- forum+, Gesellschaft, Recht, Wissenschaft
Das Plagiat und seine Bedeutung
Im Moment wird aus gegebenem Anlass darüber diskutiert, was ein Plagiat ist (und was nicht), ob die Definition einem historischen Wandel unterliegt (oder nicht) und ob ein Plagiat überhaupt als Problem anzusehen ist (oder nicht). Bei diesem Beitrag geht es mir dabei weniger um die spezifischen Erfahrungen bestimmter Persönlichkeiten, sondern um die Problematik an sich. Denn das Thema betrifft nicht nur Studenten und Professoren, sondern jeden Menschen.
Was ist eigentlich ein Plagiat – und ist das eine rein akademische Frage?
Wer im Moment die Presse liest, der denkt vielleicht, dass Plagiate ein Problem von Universitäten sind. Dabei aber geht es um viel mehr. In Deutschland definiert der Duden Plagiat als „unrechtmäßige Aneignung von Gedanken, Ideen o. Ä. eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung; Diebstahl geistigen Eigentums“.[1] Larousse definiert Plagiat als „Acte de quelqu’un qui, dans le domaine artistique ou littéraire, donne pour sien ce qu’il a pris à l’oeuvre d’un autre“.[2] In beiden Fällen kann das Wort Plagiat auch das Werk bezeichnen, das durch die Aneignung fremder Gedanken und Ideen ohne Kennzeichnung entstanden ist. Übrigens gibt Larousse auf derselben Internetseite „compilation“ als Synonym für Plagiat an.[3] Das reflektiert die Praxis, in der einige französische Universitäten – wie die Université de Lorraine – Plagiatsfälle als „travail [original] de compilation“ umschreiben.[4] Es gibt zwar auch echte „travaux de compilation“, bei denen Texte zu einem bestimmten Thema mit Quellenangabe zusammengestellt werden. Eine „travail de compilation“ ohne Quellenverweise, bei der Textstücke kopiert und zusammengefügt werden, ist allerdings schlichtweg ein Plagiat.
Ein Plagiat liegt also immer dann vor, wenn jemand die Arbeit anderer Leute oder Teile davon so in seine eigenen Werke einbaut, dass nicht klar erkenntlich ist, wer der ursprüngliche Autor war. Solche Situationen kommen nicht nur an Universitäten vor. Das gleiche Problem ergibt sich, wenn ein neues Lied sich in der Melodie oder im Text zu eng an ein bestehendes Werk anlehnt. Oder in der Literatur, wenn ein Autor einen Roman schreibt, bei dem er Teile der Handlung von einem anderen Autor abgeguckt hat. Plagiate können sogar essbar sein, zum Beispiel wenn ein Koch behauptet, er hätte ein neues Rezept kreiert, das in Wahrheit ein Kollege erfunden hat. Beim Plagiat geht es um das Prinzip „Ehre, wem Ehre gebührt“ und um den Schutz von geistigem Eigentum. Diese Problematik kann viele Bereiche des Lebens betreffen. Aus diesem Grund hat der Bibliothekskatalog der Universität Luxemburg tausende von Einträgen zum Thema „Plagiat“, von denen sich aber nur ein kleiner Teil mit Plagiaten an Universitäten befasst.
Wie gehen Universitäten heute damit um?
Für Universitäten spielen Plagiate aus mindestens zwei Gründen eine große Rolle: Erstens geht es um Benotung und Betrug. Universitäten müssen bewerten, wie viel Wissen und welche Fähigkeiten Studenten erlernt haben. Wenn ein Student eine Hausarbeit zusammenkopiert, dann benotet man zumindest stellenweise die Leistung einer völlig anderen Person, was die Note verfälscht. Im schlimmsten Fall könnte eine Hausarbeit, die ein anderer Student für eine andere Universität verfasst hat, unter falschem Namen eingereicht werden, was dazu führte, dass man den Fortschritt des eigenen Studenten gar nicht bewerten könnte. Zweitens geht es natürlich auch darum, Studenten eine möglichst saubere Arbeitsweise zu vermitteln.
Die Universität Luxemburg definiert Plagiat zum Beispiel als „act, voluntary or involuntary, of copying another person’s work and passing it off as one’s own”.[5] Im Leitfaden „Understanding and avoiding plagiarism: A guide for students“ wird erklärt: „Plagiarism occurs, in other words, when you reproduce, use or present an idea, line of reasoning, insight, data or else of which you are not the author or that has been presented by somebody else before you, without properly acknowledging the source. To understand plagiarism, it is important to be aware that whenever you present an idea, argument, or data without including a citation, readers must assume that you are claiming it as your own.“[6]
Der letzte Satz ist wichtig, da er unterstreicht, dass auf eine übernommene Idee oder Passage immer ein Quellenverweis im Text folgen muss. Ein Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit reicht nicht.
