forum_C: „Once Upon a Time… in Hollywood“ von Quentin Tarantino

★★★☆☆

Der folgende Text enthält Spoiler!

(Yves Steichen) Gemessen an den Reaktionen, die sie mit schöner Regelmäßigkeit in den Medien und in der Öffentlichkeit hervorrufen, scheinen die Filme von Quentin Tarantino eine Art ‚kinematografisches Happening‘ darzustellen – selbst bei Menschen, die ansonsten selten ein Kino aufsuchen. Woran das liegt, ist nicht immer leicht zu verstehen. Die Spielfilme des amerikanischen Regisseurs, die stets auf seinen eigenen Drehbüchern beruhen, sind allesamt lang – teilweise sehr lang: die 70mm-Fassung von The Hateful Eight brachte es auf stolze 187 Minuten –, in nicht-chronologischer Reihenfolge erzählt und scheuen weder eruptive Gewaltdarstellungen noch bisweilen zotige Gags.

(c) Sony Pictures Entertainment

Eines zieht sich dabei wie ein roter Faden durch Tarantinos Œuvre: Seine geradezu obsessive Verehrung für das Hollywoodkino von früher, vor allem für Italowestern und trashige Genreproduktionen wie Gangster- und Kriegsfilme, denen er mittels unzähliger filmischer Verweise huldigt bzw. nach Belieben mit deren Konventionen spielt. Das Resultat reicht von grandios (Inglourious Basterds, 2009) bis durchwachsen (Django Unchained, 2012) und auch in seinem neunten (angeblich vorletzten) Spielfilm Once Upon a Time… in Hollywood frönt Tarantino wieder seiner Liebe für das traditionelle Western- und Actionkino der fünfziger und sechziger Jahre, das er in Relation zu den soziokulturellen und filmischen Umbrüchen dieser Zeit – Hippiebewegung, New Hollywood, schließlich das Massaker an der Schauspielerin Sharon Tate und ihrer Entourage durch Anhänger des Sektenführers Charles Manson – zu setzen versucht; leider nur mit mäßigem Erfolg.

Hollywood, Los Angeles, im Jahr 1969: In einer Fantasieversion der Traumfabrik, die mehr mit Tarantinos Vorstellungskraft als mit der tatsächlichen historischen Realität gemein hat, schlagen sich die beiden Freunde Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), Hauptdarsteller in Westernserien, und Cliff Booth (Brad Pitt), sein langjähriges Stunt-Double, inzwischen mehr schlecht als recht durch das Leben. Rick spürt, dass er den Zenit seiner Karriere überschritten hat ohne ihn je wirklich erreicht zu haben und dass das Showgeschäft um ihn herum dabei ist, sich zu verändern – seine zehnjährige Szenenpartnerin Trudi (Julia Butters) etwa klärt ihn über die Grundlagen des Method Acting auf. Kurzum: Rick steht kurz davor, Rollen in den ihm verhassten Italowestern annehmen zu müssen. An seinem Lebensstil ändert das vorläufig noch nichts: Er wohnt in einem luxuriösen Anwesen in bester Lage am Cielo Drive, als neue Nachbarn sind gerade der polnische Regisseur Roman Polanski (Rafal Zawierucha) und seine Ehefrau Sharon Tate (Margot Robbie) eingezogen.

Seinem Kumpel Cliff geht es schlechter: Als Stuntman genießt er einen zweifelhaften Ruf und die Rollenangebote sind rar. So kutschiert er Rick in einem beigen Cadillac durch das (üppig ausgestattete und rekonstruierte) Hollywood, ist ein stiller Begleiter bei Meetings und teilt auch gerne mal mit Rick dessen Vorliebe für Hochprozentiges. Seine Wege kreuzen sich mit dem Hippie-Mädchen Pussycat (Margaret Qually), das ihn mit auf die heruntergekommene Ranch des obskuren Gurus Charles Manson nimmt…

Tarantino greift in Once Upon a Time… in Hollywood vieles von dem wieder auf, was frühere Filme ausmachte – und doch wirkt das Resultat dieses Mal deutlich uninspirierter, formelhafter und zielloser als sonst, ganz so als drehe er sich inzwischen in einem erzählerischen Kreis aus Fremd- und Selbstzitaten.

