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forum_C: Südkorea in Flammen – „Burning“ von Lee Chang-dong★★★★☆
(Yves Steichen) Es brennt in Südkorea – und das hat wider Erwarten nichts mit dem martialisch auftretenden Nachbarn im Norden zu tun, sondern mit sozialer Ungleichheit und unerfüllbaren Träumen. Inspiriert von der Kurzgeschichte Barn Burning von Haruki Murakami (erschienen 1983 in The New Yorker), begibt sich Regisseur Lee Chang-dong in seinem Werk Burning über die imposante Dauer von zweieinhalb Stunden auf eine Spurensuche. Das Resultat, eine sich sehr langsam entfaltende Mischung aus Drama, Psychothriller und Film Noir, wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes zwar seitens der Kritiker gefeiert, erhielt letztlich aber – erstaunlicherweise – keine Auszeichnung. Aktuell läuft Burning im Utopia und ist, soviel sei bereits verraten, einen Blick wert.
(c) PineHousefilm, Nowfilm, NHK Film
Jong-su (Yoo Ah-sin), Mitte zwanzig, lebt in tristen Verhältnissen in der Nähe der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea und verdingt sich, trotz eines abgeschlossenen Studiums, als Lieferant und Bauer. Dabei würde er eigentlich viel lieber einen Roman (in Anlehnung an sein großes Vorbild William Faulkner) schreiben – doch dazu fehlen ihm der nötige Mut und die Inspiration (d.h. die Liebe) gleichermaßen. Im Großstadtgetümmel von Seoul trifft er zufällig seine ehemalige Nachbarin wieder, die flippige Haemi (Jeon Jong-seo), und landet – ein bisschen überraschend für ihn, der gar keinen Erfolg gewöhnt ist –, mit ihr im Bett. Haemi bittet Jong-su in den kommenden Wochen, während sie eine Reise nach Kenia unternimmt, auf ihre Katze aufzupassen. Jong-su erledigt diese Aufgabe gewissenhaft, auch wenn er besagte Katze eigentlich nie zu Gesicht bekommt.
(c) PineHousefilm, Nowfilm, NHK Film
Die Freude über Haemis Rückkehr wird allerdings dadurch getrübt, dass sie am Flughafen plötzlich mit dem sehr charismatischen und wohlhabenden Geschäftsmann Ben (Steven Yeun) auftaucht, den sie auf ihrer Reise kennengelernt hat. Fortan unternimmt das ungleiche Trio immer öfter scheinbar zwanglose Dinge gemeinsam – selbst als sich abzeichnet, dass auch Haemi und Ben, von dem niemand genau weiß womit er sein Geld verdient, sich immer näher zu kommen scheinen. Nach einem gemeinsamen Abend in Jong-sus Elternhaus auf dem Land – eine der Schlüsselsequenzen des Films – verschwindet Haemi plötzlich spurlos, und Jong-su begibt sich in Seoul und im Niemandsland nahe der Grenze auf eine obsessive Suche nach ihr…
Burning ist um drei Hauptfiguren gestrickt, zwischen denen die Unterschiede trotz gleichem Alters nicht größer sein könnten, und die dennoch eine unwiderstehliche Anziehungskraft aufeinander ausüben. Jong-su ist zwar gebildet, doch als Arbeiterkind aus schwierigen Familienverhältnissen (der Vater ist ein Choleriker, der wegen eines Zwischenfalls mit einem Staatsbeamten vor Gericht steht, die Mutter hat der Familie wegen ebendieser Tobsucht längst den Rücken gekehrt) stößt er unentwegt an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Traurig, ungelenk und mit stets devoter Zurückhaltung versucht er seinen zunehmenden Neid auf den weitaus erfolgreicheren Ben zu verstecken. Denn der Lebemann Ben verkörpert eine ganz andere Schicht der südkoreanischen Gesellschaft – international, kultiviert, wohlhabend –, deren gefühlte Überlegenheit sich so sehr in das eigene Selbstverständnis eingebrannt hat, dass er Jong-su nicht einmal ansatzweise als Rivalen wahrnehmen kann. Mit unerschütterlicher Selbstsicherheit prahlt Ben vor Jong-su sogar mit seinem kriminellen Zeitvertreib: Alle zwei Monate zündet er ein Gewächshaus an, vorgeblich, weil sie die Gegend verunstalten – oder einfach nur, weil er es kann.
(c) PineHousefilm, Nowfilm, NHK Film
Zwischen diesen beiden Männern steht die sprunghafte und libertäre Haemi, die mehr als ein reines Objekt der Begierde ist (auch wenn sich Lee Chang-dong später zugegebenermaßen mehr für die Ungleichheiten zwischen beiden Männerfiguren interessiert), sondern in beiden Welten zuhause ist: Mit Jong-su teilt sie Wurzeln und Herkunft, doch sie vermag auch Bens blasierten Freundeskreis mit heiteren Anekdoten von ihrer Keniareise zu unterhalten. In der wohl beeindruckendsten Sequenz des Films (die hier nicht verraten werden soll) entfacht sie mit einer verführerischen und meisterhaft fotografierten Einlage vor dem schwindenden Abendlicht endgültig das Feuer beider Männer – nur um kurz darauf aus deren Leben zu verschwinden.
Burning ist jedoch mehr als eine klassische Dreiecksgeschichte mit Mysteryelementen, denn Lee Chang-dong kommentiert hier auch das wachsende wirtschaftliche Ungleichgewicht in der südkoreanischen Gesellschaft, das vor allem in der Arbeiterklasse für aufgestaute Wut und Frustration sorgt. Ausgetragen wird dieses universelle Motiv des Klassenkampfs zwischen dem Hedonisten Ben, dem alles mühelos gelingt, und dem introvertierten Jong-su, dessen Einsamkeit und Verlangen nach einer Verwirklichung seiner Träume – also sein Feuer – kurz davor stehen, kritische Ausmaße anzunehmen. Ben und Jong-su konkurrieren nicht nur um die gleiche Frau, sie fechten unwissentlich auch einen gesellschaftlichen Konflikt aus.
(c) PineHousefilm, Nowfilm, NHK Film
Lee Chang-dong macht es den Zuschauern dabei nicht leicht mit der Deutung der Ereignisse: Die drei Charaktere sind durchweg sperrig und anziehend zugleich, die Kamera hält stets eine gewisse Distanz zum Geschehen und viele Fragen bleiben bis zum Schluss offen (Ist Ben ein Mörder? Hat Haemi je tatsächlich existiert?) – woran auch die erschreckend radikale Auflösung wenig ändert. Das alles macht Burning zu einem überaus empfehlenswerten und rauschhaften Drama, dessen Wirkung sich erst nach und nach entfaltet und den Zuschauern die Möglichkeit bietet, in eine fremde Kultur einzutauchen, die so fremd und anders vielleicht gar nicht ist.
Aktuell im Ciné Utopia
(in koreanischer Originalfassung mit französisch-niederländischen Untertiteln)
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