forum_C: „Joker“ von Todd Phillips

Der folgende Text enthält leichte Spoiler.

 (Yves Steichen) Die folgende Aussage liest man derzeit durchaus häufiger: Wäre es DC Films und Warner bis dato gelungen, ein erfolgreiches Cinematic Universe à la Marvel (mit u.a. den Avengers-Filmen) auf die Beine zu stellen, gäbe es einen Film wie Joker (Drehbuch und Regie: Todd Phillips, u.a. bekannt durch die Hangover-Trilogie, 2009-2013) womöglich gar nicht. Denn obwohl auch hier eine der faszinierendsten und kontroversesten Figuren der Comic- und Kinowelt von DC im Mittelpunkt steht, ist Phillips‘ Film konsequent gegen den Strich der immer noch sehr populären und profitablen Superheldenfilme gebürstet.

(c) DC Entertainment / Warner Bros.

Konzipiert und beworben als Origin-Story im Gewand eines anspruchsvollen Sozialdramas, soll sich Joker – auch wegen seiner teils expliziten und ungehemmten Gewaltdarstellungen – vornehmlich an ein erwachsenes Publikum richten, denen die üblichen Comicadaptationen zu kindisch und effektgeladen sind; Martin Scorsese, dessen Filmographie bei Joker unverkennbar Pate stand, ließ etwa kürzlich verlauten, „Marvel-Filme seien für ihn kein Kino“, sondern „Vergnügungsparks.“

Bis jetzt scheint die Marketingstrategie von Warner aufzugehen. Joker wurde nicht nur im September (ziemlich überraschend) mit dem Hauptpreis der Filmfestspiele von Venedig, dem Goldenen Löwen, ausgezeichnet, sondern hat seit seinem Erscheinen auch Diskussionen über die Motivationen seiner Hauptfigur, dem erfolglosen Comedian Arthur Fleck (verkörpert von Joaquin Phoenix), ausgelöst: Legitimiert der Film die Gewalt, die von Flecks clownesk-gefährlichem Alter Ego Joker ausgeht, bzw. stachelt der Film dazu an, es ihm gleichzutun? Liefert er den Außenseitern und Abgehängten dieser Welt eine Anweisung zum militanten Widerstand, ein Ventil, einen Befreiungsschlag? Vieles davon läuft allerdings ins Leere, soviel sei bereits gesagt, denn Joker ist in erster Linie ein herausragend gespieltes und fotografiertes Psychodrama, das eben nicht weniger gekonnt zum Skandalon hochgejubelt wurde.

(c) DC Entertainment / Warner Bros.

Nach Cesar Romero, Jack Nicholson, Mark Hamill, Heath Ledger und Jared Leto ist Joaquin Phoenix nun der sechste Schauspieler, der den ikonischen Batman-Widersacher in Clownschminke, welchem qua seiner Natur stets etwas Hysterisch-Wahnsinniges und Nihilistisches, und ja: auch etwas Politisches, anhängt, verkörpert – und Philipps/Phoenix finden, entgegen aller anfänglichen Zweifel, tatsächlich eine weitere Nische für die Comicfigur, können ihr neue, eigenständige Facetten abgewinnen.

Während Romero und Nicholson ihre Joker als überdrehte Kriminelle mit Hang zum Burlesken spielten, und Ledger die düstere und anarchische Ambiguität des Batman-Bösewichts hervorbrachte, die seinerzeit perfekt mit der Post-9/11-Paranoia in den USA korrespondierte, interpretiert Phoenix ihn als gequälten und traumatisierten Außenseiter, der kaum soziale Kontakte hat und den Tag nicht ohne sieben verschiedene Psychopharmaka übersteht. Philips knüpft in Joker auch immer wieder an diese filmische (bzw. zeichnerische) „Vorarbeit“ von Tim Burton, Christopher Nolan und Alan Moore an, und reflektiert im späteren Verlauf des Films wiederholt auch die Position, die die Figur, losgelöst von einem bestimmten Film oder Comic, inzwischen in der Popkultur angenommen hat, sowie die Faszination, die sie genießt.

(c) DC Entertainment / Warner Bros.

