forum_C: „Beast“ von Michael Pearce ★★★★☆

Lauter Monster

Von ersten Eindrücken sollte man sich bekanntlich nicht täuschen lassen – und so ist es auch bei Moll (Jessie Buckley), der Hauptfigur aus Michael Pearces Psychodrama Beast. Die Endzwanzigerin mit den auffallend leuchtend roten Haaren singt zwar im Chor, lebt mit ihren Eltern in einem bürgerlichen Zuhause auf der Kanalinsel Jersey und pflegt ihren demenzkranken Vater, doch in ihr brodelt es: Nachdem sie auf ihrer eigenen Geburtstagsparty von ihrer arrivierten Schwester Polly (Shannon Tarbert) und ihrer herrischen Mutter Hilary (Geraldine James) in den Schatten gestellt wurde – Polly hat die Laudatio auf Moll genutzt, um feierlich die Erwartung von Zwillingen zu verkünden –,  flieht Moll in die Nacht, sucht zunächst das Meer und betrinkt sich schließlich in einer Kneipe. Als ihre Barbekanntschaft am nächsten Morgen auf dem Strand zudringlich wird und sie in den Dünen vergewaltigen will, wird Moll wie aus dem Nichts von einem enigmatischen Fremden mit Gewehr gerettet, dessen Erscheinung nicht von ungefähr an den gequälten Heathcliff aus Emily Brontës Literaturklassiker Wuthering Heights (1847) erinnert.

(c) Altitude Films

Zwischen Moll und dem rauen, ungehobelten Wilderer Pascal (Johnny Flynn) entwickelt sich eine intensive und irrationale Liebesbeziehung, die auch in Moll eine lange verborgene Wildheit und Unbezähmbarkeit entfesselt. „Moll’s a wild one“, warnt Polly den neuen Freund ihrer Schwester beim ersten gemeinsamen Abendessen – nicht der einzige Hinweis auf einen gewalttätigen Zwischenfall aus Molls Jugend. Doch auch der Außenseiter Pascal weckt das Misstrauen der Familie: Auf Jersey geht ein Serientäter um, der junge Frauen umbringt – und Pascal gehört von Anfang an zu den Hauptverdächtigen…

Regisseur Michael Pearce, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, interessiert sich in seinem Kinodebüt aber weniger für die kriminalistischen Aspekte seiner Geschichte – d.h. die Suche nach dem Mörder –, sondern vielmehr für die Psychologie seiner Figuren.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Transformation von Moll, die, beeinflusst von Pascals bloßer Präsenz, in immer mehr Grenzüberschreitungen die Konfrontation mit ihrem gutbürgerlichen aber erdrückenden Umfeld sucht – und Jessie Buckley spielt Moll eindrucksvoll als zunächst unterdrückte und zerbrechliche, dann immer unzivilisiertere und unberechenbarere Tochter aus gutem Hause, bei der man langsam aber sicher erahnt, warum die Mutter sie jahrelang an der kürzest möglichen Leine hielt. Auch Molls Seelenverwandter, Pascal, bleibt auf wohltuende Weise lange Zeit eine höchst ambivalente und ungreifbare Figur, der man alles zutraut – nicht nur rebellische Provokationen gegenüber Molls Eltern, sondern auch körperliche Gewalt. Pearces Verdienst ist es, dass er das titelgebende Beast eben nie definiert. Vielmehr scheinen alle Protagonisten auf ihre Art Monster zu sein – sei es die dominante Mutter, die karrieristische Schwester oder der Polizeikommissar Clifford (Trystan Gravelle), der in Moll verliebt ist und die Ermittlungen gegen sie und Pascal verwendet, um sich selbst zu profilieren. Wie in Get Out (Jordan Peele, 2017) lauert der wahre Horror in Beast an den Orten, wo man ihn am wenigsten erwarten würde: In Golf-Clubs, auf gepflegten Gartenpartys oder in gutbürgerlichen Wohnungen.

(c) Altitude Films

Pearce nutzt dabei geschickt die (zumindest als Filmsetting) ungewöhnliche Location Jersey, indem er deren paranoide Gesellschaft, getrieben von der Suche nach dem Mörder, und Molls oppressives Elternhaus mit der wilden Natur, den dichten Wäldern und schroffen Küstenfelsen, kontrastiert und als Versinnbildlichung ihrer (und Pascals) seelischer Innenwelten in Szene setzt. Die unheimliche Naturkulisse gibt Beast daneben eine geradezu märchenhafte- bzw. Gothic-Note, die es Pearce nicht nur erlaubt, zwischen verschiedenen Genres wie Psychodrama und -thriller zu wechseln, sondern auch verschiedene Logiklöcher gnädig übersehen lässt (wie ist es in einer derart Huis clos-artigen Gesellschaft möglich, dass ein Außenseiter wie Pascal Molls Eltern nicht bereits früher aufgefallen wäre?).

 Kleinen Fehlern zum Trotz hält das clevere und manipulative Skript mit seinen unerwarteten Wendungen aber das Interesse an und die Sympathien für Figuren hoch, die alle auf ihre Art und Weise Monster sind.

Aktuell im Ciné Utopia.

 

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