★★★★☆
(Anne Schaaf) Grímur Hákonarsons „Mjølk“ beginnt mit dem Leben; ein Kalb wird geboren. Wie viele isländische Bauern, wird es Milch brauchen, um zu überleben. Das sogenannte „weiße Gold“ ist jedoch in Gefahr und wird in diesem Drama in mehrfacher Hinsicht zur Waffe, die unter anderem dem Machtmissbrauch dient.
(c) Haut et court
Island sowie seine teils übernatürlich wirkenden Landschaften lassen sich wie viele andere Länder zauberhaft auf Postkarten darstellen, über deren Ränder dann aber zahlreiche Besucher nicht hinaus schauen wollen. Nun ist der dünn besiedelte Inselstaat im Nordwesten Europas sicherlich nicht mit Kambodscha, Madagaskar oder Myanmar vergleichbar, nichtsdestotrotz fällt er wie diese nur scheinbaren Paradiese der Tatsache zum Opfer, dass sich jene, welche diese Orte als Besucher überrennen, nur selten für das interessieren, was hinter den Kulissen passiert.
Und dabei ist es genau dort – also beispielsweise im Hinterland Islands, in der Einöde –, wo die Einwohner um ihre Existenz kämpfen, die nicht selten auch etwas mit dem Erhalt der Natur zu tun hat, die Aussenstehende so sehr bewundern. Eine von ihnen ist die Landwirtin Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir), welche direkt am Anfang der Handlung ihren Mann Reynir (Hinrik Ólafsson ) verliert und relativ zeitnah feststellen wird, dass er keines natürlichen Todes starb.
Sie stellt einen Zusammenhang her zwischen ihrer misslichen Lage, die unter anderen eine starke Verschuldung des eigenen Bauernbetriebs impliziert, und der Kooperative, der das Ehepaar angehört und von der es extrem abhängig ist. Es beginnt ein zäher Kampf um Unabhängigkeit, bei dem eine Art Befreiungsschlag gegen diesen mafiaähnlichen Verband erreicht werden soll, der seine Monopolstellung genießt und ausnutzt. Bei diesem Unterfangen wird sich aber nicht allein der Endgegner gegen sie stellen, sondern auch andere Landwirte, die dies nicht zwingend aus Überzeugung, sondern vielmehr aus Angst tun.
(c) Haut et court
Demnach handelt es sich bei „Mjølk“ unter anderem auch um eine soziale Mikro-Studie, die offenlegt, welche gefährlichen Dynamiken in einem Kollektiv entstehen können, wenn in einer ohnehin belastenden Situation eine weitere Verschlechterung erahnt wird. Obwohl allein der Begriff der Kooperative ja schon eine Zusammenarbeit oder gar Zusammenhalt suggeriert, kommt der Zusammenschluss in diesem Fall eher einer Zwangsvermählung gleich, die nur deshalb nicht aufgelöst wird, weil es auf der Insel keine Alternative gibt. Inga sieht sich Drohungen und Kritik gegenüber, die alles aber nicht konstruktiv daherkommt.
Sie lässt sich indes nicht unterkriegen und wird somit in diesem Film zu einer weiblichen Kämpferin, bei der es keiner extra Portion Schnick Schnack oder unnötigem Overacting bedarf, um sie auch als solche darzustellen. Anstelle eines enganliegenden Bodys, eines Capes und schicker roter Stiefel, trägt diese ungeschönte Superwoman weite Wollpullis und Gummi-Stiefel und hat als Waffe die Kompetenz, Tacheles zu sprechen. Dies tut sie denn auch im Rahmen kurzer aber prägnanter Monologe sowie bei den Dialogen, die sparsam, aber sinnvoll eingesetzt werden.
(c) Haut et court
Ebenso gelingt es dem Regisseur Grímur Hákonarson eine Seite von Island zu zeigen, der es zwar nicht an Schönheit fehlt, die aber weit über romantische Verklärung hinaus geht. Ähnlich wie bei der Hauptperson, steht eine Natürlichkeit im Vordergrund, die vielleicht genau deswegen bedrohlich werden kann, weil man es heutzutage fast schon nicht mehr gewohnt ist, sowohl Menschen als auch die Natur ohne eine doppelte Ladung Filter zu betrachten. Er verschreibt sich ebenso wie bei seinem vorherigen Film „Rams“, in dem es um zwei verfeindete Brüder ging, die trotz ihres Streits die familieneigene Schafszucht erhalten müssen, dem Verschwinden traditioneller Berufe und somit einer rauen Realität, die auf den zuvor erwähnten Postkarten nun mal nicht gezeigt wird.
Bei „Mjølk“ wird auf jedweden Pathos verzichtet. Er berührt, da wo’s Sinn macht und verpasst es nicht, einem an manchen Stellen ein – wenn auch zögerliches – Lachen aufgrund von eher düsterem Humor zu entlocken.
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