forum_C: Das Mittelalter im Film

(Yves Steichen) Mittelaltermärkte, Ausstellungen, Musikaufführungen, Videospiele, Romane und Filme: Das europäische Mittelalter, also die Zeitspanne zwischen dem Ende der Spätantike (6. Jhd.) und dem Beginn der Frühen Neuzeit (15. Jhd.), übt nach wie vor eine bemerkenswerte populärkulturelle Faszination aus. Kein anderes Medium beeinflusst die Wahrnehmung und das allgemeine Bild dieser Epoche dabei deutlicher als Film- und TV-Produktionen, die schon aufgrund ihrer massentauglichen Form und Aufbereitung historischer Ereignisse einen beträchtlichen Einfluss auf die Geschichtsbilder ihres Publikums haben – und das obwohl sie dabei auch immer wieder auf (negative) Stereotypen zurückgreifen, die rein imaginären Vorstellungen des Mittelalters entsprungen sind.

Wie wird das Mittelalter in Filmen und TV-Serien dargestellt bzw. (re-)inszeniert, und welche Funktionen erfüllt es dabei? Diesen Fragen bin ich im Rahmen der interdisziplinären Fachtagung „Mittelalter zwischen Faszination und Fortschritt“, die zwischen dem 12. und 13. November 2018 an der Universität Luxemburg stattfand, nachgegangen; der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Punkte hinsichtlich der filmischen Repräsentation (bzw. Rekonstruktion) des Mittelalters zusammen.

Interessanterweise hat sich der Mittelalterfilm – im Gegensatz zum Antikenfilm, Western oder (Anti-)Kriegsfilm (der in der Regel, aber nicht ausschließlich, die kriegerischen Auseinandersetzungen des 21. Jhd. thematisiert) – nie als eigenständiges und klar konturiertes Filmgenre herausgebildet; ein Umstand, der möglicherweise auch auf die Abwesenheit eines einheitlichen Mittelalterbegriffs in der Geschichtsforschung zurückzuführen ist. Bezüge zum Mittelalter finden sich stattdessen in allen möglichen filmischen Gattungen, von Monumental- und Historienfilmen (Kingdom of Heaven, 2005, Flesh + Blood, 1985 oder Le Nom de la Rose, 1986) über Dramen (Det Sjunde Inseglet, 1957), Komödien (Les Visiteurs, 1993) und Abenteuerfilmen (Robin Hood: Prince of Thieves, 1991) bis hin zu Fantasyproduktionen nach Art der Lord of the Rings-Trilogie (2001 bis 2003) oder auch der TV-Serie Game of Thrones (seit 2011), welche zwar in einer hybriden, nur mittelalterlich anmutenden Welt angesiedelt sind, trotzdem aber deutlich von der tatsächlichen europäischen Mittelaltergeschichte inspiriert sind.

Game of Thrones (c) HBO

Meistens reichen dabei schon wenige Chiffren aus, um beim Publikum „mittelalterliche“ Bilder bzw. Vorstellungen zu evozieren: Burgen, König*innen, Ritter, Rüstungen und Waffen, Mönche, allgegenwärtiger Schmutz und Seuchen, aber auch bewusst eingearbeitete Anachronismen und imaginäre Elemente wie Fabelwesen (z.B. Drachen), Hexen, Magie und Okkultismus – die Grenzen zwischen dem Realen und dem Fiktionalen sind oft fließend. Die meisten dieser Chiffren (bzw. Genrekonventionen) insistieren auf den vermeintlichen Ruch des Mittelalters als besonders primitive und brutale Epoche. Das in Filmproduktionen aufgerufene Bild des Mittelalters ist demnach häufig an der Grenze zur Fantasie angesiedelt – selbst in Filmen, die immerhin die Ambition haben, historische Ereignisse auf akkurate Weise zu erzählen.

