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Zur Situation der Menschenrechte in Belarus
Nachlese zu einer Kampagne
„Kampagne für Belarus“ – das bedeutet im Sommer 2021 selbstverständlich, eine Aktion für die Unterstützung der Oppositionsbewegung nach der gefälschten Präsidentenwahl vom 9. August 2020 auf die Beine zu stellen. Und wenn ACAT – Action des chrétiens pour l’abolition de la torture – zu einer Belarus-Kampagne aufruft, wird natürlich die katastrophale Menschenrechtslage in Belarus – die zunehmende Repression, Gewalt, ja Folter – im Fokus stehen.
Dass wir im Sommer 2021 beschlossen haben, für das Jahr 2022 eine Belarus-Kampagne vorzubereiten, hat seinen Grund in der Philosophie von ACAT: Menschenrechtsverletzungen nachhaltig auf die Tagesordnung zu setzen, wachsam zu bleiben und nicht wegzuschauen, wenn die Karawane des öffentlichen Medieninteresses schon längst weitergezogen ist.
Mit dem Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 wurde unsere Belarus-Kampagne in den zuweilen schrecklich undifferenzierten Sog einer nur noch verengt wahrgenommenen Tagesaktualität hineingezogen. Viel zu viele Menschen denken fortan, wenn sie „Belarus“ hören, nicht mehr an die von Lukaschenko misshandelten Regimegegner, an die tapferen Menschen, ja, meistens Frauen, die nach wie vor gewaltfrei für ein anderes, demokratisches Belarus kämpfen. Die Bilder von der demokratischen Opposition, die 2020 mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments (auch EU-Menschenrechtspreis genannt) geehrt wurde, sind in der momentan dominanten Wahrnehmung verdrängt, die Bewunderung für Swetlana Tichanowskaja, für Maria Kolesnikowa, für Veronika Zepkalo und die gesamte gewaltfreie Bewegung in Belarus scheint vergessen.
Am 2. März 2022 verabschiedete die UNO-Vollversammlung in einer wahrlich historisch zu nennenden Abstimmung mit 141 von 193 Stimmen eine Resolution, die Putins Angriffskrieg deutlich verurteilt. Gegen die Resolution stimmten lediglich Russland, Nordkorea, Eritrea, Syrien und – auf Geheiß von Lukaschenko – Belarus (Enthaltungen: 35; abwesend: 12). Spätestens seit Putin Belarus zum Aufmarschgebiet für seine Truppen im Ukrainekrieg gemacht hat, mangelt es so einigen ZeitgenossInnen am entsprechenden Differenzierungsvermögen, das gerade in Kriegszeiten – und in solchen leben wir denn nun ja wohl in Europa! – notwendiger als je zuvor ist. Kurz: Es ist absolut unzulässig, das belarussische Volk, das – wie auch die EU – Lukaschenko nicht als legitimen Präsidenten seines Landes anerkennt, mit dem Aggressor Russland zu identifizieren. Das erste Opfer des Krieges ist ja bekanntlich die Wahrheit; diese Aussage hat in Zeiten systematischer Des- und Fehlinformation eine bisher unbekannte Tragweite und Auswirkung auf das Differenzierungsvermögen jenseits eines platten Freund-Feind- Schemas erhalten.
So wurde – im Strudel der laufenden Ereignisse – vereinzelt auch unsere Kampagne für Belarus diffamiert; ganz so, als ob wir als Menschenrechtsorganisation mit einer Kampagne für Belarus jemals gemeinsame Sache mit Putin machen würden! Und dabei ist es doch so, dass gerade in dieser Kriegszeit die VerfechterInnen von Demokratie und Menschenrechten besonders in Russland aufs Äußerste in die Ecke getrieben und mit Repressalien überzogen werden. Auch die belarussische Demokratiebewegung ist in eine noch kompliziertere Situation geraten, als sie es in den letzten beiden Jahren war.
In einer Veranstaltung am 9. März am Institut Pierre Werner gewährte die belarussische Philosophin und Aktivistin Olga Shparaga uns genauere Einblicke, wie es aktuell um den „Fall Belarus“ steht. In einem Grußwort für das ACAT-Benefizkonzert zur Unterstützung von Libereco Partnership for Human Rights in Belarus und Ukraine erklärte sie zwei Tage später, dass „der Kampf der belarussischen Gesellschaft für Demokratie in Belarus zum Kampf gegen Putin und gegen Putins Krieg in der Ukraine geworden“ sei. Und sie fügte hinzu, dass die „ gesamteuropäische Solidarisierung in dieser katastrophalen Situation ein enorme Rolle spielt, nicht nur für die Ukrainer*innen, für den ukrainischen Staat und für die freien Belaruss*innen, sondern auch für die Zukunft Europas als solches“. Anlässlich des Konzertabends am 11. März wehte dieser gute Geist der Solidarisierung, der Vernetzung, der Kultur der Sorge, von dem in Olga Shparagas Buch Die Revolution hat ein weibliches Gesicht (Berlin, Suhrkamp, 2021) und auch in ihrem Vortrag am Institut Pierre Werner die Rede war, durch den Saal.
Dieser Geist wurde hörbar im gemeinsamen Musizieren der drei Musikerinnen, die alle seit vielen Jahren in Luxemburg leben, aber osteuropäische Wurzeln haben: Katarzyna Kawińska wurde in Polen geboren, und Gayané Grigoryan (Armenien) sowie Goulnora Soultanova (Usbekistan) stammen aus zwei ehemaligen Sowjetrepubliken. Soultanovas eindringlicher Appell, doch bitte nicht russische Sprache, russische Kultur, ja russische Musik mit Putins Russland zu identifizieren und zu diffamieren, blieb dem Publikum neben dem schönen, ja tröstlichen Musikerlebnis sehr wohl im Ohr.
Es bleibt hinzuzufügen: Bitte gehen Sie auf die Homepage acat.lu und unterstützen Sie unsere vielfältige Kampagne und die Spendenaktion für Libereco Partnership for Human Rights. Solche Organisationen sollten angesichts der humanitären Katastrophe in der Ukraine nicht übersehen werden!
Christina Fabian ist Präsidentin von ACAT Luxemburg
Zum Thema siehe auch den Beitrag von Philippe Schockweiler in forum 424
Die Kampagne von ACAT Luxemburg umfasste mehrere Teile:
- einen Appellbrief an den Generalprokurator von Belarus,
- einen Brief, gerichtet an die Luxemburger Filiale von Union Investment, von Philippe Schockweiler und Cédric Reichel
- einen Beitrag zur Belarus gewidmeten Karfreitagsaktion,
- eine Veranstaltung mit Olga Shparaga, organisiert vom Institut Pierre Werner (IPW) in Zusammenarbeit mit ACAT und Amnesty Luxemburg am 9. März 2022
- ein Concert de solidarité für Belarus 11. März im Centre Culturel Altrimenti mit Gayané Grigoryan (Violine), Goulnora Soultanova (Piano) und Katarzyna Kawińska (Mezzosopran) mit Werken von Mozart, Brahms, R. Strauss, Fauré, Elgar, Kreisler u. a.
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