mit einer Tanzaufführung. In sich zusammengesunken sitzt eine Gruppe von Tänzern im Halbkreis auf einer Bühne – zu treibender, rhythmischer Musik beginnen sie dramatisch zu zucken, springen von ihren Stühlen hoch und werfen ihre Körper auf die Bühne. Padilha montiert diese Choreographie von Ohad Naharin (hier) immer wieder in Schlüsselszenen seines Entführungsthrillers 7 Days in Entebbe – eine Geiselnahme, die schließlich nach sieben Tagen und Nächten im ugandischen Entebbe durch eine israelische Militäroperation beendet wurde.

(c) Focus Features

Die Geschichte der gewaltsamen Geiselbefreiung von Entebbe – an Bord des Flugzeugs befand sich eine große Gruppe israelischer Staatsbürger, was die Entführung zu einer weiteren Bewährungsprobe für die israelische Regierung machte – wurde schon mehrfach verfilmt bzw. diente als Vorlage für kriegsverherrlichende Haudraufwerke wie etwa The Delta Force (Menahem Golan, 1986), der aufgrund seiner unverhohlenen antiarabischen Klischees regelmäßig einen Spitzenplatz unter den rassistischsten Filmen des Hollywoodkinos belegt. Der brasilianische Regisseur José Padilha (Tropa de Elite, 2007 und Narcos, seit 2015), der sich gerne mit politischen Themen beschäftigt, wählt eine nuanciertere und wertfreiere Herangehensweise, die versucht, den Motivationen sämtlicher Beteiligter gerecht zu werden.

Nach einem Zwischenstopp in Athen bringt das palästinensisch-deutsche Terrorkommando, zu dem auch die linksextremistischen Terroristen Brigitte „Halima“ Kuhlmann (Rosamund Pike) und Wilfried „Boni“ Böse (Daniel Brühl) gehören, das Air France-Flugzeug unter seine Kontrolle und zwingt die Besatzung (u.a. Denis Ménochet) Kurs auf Entebbe zu nehmen, wo die Maschine schließlich auf einem ausrangierten Terminal landet. Idi Amin (Nonso Anozie), Ugandas erratischer und völlig unberechenbarer Diktator, heißt die Entführung gut und lässt sogar weitere Angehörige der „Volksfront zur Befreiung von Palästina“ einfliegen. Diese beginnen kurz nach der Landung damit, die über 250 Passagiere im heruntergekommenen Terminal in jüdische und nicht-jüdische Gruppen einzuteilen, um die israelische Regierung zusätzlich unter Druck zu setzen – und um fünfzig palästinensische Kombattanten freizupressen…

(c) Focus Features

Padilha erzählt die Geiselnahme aus mehreren Perspektiven, die das Dilemma der Beteiligten hervorheben sollen. Da wären zum einen Kuhlmann und Böse, Mitglieder der linksterroristischen Gruppe „Revolutionäre Zellen“, die den westdeutschen Staat mit seinen Kontinuitäten zur NS-Herrschaft ebenso für „faschistisch“ halten wie den israelischen – beide müssen schließlich aber einsehen, dass die „Selektion“ jüdischer Passagiere sie selbst in eine direkte Linie mit den NS-Verbrechen stellt. Brühls Boni ist sicherlich die interessantere und ambivalentere der beiden Figuren. Er verzichtet u.a. während der Befreiungsaktion darauf, die verbleibenden Geiseln zu erschießen – ein Umstand, der auch durch Überlebenden belegt wurde. Brigitte Kuhlmann bleibt dagegen die etwas eindimensionalere Figur; Rosamund Pike spielt sie zwar auf gewohnt gute und wohltuend unglamouröse Art als eiserne, pillenabhängige Kämpferin, doch ihre Motivationen bleiben unklar.

Ein anderes Dilemma spielt sich in den Büros der israelischen Regierung ab, wo Minister und Militärs nach einer Lösung suchen: Während Verteidigungsminister Shimon Peres (Eddie Marsan) jegliche Verhandlungen mit Terroristen ablehnt und auf eine harte Antwort drängt, zeigt Regierungschef Jitzchak Rabin (Lior Ashkenazi) mehr Weitblick und argumentiert, auch unter dem Druck der Öffentlichkeit, dass der Staat Israel nur durch Gespräche zu einer friedlichen Koexistenz mit seinen Nachbarn kommen kann.

(c) Focus Features

Eigentlich müsste man Regisseur José Padilha für seinen akkurat ausgestatteten (man wähnt sich fast in den siebziger Jahren ob der warmen Farben und der detailverliebten Kostümierung) und objektiv erzählten Thriller loben – doch leider verpasst er es, daraus auch einen interessanten Film zu stricken: Zu glatt und lehrbuchmäßig werden die Motive und Optionen der Protagonisten durchdoziert, und zu unentschlossen springt der Schnitt zwischen den vielen Erzählsträngen hin- und her, um die Zuschauer dauerhaft zu fesseln.

Erstaunlicherweise fehlt sogar der adrenalinhaltigen Befreiungsaktion selbst – die auch parallel zur eingangs erwähnten Tanzchoreographie montiert wurde und damit die beiden Sphären Israels miteinander verbindet, die zivile und die militärische, welche bis heute unabdingbar ist für die Existenz erstgenannter – jenes Quäntchen Mumm und Dynamik, das sie über das bloße Level einer guten Idee herausgehoben hätte. Trotz einer lobenswerten Distanz und Reverenz gegenüber einem politisch aufgeladenen und leicht zu instrumentalisierenden Ereignis verschenkt 7 Days in Entebbe somit über weite Strecken sein Momentum, und ist weder filmisch noch als politischer Kommentar auf die heutige Situation im Nahostkonflikt von tatsächlicher Relevanz.

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