Die Akzeptanz des Anderen
(Marc Trappendreher) Regisseur Peter Farrelly, der sich in den 90er-Jahren mit erfolgreichen Komödien wie Dumb and Dumber (1994) und There’s Something About Mary (1998) einen Namen gemacht hat, präsentiert mit Green Book seine jüngste Regiearbeit und legt damit erstmals einen ernsteren Film an der Schnittstelle zwischen Drama und Komödie vor.
Amerika Anfang der 60er-Jahre: Tony Vallelonga (Viggo Mortensen), ein aus der Arbeiterklasse stammender Italo-Amerikaner ohne Schulabschluss, ist nach der Schließung des Copacabana-Clubs, in dem er als Türsteher tätig war, auf der Suche nach einem neuen Job. Da ist er ganz schön überrascht, als er vom afroamerikanischen Jazz-Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) als Chauffeur für dessen anstehende Tour in die Südstaaten eingestellt wird. Die Reise entpuppt sich als gewagtes Unterfangen in einem Gebiet, in dem Rassismus und Klassenunterschiede schnell zum Problem werden…
(c) Universal Pictures
Die Ausgangssituation erinnert an eine Inversion von Driving Miss Daisy (Bruce Beresford, 1989), ein Film, der sich Rassenkonflikten in den Achtzigern annahm. Das Drehbuch ist hingegen an die realen Erlebnisse von Tony Vallelonga angelehnt und wurde von dessen Sohn mitverfasst. Das titelgebende grüne Buch referiert auf das Negro Motorist Green Book, eine Art Reiseführer, der in den 60er Jahren Hotels, Restaurants und Musikclubs auflistete, zu denen Afroamerikaner Zutritt hatten.
Je tiefer die Reise in den Mittelpunkt menschlicher Kälte führt, desto stärker wird der Bund zwischen den beiden Männern. Green Book ist ein Schauspielerfilm: Vor allem Viggo Mortensen sieht man hier nach dem sehr gelungenen Captain Fantastic (Matt Ross 2016) wieder in Höchstform als einen äußerst direkten und nicht besonders intelligenten Vertreter der italo-amerikanischen Arbeiterklasse. Mortensen gelingt es, die Figur wunderbar abzurunden; er gibt hinter der schroffen, virilen Oberfläche des groben Proleten eine gänzlich liebenswerte Figur, ein im Kern herzensguter Mensch, dem die Familie und die Einfachheit des Lebens (vor allem gutes Essen) wichtig sind.
So aufdringlich er mit seiner Präsenz wirkt, so zurückgenommen ist das Spiel von Mahershala Ali (mit Moonlight (Berry Jenkins, 2017) als bester Nebendarsteller oscarprämiert), der hingegen das verschlossene, einsame Künstlergenie gibt, dessen Konflikt sich vorwiegend im Innern, hinter den stoischen Gesichtszügen abspielt. Erst in der Konfrontation mit seiner ungleichen Reisebegleitung und den zunehmenden rassistischen Entwürdigungen beginnt die äußere Hülle zu fallen. Farrellys Film bedient in der Figurenkonzeption Don Shirleys das Stereotyp des weisen, aber verschwiegenen und zurückhaltenden, ja sogar mysteriösen schwarzen Mannes, der seinen weißen Begleiter verändern wird. Dieses Bild hat sich im Hollywood-Kino gefestigt, die Figur des Ellis Boyd ‚Red‘ Redding (Morgan Freeman) in The Shawshank Redemption und John Coffey (Michael Clarke Duncan) in The Green Mile (beide von Frank Darabont 1994 u. 1999) kommen in den Sinn. Insofern dient die Figur des Shirley auf der reinen Handlungsebene vorrangig dazu, die Transformation des weißen Mannes zu initiieren; das Profil der Figur kann dann auch nicht ausgeprägter sein als das von Tony Vallalonga, zumal das Bild Don Shirleys primär auf den Erinnerungen des echten Vallalonga gründet und so zwangsläufig gefiltert ist.
(c) Universal Pictures
Seine Stärke aber bezieht der Film aus der Oszillation zwischen dem ernsten dramatischen Stoff um Rassenkonflikte und den komödiantischen Aspekten des Road-Movie. In seiner Darstellung der tagtäglichen Demütigungen, denen ein Schwarzer damals ausgesetzt war, ist der Film nahezu schonungslos. Es gibt Hotels, in denen Donald nicht übernachten darf, Tageszeiten, in denen er nicht draußen sein darf, Badezimmer, die er nicht benutzen darf, und selbst zu anderen Afroamerikanern findet er keinen Anschluss. Erstaunlich für einen zeitgenössischen amerikanischen Film ist, dass er die Härte der Auseinandersetzungen, die Donald über sich ergehen lassen muss weitestgehend ohne die Darstellung exzessiver brachialer Gewalt inszeniert. Sie liegt hingegen, und dies wirkt umso erschütternder, in der verbalen Sprache, in den vielen, oftmals ruhigen, als selbstverständlich angenommenen verletzenden Worten und nicht zuletzt in dem Wissen, dass alles durch den gesetzlichen Rahmen der Zeit legitimiert ist. Da wo manch einer diese Konfrontationen als etwas in der Vergangenheit Liegendes abtut, da fühlt sich manch anderer angesichts steigender Fälle rassistischer Diskriminierung in den vergangenen Jahren alarmiert. Farrelly beweist ein feines Gespür dafür, die eindringlichsten Momente des rassistischen Hasses mit teils süßem, teils bitterem Humor auszubalancieren. Die Erfahrung mit Filmkomödien zeigt sich dann auch im perfekten Timing seiner Darsteller. Mit der Komödie scheint Farrelly gleichsam das passende Genre gefunden zu haben, mit dem man rassistischen Denkweisen begegnen kann, indem er sie teils mit sehr pointiertem Humor offenlegt.
Dass er seine Figuren durch die mitunter sehr bewegenden Erlebnisse mit großer harmonischer Geste zusammenführt und den Film damit als Hoffnungsschimmer für bessere Zeiten zelebriert, mag gegen Ende etwas zu forciert erscheinen. Die Vertrautheit der italienisch-amerikanischen Familie löst den Konflikt und die Einsamkeit des schwarzen Künstlers auf. Der Schluss wirkt dann in seiner typischen Hollywood-Manier auch wenig überraschend und vermag beim breiten Publikum gut anzukommen. Mit Les Intouchables hat das Regie-Duo Olivier Nakache und Éric Toledano 2011 bereits bewiesen, dass solche buddy-movies große Einspielergebnisse generieren können, mitunter mutet Green Book sogar wie eine Reaktion auf diesen Film an. Für ein anspruchsvolles Publikum mag der Film deshalb stellenweise zu vereinfachend, in seiner Darstellung der sozialen Konflikte, die Sichtweise verkürzend erscheinen. Der Film verfolgt dabei wohl den Zweck, vor allem das weiße Publikum an die Schwierigkeiten vergangener und gegenwärtiger Rassenunterschiede zu erinnern. In Zeiten, wo der Rechtspopulismus wieder stärker wird, ist das Erscheinen eines Films wie Green Book kaum verwunderlich, will der Film doch implizit vergegenwärtigen, auf welch unmenschliche Art und Weise Rassenkonflikte auch heute noch und nicht nur in Amerika ausgetragen werden.
Beim Filmfestival in Toronto wurde Green Book 2018 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet –oscarverdächtig ist der Film aufgrund seiner konsensfähigen Haltung allemal.
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