Wieder gibt es eindrucksvolle Panoramaaufnahmen (in einigen Kinos wurde eine 70mm-Kopie des Films gezeigt), viele Gastauftritte (von Kurt Russell über Bruce Dern hin zu Damian Lewis, der den realen Steve McQueen verkörpert) und teils ehrerbietige, teils sarkastische Verweise auf mehr oder weniger bekannte Werke der Kinogeschichte. Wieder gibt es die (immer noch zweifelhafte) Fetischisierung von Frauenkörpern und den unvermeidbaren Gewaltausbruch am Ende, auch wenn dieser in einer anderen Form daherkommt, als man angesichts der Thematisierung der Sharon-Tate-Morde vielleicht annehmen würde. Wieder gibt es die gewaltsame filmische Neuschreibung eines traumatischen historischen Ereignisses – und an ebendieser Stelle enttäuscht Tarantino dieses Mal.

(c) Sony Pictures Entertainment

Die Umschreibung einer historischen Gewalterfahrung gestaltet sich in Once Upon a Time… in Hollywood in der Tat problematischer als beispielsweise in Inglourious Basterds oder Django Unchained. Waren es in diesen Filmen sozusagen die „Betroffenen“ selbst (Shosanna Dreyfus als Jüdin, Django als Afroamerikaner), die sich retroaktiv und symbolisch für eine geschichtliche Ungerechtigkeit rächten – in Inglourious Basterds durch die Macht des Kinos, das als wirkmächtigstes Propagandainstrument des NS-Staates ebendiesen auch zu Fall bringt, in Django Unchained mittels einer durch und durch entfesselten, mit anachronistischer ‚schwarzer‘ Musik untermalten Ballerorgie. In Once Upon a Time… in Hollywood hingegen fehlt diese Reflexion über die Sinn- und Zweckmäßigkeit – oder, aus Tarantinos Sicht: die Notwendigkeit – einer filmischen Neuschreibung des abgründigen Mordes an Sharon Tate, der Hollywood (und die ganze Welt) seinerzeit in die Realität zurückholte und in eine Schockstarre versetzte. Beide Protagonisten, Rick und Cliff, vereiteln hier rein zufällig die Pläne der Manson-Anhänger.

Diese Idee hätte möglicherweise funktionieren können, wenn sich Tarantino in den zwei Stunden davor im Ansatz die Mühe gemacht hätte, seine beiden Hauptfiguren als Vertreter des ‚traditionellen Hollywoods‘ in eine sinnvolle Beziehung zu den Akteuren und Filmen des ‚New Hollywood‘ zu stellen. So aber tauchen Polanski und Co. in Once Upon a Time… in Hollywood zwar als bohème Künstler am Rande auf, doch die Fragen, wofür sie stehen und auf welche Weise sie mit ihren Filmen auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie einwirkten und diese veränderten, thematisiert Tarantino nicht – das erzählerische Motiv der drohenden Zeitenwende in Hollywood verkommt so zu einer reinen Behauptung, die es Tarantino erlaubt, während zwei Dritteln seines Films eine nostalgisch-anekdotische Hommage auf das ‚Goldene Zeitalter‘ Hollywoods an die nächste zu reihen.

(c) Sony Pictures Entertainment

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass er sich freilich auch nicht tiefergehend mit den tatsächlichen Auswüchsen der Hippiebewegung (ausufernder Drogenkonsum und dubiose Einstellungen zu Sexualität) abgibt, sondern diese allein auf den rassistischen Manson-Clan reduziert. Dem gegenüber stehen Rick und Cliff als integre Haudegen der ‚alten Schule‘ – Cliff weigert sich etwa standhaft, mit dem mutmaßlich minderjährigen Hippie-Mädchen zu schlafen. Zwar ließen sich diese Kritikpunkte sicherlich einfach abtun mit dem Verweis darauf, all dies sei bloß eine ‚Fan-Fiction‘-Version der tatsächlichen historischen Ereignisse unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit, doch wer sich so beharrlich bei geschichtlichen Personen und Ereignissen bedient, muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, dies der reinen Selbstgefälligkeit halber zu tun.

Once Upon a Time… in Hollywood ist kein völliges Desaster – das Spiel zwischen DiCaprio und Pitt stimmt, manche Rekonstruktionen schundiger B-Filme und- Serien sind durchaus unterhaltsam, und einzelne Sequenzen, wie etwa Cliffs Besuch auf der Manson-Ranch, sind vorzüglich inszeniert – doch thematisch und erzählerisch bleibt Tarantinos neunter Film hinter seinen früheren Werken zurück: Sein Umgang mit dem exzessiven Mord an Sharon Tate und ihren Bekannten ist ungelenk und seine ungehemmt rabiate filmische Neuschreibung des Mordes als Massaker an den Manson-Anhängern zeugt nicht eben von gutem Geschmack.

Diese Kritik entstand in Zusammenarbeit mit Viviane Thill und Anne Schaaf.

Aktuell in den Kinos.

Siehe auch: Cannes, Jour 8: Jeux de massacre

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