forum_C: „Cold War“ von Pawel Pawlikowski ★★★★☆

Dem Abgrund entgegen

(Yves Steichen) Sie können nicht mit-, aber auch nicht ohneeinander: Im Drama Cold War (Originaltitel: Zimna wojna) erzählt der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski (u.a. Ida, 2014 mit dem Academy Award für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet) von einer großen, aber auch schwierigen und zuletzt selbstzerstörerischen Liebesbeziehung vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts.

Wiktor (Tomasz Kot) und Zula (Joanna Kulig) lernen sich 1949 kennen, als der Komponist aus Warschau zusammen mit seinen Kollegen die abgelegenen Bergdörfer ihres Landes bereist, um dort im Auftrag der sowjetischen Staatsmacht, die das NS-Regime nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ablöste und durch eine realsozialistische Diktatur ersetzte, traditionelle Volkslieder aufzuzeichnen und dort, unter der einfachen Bauern- und Arbeiterbevölkerung, Ausschau nach verborgenen Gesangstalenten zu halten. Die geeigneten Kandidat(inn)en werden anschließend zum Vorsingen in ein leerstehendes herrschaftliches Anwesen eingeladen, um aus ihnen ein folkloristisches Ensemble zu formen. Unter diesen Talenten ist auch die junge Zula, die zwar nur vorgibt, aus der polnischen Provinz zu stammen (und überdies auf Bewährung frei ist, da sie ihren eigenen Vater mit einem Messer attackiert hat – dieser hatte Zula nämlich „mit ihrer Mutter verwechselt“), doch sie verdreht Wiktor mit ihrem spröden und eigensinnigen Charme auch unverzüglich den Kopf. Er macht sie zum Mittelpunkt seines Ensembles und obwohl beide Figuren mehr voneinander unterscheidet denn verbindet – Alter, Herkunft, Temperament, Bildungsstand –, beginnen sie eine rauschhafte Liebesbeziehung, die von Anfang an unter keinem guten Stern steht: In einem Moment der Idylle und Intimität eröffnet Zula Wiktor, dass sie ihn auf Befehl seines eifersüchtigen, regimetreuen Kollegen Kaczmarek (Borys Szyc) bespitzelt.

(c) Opus Film

Als das Regime schließlich immer stärkeren politischen Einfluss auf das Ensemble nimmt und den Musikern aufträgt, sowjetische Propagandalieder zu singen, sieht Wiktor in Polen keine Perspektive mehr für ihr künstlerisches Schaffen. Beide wollen 1952 ein Konzert in Ost-Berlin nutzen, um in den französischen Sektor, und damit in den Westen, zu fliehen – doch Zula, die ihrer polnischen Heimat deutlich verbundener ist als Wiktor, erscheint nicht zur Verabredung. In den folgenden Jahren führt das Schicksal die beiden immer wieder in den Kulissen des Kalten Krieges zusammen: In Paris, wo Wiktor inzwischen als angesehener Jazzpianist und Filmkomponist arbeitet (der musikalische Kontrast zu den zwar authentischen und ergreifenden, aber auch etwas betulichen Volksliedern könnte nicht deutlicher sein), in Split (Jugoslawien, heute Kroatien) und wieder in Polen. Und obwohl beide immer wieder auch andere Partner haben, können sie während eineinhalb Dekaden nicht voneinander lassen – nur: Allzu lange geht das nie gut, weder im Pariser Exil, noch in der polnischen Heimat.

Pawlikowski porträtiert diese Amour fou als unaufhaltsamen Tanz dem Abgrund entgegen, als leidenschaftliche aber letztlich verhängnisvolle Liebesbeziehung, die nur innerhalb der Schranken eines oppressiven und geschlossenen Systems einigermaßen funktionierte – kommt sie hingegen mit der freiheitlichen Außenwelt in Berührung, lässt dies bei aller Anziehungskraft vor allem die Gegensätzlichkeit ihrer Lebenseinstellungen zu Tage treten. Im Vergleich zu Wiktor ist Zula nämlich nicht gewillt, für die Liebe ihre Heimat aufzugeben – auch deshalb, weil sie der wohlhabenden Pariser Intellektuellenschickeria bis auf ihren Trotz wenig entgegen zu setzen hat. Trefflich illustriert wird diese Kluft in einem geschliffenen Wortduell zwischen Zula und der französischen Geliebten Wiktors, Juliette (Jeanne Balibar), der Zula die Kompetenz abspricht, mit der französischen Übersetzung und Adaptation ihres Volksliedes die Quintessenz der Vorlage, und damit auch die einer polnischen Wesensart, getroffen zu haben. Die Sprache wird somit, über alle räumlichen Grenzen hinweg, zum wesentlichen nationalen Identifikations- und Assoziationsmerkmal. In dieser Hinsicht lässt sich Cold War lesen als eine Reflexion über Heimatverbundenheit und die vermeintliche Sicherheit und Geborgenheit, die autoritäre Systeme ihren Bürger(inne)n über einen engmaschigen propagandistisch-ideologischen Rahmen vermitteln wollen; der Film funktioniert damit aber auch als Kommentar zu jenen gegenwärtigen antidemokratischen und -europäischen Tendenzen, die Polen jüngst ergriffen haben.

(c) Opus Film

In formaler Hinsicht geriet Cold War recht streng – was die Identifikation mit den Figuren freilich nicht immer erleichtert. Pawlikowski hat sein vergleichsweise kurzes Historiendrama von etwa 90 Minuten in dem reduzierten, fast quadratischen (und heute bei Kinoproduktionen eher raren) 1.37:1-Format gedreht, das die Protagonisten – trotz der teilweise betörenden Einstellungen – mehr als einmal förmlich zu erdrücken droht; auch der straffe Schnitt überspringt gerne einmal wie selbstverständlich mehrere Jahre zwischen zwei Einstellungen.

Cold War, der Interviewaussagen Pawlikowskis zufolge lose auf der tatsächlichen, turbulenten Beziehung seiner Eltern während der Zeit des Kalten Krieges basiert, ist ein empfehlenswertes und reduziertes Drama über eine selbstzerstörerische Liebe, die ebenso zu einem Schlachtfeld wird wie der Ost-West-Konflikt – und schließlich nur einen einzigen Ausweg kennt.

 

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