forum_C: „Péitruss“ von Max Jacoby

(Anne Schaaf) Bei seinem zweiten Langfilm Péitruss bleibt der luxemburgische Filmemacher Max Jacoby sich auch ein Jahrzehnt nach seinem Debüt Dust treu; erstellt unkonventionelle Psychogramme und behandelt Themen, welche die luxemburgische Harmoniesucht stören.

(c) Samsa Film

Eine Frau und ein Mann betreten einen spärlich beleuchteten Raum. Sie betrachtet ihn im Zwielicht. In diesem wird er im übertragenen Sinn für die kommenden anderthalb Stunden verbleiben. Sie muss entscheiden, in welchem Licht sie ihn sehen möchte und gerät dabei immer wieder in einen Taumel durch die Dunkelheit der menschlichen Psyche.

Lara (Peri Baumeister) arbeitet als Betreuerin in einem Kinder- und Jugendheim und trifft sich mit dem Taxifahrer Joakim (Maarten Heijmans), welcher eigentlich davon träumt, ein eigenes Kampfsport-Studio zu eröffnen. Laras Ex-Partner Toni (Jules Werner) ist Polizist und stellt ­– ob nun aus verschmähter Liebe oder beruflichem Instinkt heraus bleibt unklar ­– einen Zusammenhang zwischen ungeklärten Mordfällen an jungen Frauen und Laras neuem Freund her. Soweit, so ungut. Augenblicklich wird klar, dass dem Publikum hier kein Teekränzchen auf einer handverzierten, weißen Tischdecke serviert wird.

Péitruss lässt sich unter anderem im Bereich des Neo-Noir verorten, was auf seine extrem finstere Grundstimmung und seine Bildsprache zurückzuführen ist. Wie bei Jacobys Spielfilm-Debüt Dust fühlt man sich aufgrund des Umgangs mit Farbgebungen und Kompositionen, der förmlich jede einzelne Einstellung wie ein Gemälde erscheinen lässt, an eine perturbierte, extrem düstere Version von Wes Anderson erinnert. Ähnlich wie bei benanntem amerikanischen Regisseur haben die einzelnen Sequenzen auf den ersten Blick auf der Ebene der bildlichen Darstellung etwas Zärtliches, ja fast Kindliches, das dann aber in eine gegenteilige Grundstimmung umschlägt.Durch diese Vorgehensweise sowie ein wiederkehrendes Spiel mit Licht und Schatten schafft Jacoby eine düstere und bedrohliche Atmosphäre, die auch am helllichten Tag nicht abklingt. 

Die Genrebezeichnung trifft ebenfalls zu, weil der Fokus bei Péitruss klar auf der Entwicklung der Charaktere liegt. Vor allem die innere Zerrissenheit der Figur der Lara steigert sich ins Unermessliche und schafft (zumindest zeitweilig) Spannungsbögen. Dass Baumeisters schauspielerische Leistung nicht gleich auf mit jener von Heijmans liegt, hat weniger mit ihrer eigentlichen Kompetenz, als vielmehr damit zu tun, dass sein Film-Charakter von einem Extrem in das andere übergeht. Sein verqueres Inneres kehrt sich immer stärker nach außen, was dem Schauspiel eine andere Dynamik erlaubt. Die Figur der Lara durchlebt zwar auch ungeahnte Veränderungen, diese zeichnen sich jedoch eher auf der Reflexionsebene ab.

Zwar ist die dazugehörige Musikauswahl (David Sinclair) passend gewählt,  wird aber in einem derartigen Überfluss eingesetzt, dass man meinen könnte, es würde jemand samt Leuchtreklame und Megaphon mitteilen wollen: „Falls jetzt auch der letzte Depp noch nicht verstanden haben sollte, dass bald was Schlimmes passiert, dann sei er hiermit darauf hingewiesen.“ Durch den Eindruck der Kompensation machen sich hier erste narrative Mängel bemerkbar.

Weit mehr als nur „sex sells“

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Des Weiteren, und dieses Charakteristikum zieht sich durch den gesamten Film, kann Péitruss in der Welt der erotischen Psychothriller angesiedelt werden. Äußerst explizite Sexszenen zwischen Lara und Joakim, welche beim Geschlechtsverkehr Griffe aus dem Kampfsport-Kontext verwenden und einen Teil der sexuellen Energie aus der kontrollierten Gewalt und gemeinsamen Grenzüberschreitung schöpfen, verleihen dem Film seinen Rhythmus. Sie schlafen, obwohl sie immer wieder aufgrund von Verdachtsmomenten auseinander zu driften drohen, regelmäßig miteinander. Lediglich der Auslöser für die Attraktion, die von Joakim ausgeht, scheint sich für Lara zu verändern, deren Lust sie auch noch übermannt, als sie schon längst nicht mehr weiß, ob sie ihm vertrauen oder ihn doch eher fürchten sollte.

Eben diese Szenen dürfen nicht unbedingt als Novum, aber dafür im Rahmen des luxemburgischen Kinos als selten gesehen gelten. Ihnen wohnt trotz der Härte eine spezielle Zärtlichkeit, trotz der Explizität Eleganz und Subtilität inne. Wie schon bei Babysitting, Et wor alles wéi ëmmer und Dust wird ein facettenreiches Bild von Sexualität gezeichnet, das offenlegt, dass es sich hierbei nicht um einen, bis ins letzte Detail berechenbaren Akt handelt, der sich automatisch auf der Ebene (einer ohnehin in Frage zu stellenden) Norm bewegt.

