- Kino
forum_C: Wenn die Stille gestört wird: „A Quiet Place“ von John Krasinski (2018) ★★★☆☆
(Yves Steichen) Der Horrorfilm feiert gegenwärtig ein bemerkenswertes Comeback im Hollywood-Kino. Nachdem sich das Genre zwischenzeitlich (und das nicht zum ersten Mal) mit immer drastischeren und zugleich einfallsloseren Fortsetzungsfilmen (Final Destination, Saw…) selbst ins Aus katapultiert hatte, vermögen Horrorfilme seit einigen Jahren nun wieder größere Zuschauerscharen in die Kinos zu locken. Das gilt sowohl für Großproduktionen wie die nostalgisch gefärbten The Conjuring-Filme (Regie: James Wan, seit 2013) und ihren Spin-offs (u.a. Annabelle und The Nun, der gerade mit einem unerwartet guten Box-Office-Ergebnis in den USA angelaufen ist) als auch für deutlich kleinere und feinere Genrefilme wie It Follows (David Robert Mitchell, 2014) und Get Out (Jordan Peele, 2017), die sich durch ebenso simple wie wirksame Grundideen auszeichnen.
In die gleiche Kerbe schlug 2018 auch der Horrorthriller A Quiet Place (Regie: John Krasinski, bekannt aus der Comedyserie The Office), der sein Publikum mit einer äußerst einfachen, aber großartigen Prämisse über die Dauer von 90 Minuten fesselt: Wer Lärm macht, wird gefressen.
(c) Paramount Pictures
A Quiet Place beginnt mit einer Einblendung: Day 89. In einer idyllischen aber menschenleeren Kleinstadt schleicht die fünfköpfige Familie Abbott – Vater Lee (John Krasinski), Mutter Evelyn (Emily Blunt, die auch in der Realität mit Krasinski liiert ist) sowie ihre drei Kinder, die gehörlose Regan (Millicent Simmonds), Marcus (Noah Jupe) und Beau (Cade Woodward) – barfuß und auf Zehenspitzen durch einen verlassenen Supermarkt und deckt sich mit Proviant ein. Die Familie verständigt sich ausschließlich per Zeichensprache, plant jeden Schritt und marschiert nur auf Wegen, die sie vorher sorgfältig mit Sand ausgelegt hat – und das nicht ohne Grund, denn außerirdische Monster, blind, aber mit einem extrem sensiblen Gehör ausgestattet, greifen blitzschnell alles und jede(n) an, der (bzw. die) laute Geräusche produziert (eine Erkenntnis, die bald auch eine Waschbärenfamilie gewinnen muss).
Familie Abbott zählt scheinbar zu den letzten Überlebenden dieser Invasion, und hat sich in einem abgelegenen Farmhaus, zwischen Wäldern und Mais-Silos, zurückgezogen, wo sie auch ohne verbale Kommunikation versucht, ein möglichst normales Leben zu führen. Doch als Mutter Evelyn erneut schwanger wird und Tochter Regan sich vom Vater missachtet fühlt, geraten die sorgsam einstudierten Überlebensroutinen nach und nach aus dem Gleichgewicht…
(c) Paramount Pictures
Postapokalyptische Survival-Filme werden gemeinhin entweder als martialisch-anarchistische Leinwandspektakel à la Mad Max erzählt, oder sie nehmen eine intimistischere Perspektive ein und fokussieren sich auf das Schicksal einer US-amerikanischen Durchschnittsfamilie (wie z.B. It Comes At Night, Trey Edward Shults, 2017). Auch Krasinski entscheidet sich für letztere, ruhigere Gangart und nimmt sich viel Zeit um zu zeigen, mit welchen Tricks und Routinen sich die Abbotts an die Situation ständiger Anspannung und Bedrohung angepasst haben: Stets ruhige und kontrollierte Bewegungen, in Filz eingekleidete Spielfiguren, präzise Fußbodenmarkierungen (um Knarrgeräusche zu verhindern) sowie ein Lichtsystem, das über die Präsenz von Eindringlingen informieren soll. In Anlehnung an The Artist (Michel Hazanavicius, 2011) lebt auch A Quiet Place von seinem stark reduzierten Sounddesign und der (zumindest weitgehend) zurückhaltenden Musik – phasenweise hört man auch als Zuschauer/-in nur noch die Geräusche, die sich absolut nicht vermeiden lassen.
Bemerkenswert ist, wie konsequent Krasinski seinen Film auch erzählerisch auf das Wesentliche reduziert hat. Zwar unternimmt Vater Lee pflichtschuldig noch manchmal den Versuch, weitere potenzielle Überlebende über Funkwellen zu kontaktieren, doch im Grunde haben die Abbotts die Menschheit aufgegeben: Es gibt keinen größeren Plan und kein höheres Ziel mehr als das alleinige Überleben und den Erhalt der Familie, bzw. deren Vorbereitung auf die Gefahren der Außenwelt.
A Quiet Place ist mit Sicherheit kein Meisterwerk, das die Regeln des Genres neu ausdefiniert, aber ein in sich stimmiger, wirkungsvoller und toll fotografierter Horrorthriller mit ausdrucksstarken Schauspielern (vor allem die tatsächlich gehörlose Schauspielerin Millicent Simmonds) und einem wohltuend nachvollziehbarem Regelwerk – auch wenn die Charaktere per se nicht immer nachvollziehbar handeln; warum bspw. nahezu alle Haustüren stets sperrangelweit offenbleiben und ein richtiger Panikraum fehlt, bleibt ein Geheimnis der Drehbuchautoren. Auch das recht konventionelle Monsterdesign enttäuscht, sobald diese im Schlussakt öfters und länger zu sehen sind – dabei hätte Krasinski es angesichts seiner durchweg unheimlichen Atmosphäre gar nicht nötig gehabt, sie so ausgiebig zu zeigen.
Wer darüber hinweg sieht, wird mit einer der lässigsten Schlusseinstellungen seit langer Zeit belohnt, die trotz der Stille förmlich schreit: Lasst sie kommen!
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