Diese einfach gestrickten Mittelalterbilder stellen freilich keine Überraschung dar, denn genau wie bei anderen eingangs erwähnten populärkulturellen Veranstaltungen und Medien steht auch bei Filmen eben nicht die historische Aufarbeitung von Geschichte im Mittelpunkt, sondern deren Aneignung zu Unterhaltungszwecken. Mit anderen Worten: Regisseur*innen, die historische Themen in filmischer Form erzählen, haben schlichtweg andere Ansprüche und Zielsetzungen als Historiker*innen. Filmische Rekonstruktionen sind zudem per se fiktional, da sie das Resultat komplexer kreativer Entscheidungsprozesse sind – Regisseur*innen müssen auch Bilder für jene Ereignisse finden, über die Historiker mangels Quellen hinwegsehen können.

Beide Aspekte bedingen, dass die oft bemühte Frage nach der Authentizität von Historienfilmen (Wie wahr bzw. richtig ist das, was auf der Leinwand zu sehen ist?) gar nicht im Mittelpunkt der Überlegungen stehen sollte – denn gerade hinsichtlich des Mittelalters drehen sich die Bemühungen selten darum, dieses in Filmen als historische Epoche zu rekonstruieren, sondern es vielmehr in Verhältnis zur gelebten Gegenwart zu setzen. Dementsprechend fungiert das filmische Mittelalter als Projektionsfläche für Sehnsüchte und Wünsche, aber auch für Ängste und Schaudervorstellungen. Aufgrund seines großen Identifikationspotentials wird das Mittelalter so zu einem Schauplatz, einem romantisierten Ort der Menschheitsgeschichte, dessen scheinbare Ordnung und klareren Hierarchien sich als Alternative zur Realität in Szene setzen lassen – bspw. um ein Unbehagen vor den Herausforderungen der Moderne zum Ausdruck zu bringen.

Alexander Nevski (c) Mosfilm

Der Historiker Valentin Groebner schlägt in seinem Buch Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen (C.H. Beck, 2008) ein Modell aus drei Erzählmodi vor, die die vielfältigen Möglichkeiten des „Redens [bzw. der Inszenierung] über das Mittelalter“ – und damit die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart – veranschaulichen sollen:

1) Genealogie: Eine vertikale Erzählweise, die eine unmittelbare chronologische Kontinuität bzw. Verbindung zwischen Mittelalter und jeweiliger Jetztzeit herstellt – man denke dabei u.a. an den letzten überlebenden Gralsritter aus Indiana Jones and the Last Crusade (1989), der Jones aufgrund seiner bestandenen Prüfungen als Wachablösung designiert, oder an den Historienfilm Alexander Newski (1938) von Sergei Eisenstein, der sein mittelalterliches Setting in die damalige Gegenwart übertrug, um das sowjetische Verhältnis zum Dritten Reich zu klären.

2) Identifikation: Nicht die chronologische, sondern die ideologische Verbindung zum Mittelalter steht im Zentrum der Erzählung, um eine subjektive Bindung an die Vergangenheit herzustellen – zumeist in Form aufgeklärter und „modern“ handelnder Figuren, die ihrer Zeit gewissermaßen voraus sind und somit die Perspektive des Publikums widerspiegeln; bspw. die Figur des franziskanischen Mönchs William von Baskerville in Le Nom de la Rose (1986), der rätselhafte Todesfälle in einer Benediktinerabtei im Jahr 1327 mit dem intellektuellen Rüstzeug der Gegenwart angeht und löst.

3) Alterität: Eine horizontale Erzählweise, die eben nicht die Gleich- sondern die Andersartigkeit des Mittelalters in Bezug auf die Gegenwart betont. Diese Fremdheit kann positiv oder negativ konnotiert sein – das Mittelalter erscheint also entweder als exotischer und mythischer Zufluchtsort für vorindustrielle und -aufklärerische Ursprungsfantasien der Menschheit (z.B. Lord of the Rings, 2001 bis 2003) oder als Schauplatz archaischer, ungehemmter Gewalt (z.B. Braveheart, 1995), der das Publikum seiner eigenen Fortschrittlichkeit vergewissert.

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