Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Tripartite
„Wenn Du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis.“ Trifft dieser triviale und im Beamtendeutsch geläufige Spruch auf die eingebürgerte luxemburgische Methodik im gesellschaftlichen Krisenmanagement zu? Hierzu folgende Zeilen.
Haderte Premier Bettel noch, während der pandemiebedingten Notlage eine Tripartite einzuberufen, so katalysierte die Explosion der Energiepreise diesmal den Zeitplan: Die geplante Einberufung eines Dreiergremiums noch vor Ostern wurde im Nu wegen der mit Unverständnis reagierenden Gewerkschaften auf eine Sitzung binnen knapp zehn Tagen vorverlegt.
Daraufhin prasselte geradezu ein Trommelfeuer von schlechten Nachrichten von Seiten der Arbeitgeber herab: sinkende Nettovermögen der Investmentfonds, eine Wirtschaft mit abwandernden Firmen, der UEL-Präsident Reckinger spricht gar von Dammbruch und meint die Lage mit aus Politik und Klimaforschung entliehenen Wortkeulen wie „Zeitenwende“ und „Kipppunkten“ beschreiben zu müssen.
Die Gewerkschaften, besorgt um ihre Klientel, zeichnen in der heutigen postindustriellen Luxemburger Gesellschaft weiterhin das Bild aus den 1980er Jahren, als eine kämpferische Gewerkschaftsszene während ganzer Wochen ernsthaft mit Arbeitgebern und der Regierung in Klausur verweilte, um gesichtswahrende und ausgleichende Lösungen zu erörtern. Gänzlich frustriert verließen daher die Gewerkschaftsvertreter die als „Nullnummer“ bezeichnete Tripartite-Sitzung im Dezember 2021, als ein fahrig agierender Premier sich erstaunt über die lange Gewerkschaftsagenda zeigte. Die Regierung sei geradezu unfähig, einen geeigneten Rahmen für einen starken Sozialdialog zu schaffen, räsonierten sie.
Umso erstaunlicher klang diese Woche nach der zweiten Verhandlungsrunde die Aussage des CGFP-Präsidenten Romain Wolff, der von einer „richtigen Tripartite“ mit einer ausführlichen Debatte schwärmte. Nicht nur die mit einem freudigen Gesicht aus der Sitzung entlassenen Arbeitgeber bewerteten die provisorischen Ergebnisse positiv, sondern auch die Gewerkschaftsvertreter, wenn auch mit etwas mehr Zurückhaltung. Was in aller Welt ging in dieser Black Box-Sitzung vor, um in diesem ernsthaften wirtschaftlichen Krisenmoment die Sozialpartner nach knappen zwei Verhandlungstagen so versöhnlich zu erleben? Hat die Regierung etwa die Stellung des Sozialdialogs neu bewertet?
Sieht man sich die Hauptbeschlüsse an, kommen Zweifel auf. Entgegen allen Ankündigungen sind diese als ausgesprochene Gießkannenpolitik zu bezeichnen. Das Indexsystem wurde „moduliert“, wie schon mehrmals in seiner Geschichte und zuletzt in den Jahren 2012 und 2013. Das war vorherzusehen, sodass man davon ausgehen darf, dass die Regierung dies auch selbst vorhatte. Pikanter aber stellt sich die Diskursänderung im Laufe der Zeit dar. Sprach man in den 80er Jahren bei derartigen Eingriffen noch von „Indexmanipulation“, war es vor zehn Jahren nur noch eine im Junckerschen Rhetorikstil sogenannte „Indexmodulation“, während selbst diese Bezeichnung heute nur noch von Déi Lénk ins Feld geführt wird. Dabei hatte CGFP-Präsident Romain Wolff im Vorfeld klargemacht, dass es eine „Indexmodulation mit ihm nicht gäbe“. Außerdem machte er eine früher kaum denkbare und von der Schwäche der Gewerkschaften zeugende Aussage: „Falls die Regierung das aber vorhat, solle diese das tun. Aber nicht mit der Zustimmung der CGFP!“. Dabei tat die Regierung genau dies, und die Gewerkschaft applaudierte.
Die temporäre Senkung der Spritpreise in einem Land mit sehr niedrigen Mineralölsteuern kann indessen als Entgegenkommen der Regierung auf eine entschieden populistische Gewerkschaftsforderung gedeutet werden. Diese im Widerspruch zu den Klimazielen stehende Maßnahme nutzt vor allem den Besserverdienern, wenn auch die anteiligen Ausgaben für Sprit bei einkommensschwachen Haushalten und besonders bei Grenzgängern leicht höher sind. Populistisch daher, weil gerade wegen der Mediatisierung die Mehrkosten von Treibstoff im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen, während anderen inflationär bedingten Kaufkraftverlusten weit weniger Beachtung geschenkt wird. Darüber hinaus verkennen die Gewerkschaften trotz Anerkennung des Klimanotstandes weiterhin die Sinnhaftigkeit von Lenkungssteuern. Eine mit dem Zweck der Verbrauchsdrosselung eingeführte Lenkungssteuer beim Sprit verfehlt nämlich ihren Zweck, wenn diese gleichsam durch ausgleichende Maßnahmen neutralisiert wird, wobei die Bezuschussung sozial Benachteiligter außer Frage steht.
Wie die Gewerkschaften es selbst erkannt haben, ist die Tripartite heute grosso modo eine politische Inszenierung. Bei der diesjährigen Ausgabe fügen diese sich stillschweigend, um nicht noch weiter an Ansehen zu verlieren. Auch wurde die Vorgehensweise eines vorläufigen Abkommens nicht beanstandet, so als wäre es den Gewerkschaften bei der Signatur nächste Woche noch möglich, das Abkommen ernsthaft in Frage zu stellen.
Gewerkschaften sind eine wichtige Kraft in unserer Gesellschaft, sollten sich aber klar darüber sein, dass sie die Lohnabhängigen heute weit weniger repräsentieren, als es früher der Fall war. Auch sind sie den Arbeitgebern weitaus stärker unterlegen. Sie sollten sich deshalb vermehrt darin üben, ihre Fähigkeit zum kollektiven Handeln aufrecht zu erhalten. Damit hadern sie aber, weil ihre Mitglieder kaum noch dazu bereit sind. Gewerkschaften sollten vermehrt versucht sein, gemeinsame Linien mit sozialen Bewegungen auszuarbeiten beziehungsweise sich mit diesen zusammenzutun, was ihrer gesellschaftlichen Stellung und Kraft sehr zugute käme.
Die Regierung täte gut daran, den derzeit gesellschaftlich wenig repräsentativen Sozialdialog mit Kräften aus der Zivilgesellschaft zu ergänzen. Tripartites, wie sie zurzeit die politische Landschaft prägen, sind letztlich die Überbleibsel verkrusteter Strukturen aus vergangenen Tagen. Dass es sie noch gibt, liegt daran, dass die Mitstreiter sich ihrer sozialen Stellung bewusst sind. Sie sind Events ohne reale Fähigkeit, einen Zukunftspfad aufzuzeigen. Brot für das Volk.
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