Fokus Bürgergesellschaft

Zu der von Frank Engel angeregten neuen Partei

Als Anfang des Jahres der frühere DP-Generalsekretär Marc Ruppert eine Allianz mit Ex-CSV-Präsident Frank Engel zwecks Gründung einer neuen Partei verkündet und im RTL-Interview den verstaubten Begriff der bürgerlichen Werte zu deren Hauptanliegen erhebt, wird dies prompt mit einem „Klingt eher rechts!“ quittiert, worauf derselbe abwehrend – Rechtslastigkeit ist kaum gesellschaftsfähig in Luxemburg – zu einer Aufzählung dieser Werte ausholt: Solidarität, Eigenverantwortung, gegenseitiger Respekt und Respekt der Regeln, gepaart mit persönlichen Freiheiten, einer Zuordnung also, die der politischen Einstellung kaum Rechnung trüge.

Die Betonung der Ordnungsvorstellungen der bürgerlichen Werte als Leitpunkt einer von reformfreudigen Konservativen und Liberalen gegründeten Partei lässt aufhorchen oder zumindest die Frage aufkommen, ob die bestehenden Mitte-Rechts-Parteien sich diesen Werten nicht mehr genügend verschreiben.

Ruppert spricht damit augenscheinlich eine Brisanz an, die wohl am treffendsten vom deutschen Kultursoziologen Andreas Reckwitz verdeutlicht und seither nicht nur unter Soziologen heiß diskutiert wird: Ist die nivellierte Mittelstandsgesellschaft in den westlichen Ländern dabei, sich aufzulösen? In seinem 2019 im Suhrkamp erschienenen Buch Das Ende der Illusionen geht Reckwitz davon aus, dass diese, ausgelöst durch drei Treiber – des Aufstiegs des Dienstleistungssektors (der sogenannten Postindustrialisierung), der Bildungsexplosion und dem Wertewandel – einer Drei-Klassengesellschaft Platz gemacht habe: Während eine neue, urbane und kosmopolitische Mittelklasse im Streben nach Selbstentfaltung an gesellschaftlichem Einfluss zulege, verharre die traditionelle, auf Ordnung und Sesshaftigkeit bedachte Mittelklasse in der kulturellen Defensive. Daneben entstehe erstmals seit den 1930er Jahren wieder eine neue Unterklasse mit prekären Arbeitsverhältnissen im Angesicht der dem Neoliberalismus eigenen Mechanismen der Vermarktlichung.

Ein überzogener Liberalismus habe, dem Autor zufolge, seit den 1980er Jahren nicht nur zu hoher sozio-ökonomischer Ungleichheit geführt, sondern darüber hinaus eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen individualistisch ausgerichteten, der Hyperkultur zugeneigten Globalisierungsgewinnern der neuen Mittelklasse und den eher verwurzelten, die Homogenität und kulturelle Identität der Gemeinschaft akzentuierenden Bürgern der alten Mittelklasse entstehen lassen. Dem Populismus in die Hände gespielt habe der letztlich in die Krise geratene „überdynamisierte“ Liberalismus, sodass dieser zu bändigen und in einen „einbettenden Liberalismus“ zu überführen sei. Damit sei eine Beendigung der fortschreitenden Deregulierung der Wirtschaft und des Sozialen gemeint, um die Parallelität von sozialen Aufstiegs- und Abstiegsprozessen, von kulturellen Aufwertungs- und Entwertungsprozessen zu beenden.

Äußerungen der neuen Partei Fokus deuten auf eine Absicht zu einer Eindämmung ultraliberaler Positionen hin. Die sozio-ökonomische Ungleichheit zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern ist in Luxemburg beträchtlich. Frank Engel hat als CSV-Präsident frühzeitig die Kollateralschäden der luxemburgischen Wachstumspolitik thematisiert und machte Schlagzeilen mit seinem Vorschlag einer reformierten Erbschaftssteuer. Die von der neuen Partei betonten bürgerlichen Werte von Verantwortung und Verpflichtung sind in dem Sinne bemerkenswert, als entsprechende Begriffe im politischen Diskurs eher antiquiert daherkommen. Einer neuen Moralisierung mag damit der Weg geebnet sein, bei der neben dem wirtschaftspolitischen Schassen der Deregulierung eine Neujustierung der Reziprozität von Rechten und Pflichten des Bürgers eine besondere Bedeutung erfährt. Dabei geriete sowohl der Multikulturalismus als Symbiose einer linksliberalen Diversitätspolitik und der Zelebrierung des kulturellen Individualismus ins politische Kreuzfeuer. Es mag eine Frage der Zeit sein, bis bürgerliche Parteien des Mitte-Rechts-Lagers solche den Leitsprüchen der Achtundsechziger-Generation diametral widersprechenden Zielvorgaben erörtern.

In diesem einschneidenden Sinne äußert sich Fokus allemal nicht. Trotz klarer Vorgaben von Zielen und Werten definiert sich die Partei getreu dem luxemburgischen Habitus als „pragmatisch“ und „ideologisch losgelöst“, derweil Entscheidungsprozesse basisdemokratisch ablaufen sollen. Zielvorgaben, die sich zusammen genommen in die Quere geraten sollten.

Der Diskurs des politischen Neulings verpflichtet Frank Engels wohl eigene Chupze, die eher den Volksparteien anhaftenden Tugenden von respektvollem Umgang und Solidarität als Alleinstellungsmerkmal des eigenen politischen Projektes feilzubieten. Offen bleibt, inwieweit Fokus imstande sein wird, diese Selbstzuschreibung glaubwürdig in die Tat umzusetzen. Zweifel sind erlaubt. Bürgerlichkeit beruht auf Konventionen von Wahrnehmung der eigenen Status-, Erfolgs- und Leistungsorientierung. Diese Außenorientierung kollidiert in der modernen Gesellschaft in einer Art paradoxer Synthese jedoch mit dem nach innen gekehrten Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung. Ferner ist fraglich, inwieweit die nach meinem Ermessen vorwiegend aus einem hedonistischen Milieu stammenden Parteiverantwortlichen in der Lage sein werden, dem Vorbild der von ihnen vorgegebenen Zivilität gerecht zu werden. Man darf gespannt sein.

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code