forum_C: „Parasite“ von Bong Joon-ho

★★★★☆

Die da oben

(Yves Steichen) Parasite (Originaltitel: Gisaengchung) von Bong Joon-ho (u.a. Snowpiercer, 2013 und Okja, 2017) beginnt nicht oben, sondern unten: Die vierköpfige Familie Kim haust in einer heruntergekommenen Kellerwohnung in einem Elendsviertel der südkoreanischen Hauptstadt Seoul.  Obwohl die Kims – bestehend aus Vater Ki-taek (Kang-ho Song), Mutter Chung-sook (Hyae Jin Chang) sowie den beiden erwachsenen Kindern Ki-woo (Woo-sik Choi) und Ki-jung (So-dam Park) – nur einen winzigen Schritt vor dem endgültigen sozialen Abstieg stehen, hegen sie einen Sinn fürs Pragmatische und haben gelernt, zusammenzuhalten und aus ihrer Not eine Tugend zu machen. Das Quartett erledigt stoisch jeden noch so schlecht bezahlten Gelegenheitsjob, wie etwa Pizzaschachteln im Akkord zu falten, Sohn Ki-woo sucht die Wohnung nach kostenlosen Wifi-Netzen aus der Nachbarschaft ab und wenn schon mal die Straße vor dem Appartement von der Stadtverwaltung desinfiziert wird, kann man ja auch die Fenster sperrangelweit öffnen, um die eigenen vier Wände von Insekten zu befreien.

(c) Barunson E&A Corp

Die ‚Parasiten‘ aus dem Titel von Bong Joon-hos giftiger Tragikomödie erhalten jedoch alsbald (und eher unerwartet) die Chance, ihrer prekären Situation zu entkommen: Ein Schulfreund von Ki-woo bietet diesem an, ihn als Nachhilfelehrer für die Tochter der wohlhabenden Familie Park um Vater Dong-ik (Sun-kyun Lee) zu vertreten. Mit einem gefälschten Universitätsdiplom und einem artigen Auftritt beim Vorstellungsgespräch schafft es Ki-woo schnell, die völlig überforderte Mutter der Parks, Yeon-kyo (Yeo-Jeong Cho), für sich einzunehmen und die Anstellung zu erhalten. Doch damit nicht genug: Durch geschicktes Zuhören und Beschwatzen gelingt es ihm auch noch, Yeon-kyo die eigene Schwester als Kunstlehrerin für den intellektuell begabten, aber ziemlich komplizierten Sohn der Parks unterzujubeln. Einmal in Fahrt, hören die Kims allerdings noch lange nicht auf. Mittels fiesen Tricksereien sorgen sie dafür, dass auch der Chauffeur und die langjährige Haushälterin durch eigene Familienmitglieder ersetzt werden – bis das Quartett schließlich übermütig wird, die Kontrolle über die Situation verliert und sich die opulente Glas- und Betonvilla von ‚denen da oben‘ in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt… 

Der Horror hält nur sehr langsam (aber dann umso vehementer) Einzug in die Erzählwelt von Parasite – was auch daran liegt, dass sich Bong Joon-ho zunächst viel Zeit für die Ausarbeitung seiner scheinbar gegensätzlichen Familienquartette nimmt und dabei auf allzu schematische, erwartbare Charakterzeichnungen weitestgehend verzichtet: Die Parks sind trotz ihres Wohlstandes keine gefühlskalten Unmenschen, die Kims trotz ihrer bemitleidenswerten Ausgangssituation keine eindeutigen Identifikationsfiguren – egoistisch und gnadenlos verteidigen auch sie die Position(en), die sie im Lauf der Geschichte einnehmen.

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Wie Chang-dong Lee in Burning (2018, https://www.forum.lu/2018/09/02/forum_c-suedkorea-in-flammen-burning-von-lee-chang-dong/),zeigt auch Bong Joon-ho in Parasite, dass das System des Kapitalismus eine tiefe Schneise in die südkoreanische Gesellschaft geschlagen hat, die nur wenige Gewinner und dafür umso mehr Verlierer hervorgebracht hat.

Die daraus resultierenden gesellschaftlichen Gegensätze und Konflikte werden dabei gar nicht unbedingt vertikal, also zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘, ausgefochten (beide Gruppen treten aufgrund moderner Stadtgeografien ohnehin kaum noch in Kontakt zueinander), sondern horizontal, unter den Ärmsten der Gesellschaft, die sich früher oder später gegenseitig zerfleischen. Auch die Kims zeigen sich ziemlich unsolidarisch mit den geschassten Bediensteten der Parks, die ihre durch Gewitztheit, Trickserei und Anpassungsfähigkeit – alles durchaus kapitalistische ‚Tugenden‘ – erworbenen Vorteile im späteren Handlungsverlauf wieder in Gefahr bringen. Bong Joon-ho wirft hier durchaus moralische Fragen auf: Ist das Verhalten der Kims nun egoistisch und rücksichtslos, oder machen sie sich bloß (bzw. endlich) jene gesellschaftlichen Machtverhältnisse und -mechanismen zu eigen, die sie zuvor in ihrer desolaten Lage zementiert haben? Der aus der Naturwissenschaft bekannte Ausdruck des ‚Survival of the Fittest‘ erfährt hier gewissermaßen eine erneute Anwendung auf die menschliche Gesellschaft.

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Erst ganz am Schluss von Parasite wird auch die Oberschicht in diesen mörderischen Überlebenskampf mit einbezogen, und die Geburtstagsfeier für das Park-Söhnchen, die schließlich zu einem rabiaten, absurd zugespitzten Schlachtfest verkommt, kann auch ohne allzu viel Fantasie als stellvertretend für die kapitalistische Zivilisation verstanden werden. Aller vorheriger Ambivalenz zum Trotz findet Bong Joon-ho am Ende von Parasite dann doch noch drastische und eindeutige Metaphern für die Bebilderung der gesellschaftlichen Ungleichheiten, der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des sozialen Aufstiegs: Was für die einen ein bloß befreiender Regen ist, stellt eine existenzbedrohende Sintflut für die anderen dar.

Parasite ist eine hervorragend inszenierte, teils poetische Genrekreuzung aus Tragikomödie, Sozialdrama und Horrorthriller, die bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes zu Recht mit der Goldene Palme prämiert wurde. Sehr empfehlenswert.

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