Gotham City, 1981: In einer Vision, die überdeutlich an die Siebziger-Jahre-Großstadtbilder von William Friedkin und Martin Scorsese (bspw. The French Connection, 1971 und Taxi Driver, 1976) angelehnt ist, lebt Arthur Fleck, der, soeben aus der Psychiatrie entlassen, sein Geld als Partyclown bei Schlussverkäufen verdient und zusammen mit seiner kranken Mutter Penny (Frances Conroy) in einer heruntergekommenen Wohnung haust. Die Stadt ist ein stinkender Moloch, in dem die Müllabfuhr streikt, die Kriminalität die Straßen erobert und die Kluft zwischen Arm und Reich dabei ist, vollends auseinanderzudriften. Selbst in diesem hochtoxischen Umfeld ist Arthur ein isolierter Einzelgänger, mit dem kaum jemand sich abgeben möchte – er leidet an einer chronischen psychischen Erkrankung, die ihn unkontrolliert und in den unpassendsten Momenten hysterisch auflachen lässt. Als er zum wiederholten Male in seinem Clownskostüm von Rowdies niedergeschlagen und gedemütigt wird, holt er zum Gegenschlag aus: Im Affekt tötet er zwei der Angreifer, den dritten erschießt er kaltblütig auf dem U-Bahnsteig. Ohne es zu wollen, und ohne sich dessen zunächst bewusst zu sein, avanciert er zur Gallionsfigur einer Anti-Establishment-Bewegung, deren Anhänger, in krude Clownsmasken gewandet, nach und nach Chaos und Gewalt in den Straßen von Gotham City säen, um den Eliten ihre Privilegien zu nehmen. Arthur feilt indes erfolglos an seiner Karriere als Stand-Up-Comedian, und macht dabei eine so unglückliche Figur, dass er in die Schusslinie seines Idols, dem Late-Night-Talker Murray Franklin (Robert de Niro) gerät, der ihn in seiner Sendung vorführt. Arthur, tief gekränkt, nimmt in Gebaren und Outfit zunehmend die Persona seines Alter Egos Joker an, und sinnt auf Rache: „I used to think that my life was a tragedy, but now I realize, it’s a comedy.“

(c) DC Entertainment / Warner Bros.

Joker unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von gängigen Superheldenfilmen, seien sie aus dem filmischen DC- oder dem Marvel-Universum. Da wäre – neben dem kompletten Verzicht auf Superkräfte oder andere unwirkliche Spielereien – die Ernsthaftigkeit, mit der Philipps seine verbitterte, psychisch kranke Hauptfigur in Szene setzt: Es gibt keinen Anflug von Humor, keinen einzigen Moment der (Selbst-)ironisierung. Untermalt von der zutiefst beunruhigenden (wenngleich hervorragenden) Musik von Hildur Guðnadóttir (Chernobyl, 2019) spielt Phoenix seinen gekränkten Arthur/Joker dermaßen erratisch und schauderhaft irgendwo zwischen Mitleid und Ekel, dass sich die Figur bis zum Ende jeglicher Identifikation verwehrt. Das Gute daran: Bei allem Mitgefühl, das Autor und Regisseur Philips zwischenzeitlich für den gebrochenen Charakter aufbringt, verehrt er zu keinem Moment dessen abgründige Taten, sondern belässt sie unkommentiert ihrer für sich selbst sprechenden Reuelosigkeit.

Allzu kalkuliert und angestrengt wirkt dagegen die Hartnäckigkeit, mit der Philips seinen Joker trotz des fiktiven Achtziger-Jahre-Settings mit allen Mitteln im Hier und Jetzt verankern möchte, sozusagen als filmische Diagnose der gegenwärtigen amerikanischen (bzw. westlichen) Gesellschaft, die seit einigen Jahren nun schon geprägt ist von sozialen Rissen und Fragmentierung (z.B. die Occupy Wall Street-Bewegung), zwiespältigen politischen Botschaften durch US-Präsident Trump und seiner Entourage sowie einem schwindenden Vertrauen in politische und demokratische Institutionen. Dadurch, dass am Ende irgendwie alle Schuld an Arthurs/Jokers miserablem Zustand zu sein scheinen – die eigene Psyche und verschiedene Kindheitstraumata, die übergriffige Mutter, eine fehlende Vaterfigur, die brutalisierte Gesellschaft, die Kürzungen im Sozialsystem, die abgehobenen Eliten bzw. „die da Oben“, usw. – entsteht auch eine gewisse Beliebigkeit, die möglicherweise miterklärt, wieso sich die Reaktionen auf den Film derzeit in schwindelerregendem Tempo multiplizieren und sich alles Mögliche, auch Widersprüchliche, in den Film hineindeuten lässt.

Mit etwas mehr erzählerischer Konsequenz in der Auflösung und dem Mut, den filmgeschichtlichen Windschatten von Scorsese zu verlassen, hätte Joker sicherlich ein ganz großer Wurf werden können – so bleibt Philips‘ Adaptation ein herausragend gespielter und bebilderter Psychothriller, der aber gegenwärtig auch viel von seinem eigenen Hype lebt.


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