Allem voran kommen diese Szenen nicht wie schlüpfrige Dekoration, die ein paar sabbernde Anti-Cinephile mehr zur Kinokasse locken soll, daher. Sie spielen bei der Gesamthandlung durchaus eine Rolle und stellen gerade im Kontext der Entwicklung der weiblichen Hauptfigur, die sich immer stärker zu emanzipieren scheint, wichtige Etappen dar. Während Lara  anfänglich noch nicht wirklich zu reagieren versteht, wenn Toni sich aufbäumt, wehrt sie sich im Verlauf der Handlung zusehends, verfeinert ihre Kampfsport-Kompetenzen und übernimmt auch beim Sex eine führende, gar dominante Rolle. Ihre Körperhaltung verändert sich ebenfalls und ohne Zweifel wohl auch das Gefühl zu sich selbst.

Ein großer Wehrmutstropfen ist indes, dass trotz des eben beschriebenen Bewusstseins für die Komplexität der Thematik, das Sexual-Verhalten beider (vorrangig jedoch jenes von Jaokim) im Zusammenhang mit Psychopathie gebracht und somit pathologisiert wird. Dies vermittelt dann doch etwas unerwartet wieder ein altbackenes und vor allem unwissenschaftliches Bild von Sexualität, die, sobald sie den konventionellen Rahmen verlässt, dreckig, obszön und krank ist. Dass man in der Regel genau die Praktiken, die hier gezeigt werden und die man teils im Bereich des BDSM (steht zu Deutsch für Bondage / Disziplin sowie Dominanz / Unterwerfung) verorten kann, nur unter der Bedingung des Konsens und zahlreicher Absprachen, auslebt, wird außen vor gelassen und verstärkt wieder einmal ein stereotypes Bild à la Fifty shades of grey.

Luxemburg als Anti- Safe space

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Péitruss spielt ausschließlich in Luxemburg-Stadt. Das nur scheinbare Idyll kann indes nicht  darüber hinwegtäuschen, das auch an diesem Ort potenziell tödliche Gewaltübergriffe stattfinden und Menschen Narben zugefügt werden können, die sie ein Leben lang – häufig unter dem Deckmantel des Wohlstands – begleiten. Die Behauptung mag etwas überspitzt wirken, aber es kommt einem ab und an so vor, als würde Jacoby dem Publikum durch seine pittoreske Bildsprache eine Falle stellen und sich dann ein klein wenig sadistisch darüber freuen, wenn sie reintappen und merken, dass es hier alles andere als paradiesisch zugeht. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob man beispielsweise die in Jacobys Filmen wiederkehrenden Freitode, welche von luxemburgischen hauptstädtischen Brücken vollzogen werden, als Stilmittel, Markenzeichen oder doch eher einfach als trauriges Element, das nun mal zum Land gehört, deuten möchte.

Die Familie als Kollektiv stellt bei Max Jacoby in seiner fiktiven sowie dokumentarischen Arbeit keinen „Safe space“ dar. Im Fall von Péitruss werden direkt, aber auch indirekt Problematiken aufgezeigt, die sich in eben diesen Gefügen abspielen können. Sei es Vernachlässigung, häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung gegenüber den eigenen Kindern, die von einem Familienmitglied gedeckt wird statt sie anzuzeigen oder auch Vergewaltigung. Max Jacoby öffnet diesbezüglich gewissermaßen ein gesamtgesellschaftliches Fass, da er darauf hinweist, dass jene „Monster“, die medial gerne als total abnorme Einzelfälle hochstilisiert werden, eigentlich innerhalb einer angeblich „normalen“ Gesellschaft heranwachsen. Diese setzt sich aber zusehends aus gestörten Beziehungen zusammen und züchtet somit ihre eigenen Bestien heran.

Das sprachliche Konzept des Films spiegelt die Aktualität des Landes besser wider als viele andere luxemburgische Produktionen. Lara versteht Luxemburgisch, spricht jedoch mit den zu betreuenden Kinder und Jugendlichen Deutsch. Diese antworten wiederum auf Luxemburgisch sowie auch auf Deutsch. Mit dem Niederländer Joakim spricht sie Englisch, Tonis Deutsch erinnert an jenes von Jean Asselborn als er bei Laafers in der Kochsendung zu Gast war und er schreibt ihr Sms, die von Luxemburgismen geprägt sind. Ebenso wie bei Jacobys rezent ausgestrahlten Dokumentarfilm Summervakanz (routwäissgro) wird der Mehrsprachrigkeit in Luxemburg Rechnung getragen, die sich nicht nur zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, sondern auch innerhalb von Familien abspielt.

(c) Samsa Film

Bisher hatte Max Jacoby durch seinen sparsamen und pointierten Umgang mit Dialogen beeindruckt. Bei Péitruss scheint der Sparmodus nun ausgeschaltet und dem Gesagten fehlt es an jener Eindringlichkeit, die man sonst aus seinen Kurz- wie Langfilmen kennt. Man bleibt mit der Frage zurück, ob aufgrund der Genre-Wahl und der zahlreichen sich überlappenden Handlungsstränge, Dinge erklärt werden mussten, die auf Kosten des potenziell Poetischen gingen.

Max Jacobys zweiter Spielfilm lässt den Zuschauer mit einem gewissen Zwiespalt zurück. Obwohl dieses Gefühl thematisch äußerst gut zur Handlung des Film passt, weist es auch auf narrative Mängel, Verkürzungen sowie überflüssige Elemente hin. Trotzdem präsentiert der junge Filmemacher mit dem genreübegreifenden Werk Péitruss auf handwerklicher Ebene eine sehr willkommene und erfrischende Alternative zu jenen luxemburgischen Produktionen, die sich bereits auf diesem Feld versuchten. Jacoby wollte scheinbar viel und einiges davon ist ihm gelungen.

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