Die Definition von Plagiat, die offiziell von den verschiedenen Universitäten angewandt wird, unterscheidet sich übrigens kaum. Die Université de Lorraine verlangt auf einem Deckblatt, das Studenten mit ihren Hausarbeiten abgeben müssen, dass Studenten folgendes bestätigen: „Certifie qu’il s’agit d’un travail original et que toutes les sources utilisées ont été indiquées dans leur totalité. Je certifie, de surcroît, que je n’ai ni recopié ni utilisé des idées ou des formulations tirées d’un ouvrage, article ou mémoire, en version imprimée ou électronique, sans mentionner précisément leur origine et que les citations intégrales sont signalées entre guillemets.“[7]
Auch hier wird also von den Studenten verlangt, dass sie sowohl alle Quellen angeben, als auch im Text detaillierte Quellenangaben machen. Die Politologen der Universität Trier arbeiten ebenfalls mit einer ähnlichen Definition: „Ein Plagiat ist die widerrechtliche Übernahme und Verbreitung von fremden Texten jeglicher Art und Form ohne Kenntlichmachung der Quelle. Eine Hausarbeit in toto oder partiell zu kopieren, aber auch Textpassagen zu paraphrasieren sowie Argumente und Fakten zu übernehmen, ohne die Quellen im Einzelnen anzugeben, stellt ein solches Plagiat dar. Ein Plagiat anstelle einer selbständig erstellten Seminararbeit abzugeben, ist kein ,Kavaliersdelikt‘, sondern stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen wissenschaftliche Grundregeln dar und erfüllt den Tatbestand der Täuschung.“[8]
Der Vergleich der drei Universitäten aus drei verschiedenen Ländern zeigt, dass die Definitionen von Plagiat inhaltlich quasi identisch sind. Wenn es Unterschiede gibt, dann höchstens bei der praktischen Anwendung.
Ist das Plagiat ein neumodisches Konzept?
Die verschiedenen Computerprogramme zur Plagiatserkennung sind ein neueres Phänomen, das sich erst in den 2000ern langsam durchgesetzt hat. Das Konzept des Plagiats gab es allerdings schon lange vor der Software. Und die Kritik an Plagiaten ist uralt.
In Deutschland, zum Beispiel, wurden in den letzten Jahren Politikern wie Annette Schavan Doktortitel aus den 1980er Jahren aberkannt. Aber auch dem Luxemburger ist die Debatte über das Urheberrecht nicht völlig fremd. Bei einem kurzen Blick in den Bibliothekskatalog der Universität Luxemburg stellt sich heraus, dass sich hierzulande die Zeitung L’Indépendance Luxembourgeoise schon in den 1880er Jahren in Beiträgen mit einem medizinischen Plagiat von Pasteur (24. Dezember 1885) und einem militärischen Plagiat (12. September 1886) beschäftigt hat.[9] Am 14. Oktober 1910 hat sie sich auch kritisch mit einem literarischem Plagiat beschäftigt.[10] Das Luxemburger Wort war am 26. Oktober 1911 deutlich großzügiger und hat im Kontext einer literarischen Plagiatsdebatte, die Plagiate großer Künstler eher verteidigt.[11] Dafür hat es am 16. Dezember 1914 den Bericht eines Angriffs auf die Deutschen sozusagen als „Fake News“ entlarvt, weil es sich hier nämlich um eine fast wörtliche Übersetzung aus einem Buch handelte.[12] Am 29. November 1916 wurde dann ein wütender Beitrag über ein Plagiat im Falle eines Lehrerverbandsbuches abgedruckt, der darauf hinweist, dass ein kürzlich erschienenes Buch 13 Lektionen eines bestehenden Buches übernommen habe.[13] Die Debatte hat hierzulande anscheinend eine lange Tradition, die über 100 Jahre vor der Gründung der Universität begann.
Warum Quellenangaben ihren Nutzen haben
Primär geht es darum, das geistige Eigentum anderer Autoren zu schützen. Allerdings gibt es darüber hinaus auch praktische Gründe, weshalb Quellenangaben wichtig sind. Quellenangaben erlauben dem Leser nämlich nachzuvollziehen, woher die verschiedenen Informationen und Argumente, die ein Autor anführt, kommen. Dadurch kann der Leser besser entscheiden, ob er eine Argumentation für vertrauenswürdig hält.
