Was die Tripartite verschleiert
Um es kurz Revue passieren zu lassen: Der Ukrainekrieg brachte das Fass zum Überlaufen. Durch einen äußerst volatilen russischen Öl- und Gasmarkt stiegen die bereits zuvor hohen Energiepreise weiter rasant an und katapultierten den Dieselpreis kurzzeitig weit über die 2 Euro-Marke, ein Umstand, der besonders für Luxemburgs anspruchsvolle Autofahrer kaum hinnehmbar war und somit die Politik unmittelbar auf den Plan rief. Eine Tripartite sollte es richten. Die nun nochmals beschleunigte Inflation machte inzwischen eine zweite Indextranche im Sommer immer wahrscheinlicher, sodass die Arbeitgeber im Eiltempo ihre Forderung nach einer Indexmodulation ausarbeiteten. Nach anfänglich guter Stimmung in der Dreierrunde trägt der OGBL nun am letzten Märztag den ausgehandelten Entwurf schlussendlich doch nicht mit. Aber darum soll es hier gar nicht gehen.
Regelmäßig gelingt es dem politischen System in Luxemburg mit seiner Konsensorientierung besser, sich Ziele zu setzen, als diese in einem vernünftigen Zeitrahmen konsequent umzusetzen. In Zeiten der Überlagerung von Krisen schafft die Politik es kaum noch, Kurs zu halten und die verschiedenen Zielsetzungen zu den Themen soziale Kohäsion, Abwendung der Klimakrise, abklingende Pandemie und kriegsbedingte Zuspitzung der Energiekrise zu koordinieren. Es trumpfen die kurzzeitigen, pragmatisch anmutenden Scheinlösungen, man vermisst strukturelle Lösungsansätze. Letztere werden mit Vorliebe mit dem Adjektiv „ideologisch“ geschmückt, während „flexible“ und „mit Menschenverstand“ getroffene Entscheidungen oft als gut und richtig empfunden werden. Dabei dient die gerade beschlossene Spritpreisbezuschussung als Ersatz für das Setzen von mutigen Impulsen einer zukunftsfähigen Mobilität. Es müsste aber viel stärker um die ökonomischen Rahmenbedingungen gehen, die dazu führen, dass Menschen vermehrt von Armut betroffen sind; ein Phänomen, das inzwischen nicht nur das untere Quintil der Bevölkerung auf der Einkommensskala betrifft, sondern sich bis in die Mittelschicht fortpflanzt: eine Entwicklung, die der gesellschaftlichen Entschlossenheit im Wege steht, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.
Die Fakten sind seit längerem bekannt. Der Anteil derjenigen, die in Luxemburg einem Armutsrisiko ausgesetzt sind, d. h. Menschen mit einem Einkommen von weniger als 60 % des Medianeinkommens, ist zwar während der Pandemie leicht gesunken, verharrt aber bei über 17 % und ist damit um mehr als 3 % oberhalb des langjährigen Mittels der Nuller Jahre. Auch der Parameter des Gini-Koeffizienten, ein statistisches Maß der Ungleichverteilungen in einer Gesellschaft, verdeutlicht, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft.
Strukturelle Lösungen werden seit längerem angekündigt. Doch die bereits vor Jahren versprochene Steuerreform wurde wegen der Pandemie auf Eis gelegt und soll erst von der nächsten Regierung in Angriff genommen werden. Mit welchen neuen und zusätzlichen Herausforderungen wir dann vielleicht zu kämpfen haben, wissen wir heute noch gar nicht. Dabei wäre die Umsetzung der Steuerreform wegen der galoppierenden Inflation heute dringender denn je, zumal die Steuertabelle seit langem nicht mehr an die Inflation angepasst wurde. Das ist umso problematischer, als dass Arbeit weiterhin weitaus stärker als Kapital und Ressourcenverbrauch besteuert wird; eine Widrigkeit und ein Dauerbrenner, den der Mouvement écologique seit Jahrzehnten anprangert.
Besonders die Wohnungskrise macht in einem Land mit einer tief verwurzelten Kultur des Immobilieneigentums sogar der Mittelschicht immer mehr zu schaffen, da die Lohnsteuerlast hauptsächlich bei ihr liegt, weil das untere Quintil begreiflicherweise steuerlich entlastet ist und Spitzenverdiener davon profitieren, dass ab dem relativ tief angesiedelten Spitzensteuersatz nach dem Prinzip der „flat tax“ die Besteuerung unabhängig vom Einkommen nicht weiter steigt. Ungeachtet dessen sind die kaum besteuerten Vermögen wie Immobilienbesitz oder Aktienkapital noch stärker konzentriert als die Einkommen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass Vermögende es in der Regel besser als Normalbürger verstehen, ihr Kapital gewinnbringend anzulegen und letztere trotz Niedrigzins ihr Sparguthaben meist weiterhin auf dem Bankkonto belassen.
Wenig beachtet wird außerdem, dass das Durchschnittseinkommen wesentlich höher ist als das zur Festlegung des Armutsrisikos benutzte Medianeinkommen. Folglich wären steuerliche Belastungen für besonders Wohlhabende sinnvoller bei der Armutsbekämpfung als die reine Unterstützung der von Armut Betroffenen. Das Unvermögen der Regierungsparteien, sich nicht an die Themen Vermögens- und Erbschaftssteuer heranzutrauen, spricht hier Bände.
Was aber beschäftigt die Politik zur Zeit des Sozialdialogs? Die Modellierung des Index wird als Konstante verkauft, und bürokratisch aufwendige Verlegenheitslösungen wie die Aufwertung der Teuerungszulage kann fortan auch von der Mittelschicht beantragt werden. Vor allem aber entlädt sich der regelmäßig wiederkehrende Zorn über ungleiche Lohnerhöhungen bei jeder neuen Indextranche. Dabei handelt es sich beim Indexsystem lediglich um ein geradezu mechanisches Instrument, um Preissteigerungen nachträglich auszugleichen – und nicht, um grundlegende politische Versäumnisse auszubügeln. Das hindert die neue Partei Fokus nicht daran, den Indexmechanismus als sozial ungerecht zu bezeichnen und einen sozial gestaffelten Index einzufordern. Der Vorschlag einer Erbschaftssteuer des ehemaligen CSV-Präsidenten war allemal besser.
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