Stellen Sie sich einmal vor, es würde irgendwo in Asien eine seltsame Art von Erkältung ausbrechen. Manche Experten behaupten schon, dass das vielleicht keine Grippe, sondern möglicherweise etwas Gefährlicheres ist, das sich zu einer Pandemie ausweiten und vielen Menschen das Leben nehmen könnte. Andere sagen, das sei wahrscheinlich nur ein Schnupfen. Auch in Europa sind bereits vereinzelt Fälle dieser merkwürdigen Erkrankung nachgewiesen. In dieser Situation beauftragt der Gesundheitsminister einen seiner Beamten damit, die Situation zu evaluieren und Handlungsvorschläge zu machen. Wie schlimm ist diese Krankheit? Und wie groß ist das Risiko, dass diese Krankheit nach Luxemburg kommt? Können bzw. müssen wir uns abschotten? Müssen wir besondere Vorbereitungen treffen? Wenn der Beamte dann einen Bericht vorlegt, der keine Quellenangaben enthält, ist es später für den Minister und andere Beamte schwer nachvollziehbar, auf welcher Basis der Mitarbeiter zu dem Schluss gekommen ist, dass wir sofort einen kompletten Lockdown brauchen (oder das wir gar nichts machen müssen, weil das bestimmt nur ein Schnupfen ist). Wenn der Bericht aber detaillierte Quellenangaben enthält, kann man genau sehen, welche und wie viele Studien die verschiedenen Argumente unterstützen. Wenn später Zweifel an der einen oder anderen Studie oder an der Seriosität eines Autors aufkommen, kann man mit einem Blick erkennen, welche Teile des Berichts davon betroffen sind, und kann gezielt nach neuen Studien suchen, die mehr Aufklärung bringen.
Die Corona-Pandemie ist in der Tat ein Paradebeispiel für die Wichtigkeit von Quellenangaben. Daten und Studien waren für alles, aber auch wirklich alles wichtig. Ob es um die Einstufung von COVID-19 als Pandemie, um die Behandlung von COVID-19 mit Medikamenten, um die Verhinderung von COVID-Infektionen durch Vakzine oder das Ausbremsen von COVID-19 durch Social Distancing ging, es hat sich alles um Daten gedreht. Aber auch bei allen anderen Fragen, wie zum Beispiel der Frage, ob es in der näheren Zukunft in Europa einen Krieg geben wird, was die drängendsten Probleme der Luxemburger Bevölkerung sind oder welche Maßnahmen am klimafreundlichsten sind, geht es immer um die Verlässlichkeit von Quellen. Deshalb haben Quellenangaben auch jenseits aller Diskussionen über Ethik und Moral ihren ganz konkreten Nutzen.
Prof. Dr. Anna-Lena Högenauer ist Politologin und stellvertretende Leiterin des Institut de science politique an der Universität Luxemburg.
[1] https://www.duden.de/rechtschreibung/Plagiat (alle Internetseiten, auf die in diesem Artikel verwiesen wird, wurden zuletzt am 7. Februar 2022 aufgerufen).
[2] https://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/plagiat/61301
[3] Ebd.
[4] Université de Lorraine, Décision du Président de l’Université de Lorraine concernant la suspicion de plagiat dans le rapport de DEA de 1998 de Monsieur Xavier Bettel, 31 janvier 2022.
[5] Universität Luxemburg, „Disciplinary procedure in cases of fraud and plagiarism“, Version vom 7. September 2021, S. 6.
[6] Universität Luxemburg, „Understanding and avoiding plagiarism: A guide for students“, Version vom 20. September 2021, S. 4.
[7] Université de Lorraine, „Déclaration sur l’honneur contre le plagiat“, https://all-metz.univ-lorraine.fr/sites/all-metz.univ-lorraine.fr/files/users/documents/declaration_sur_lhonneur_contre_plagiat.pdf
[8] Universität Trier, https://www.uni-trier.de/index.php?id=52327
[9] Echos et Nouvelles. Un plagiat, in: L’indépendance luxembourgeoise vom 12. September 1886, S. 1, https://persist.lu/ark:70795/920j3d/pages/1/articles/DTL39; Le plagiat de M. Pasteur ?!, in: L’indépendance luxembourgeoise vom 24. Dezember 1885, S. 1, https://persist.lu/ark:70795/qnhw4k/pages/1/articles/DTL54.
[10] Cyrano est-il un plagiat ?, in: L’indépendance luxembourgeoise vom 14. Mai 1910, S. 2, https://persist.lu/ark:70795/jhr17s/pages/2/articles/DTL69.
[11] Was ist Plagiat?, in: Luxemburger Wort vom 26. Juni 1911, S. 1, https://persist.lu/ark:70795/nwn63d/pages/1/articles/DTL36.
[12] Plagiat, in: Luxemburger Wort vom 16. Dezember 1914, S. 2, https://persist.lu/ark:70795/xk16nf/pages/2/articles/DTL104.
[13] Plagiat und Lehrerverbandsbücher, in: Luxemburger Wort vom 30. November 1916, S. 2, https://persist.lu/ark:70795/2fkp4w/pages/2/articles/DTL62.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
