Fünf weitere Jahre „Zentrumsextremismus“

(von Léonardo Kahn)

Emmanuel Macron wurde wiedergewählt und bleibt für fünf weitere Jahre Staatspräsident der Französischen Republik. Sein Mandat will er der Bekämpfung der Umweltkatastrophe widmen. Doch kann man ihm noch glauben? Eins ist klar: Indem Macron sich weder politisch links noch rechts zuordnen möchte, ist er wohl der unberechenbarste Präsident in der Geschichte der Fünften Republik.

Emmanuel Macron steigt auf die Bühne vor dem Eiffelturm. Beethovens Ode an die Freude schallt über den Champs de Mars und der frisch gewählte Präsident strahlt über das ganze Gesicht. Er wirkt bei seiner Wiederwahl fast noch jünger als bei seiner Amtseinführung 2017.
Einem Großteil des Landes fällt ein Stein vom Herzen. Uff! Um eine Haarspalte wäre eine Rechtspopulistin in das oberste Amt des größten Landes der EU gezogen. Viele befürchteten den Zerfall der sogenannten „republikanischen Front“, aber siehe da: Der front républicain ist noch intakt! Mehr schlecht als recht, immerhin hat Marine Le Pen 42 Prozent der Stimmen sammeln können, doch Frankreich scheint (noch) nicht von einer rechtspopulistischen Despotin regiert werden zu wollen.

Die Erleichterung steht auch Macron ins Gesicht geschrieben. Vor den 2.000 Zuschauer*innen hält der Wahlsieger die wohl kürzeste Rede seiner Amtszeit. Er wisse, dass ihn viele nicht aus Überzeugung gewählt haben, sondern, um den Rechtsruck im Land zu verhindern. „Ich möchte Ihnen an dieser Stelle danken und Ihnen sagen, dass mich diese Wahl für die kommenden Jahre Ihnen gegenüber verpflichten wird“, verkündete der wiedergewählte Präsident.

Doch ist ein neuer Emmanuel Macron möglich? In den letzten zwei Wochen inszenierte sich Macron als grün-sozialistischer Kandidat, um seine linke Wählerschaft zu mobilisieren. Bei seinem ersten Wahlkampf-Auftritt im Pariser Geschäftsviertel Defense warnte der liberale Politiker vor dem „ungebremsten Kapitalismus“, welcher die Umwelt zerstöre. Am 17. April problematisierte er den Plastikmüll, welcher die Meere vergifte, ähnlich wie zwei Monate zuvor sein linker Rivale Jean-Luc Mélenchon.

Im Ministerrat am Mittwoch verkündete der Staatschef, dass sich sein*e neue*r Premierminister*in der „sozialen und ökologischen Frage“ widmen werde. Macrons dritte Regierung wird in den kommenden Wochen angekündigt. Jedoch stellt sich die Frage, inwiefern man den Präsidenten noch beim Wort nehmen kann.

Bei seinem ersten Wahlsieg 2017 verkörperte er die Hoffnung eines jungen Sozialisten mit wirtschaftsliberalen Ambitionen. Immerhin war er davor unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande zwei Jahre lang Wirtschaftsminister. Dieser Erwartung verpasste er mit der Ernennung seines ersten Premierministers allerdings einen Seitenhieb: Edouard Philippe, ein treuer Unterstützer des rechts-konservativen Kandidaten und Bürgermeisters von Bordeaux, Alain Juppé, vertritt als Politiker eindeutig die klassische Rechte Frankreichs. Hiermit begann Macrons Rechtskurs.

Ein Jahr später schaffte das französische Staatsoberhaupt die Reichensteuer ISF ab, die 1989 von seinem sozialistischen Vorgänger François Mitterand eingeführt wurde. Erneut skandierte der Slogan „Macron, président des riches“ auf den Demonstrationen, was ihm spätestens mit der Gelbwestenbewegung ab 2019 zum konkreten Verhängnis wird. Über 150 Aktivisten wurden während von den Sicherheitskräften schwer verletzt, 14 davon verloren ein Auge.

Dennoch scheute der Präsident nicht davor zurück, sein dichtes Reformprogramm durchzuziehen. Heute will Macron nicht nur seine umstrittene Rentenreform durchdrücken, sondern ebenfalls das Arbeitslosengeld RSA mit einer professionellen Aktivität von bis zu zwanzig Stunden die Woche konditionieren. In Zukunft sollen demnach nur noch Arbeitslose Geld vom Staat bekommen, wenn sie dafür arbeiten. In den vergangenen fünf Jahren hat Macron sozial benachteiligte Menschen „Faulenzer“ genannt, welche von öffentlichen Geldern abhängen, als sei es „Morphin“.

Der französische Staatschef hat etliche linke Wähler*innen verschreckt. Doch obwohl die Reichen während seines Mandats immer reicher wurden, ging auch die Arbeitslosenquote auf ein Rekordtief zurück, wie seit der Wirtschaftskrise 2008 nicht mehr. Außerdem mag seine Rentenreform innenpolitisch zwar ungerecht erscheinen, doch Frankreich ist zurzeit das einzige Land in Europa, in dem die Bürger*innen im Alter von 62 Jahren in Rente gehen. In den anderen Ländern liegt das Rentenalter schon bei 65 Jahren und dennoch bleibt auch dort Altersarmut ein strukturelles Problem.

Linksextreme Bürger*innen verschreien Macron als rechts, rechtsexreme Bürger*innen als links. Der Präsident selbst bezeichnet sich als „extrême centre“. Damit hat er wohl nicht unrecht, denn auch der Politologe Marc Lazar definiert seine Politik als eine Art Zentrum-„Populismus“. Der Präsident umgeht die traditionelle Spaltung zwischen links und rechts und regiert dadurch mit großer Elastizität. Wie ein Chamäleon ändert er seine politische Farbe je nach Situation.

Letztendlich ähnelt seine Politik der, der Gambia-Regierung in Luxemburg: ein wenig sozial, ein wenig grün, ein wenig liberal. Da Frankreichs Staatsoberhaupt aber allein ein Großteil der Macht verkörpert, wirkt seine Politik für Politikjournalist*innen und -wissenschaftler*innen teilweise schizophren. Fünf Jahre Amtszeit reichen nicht aus, um seine Politik oder seine Partei genau zu verstehen. La République en marche, aber in welche Richtung sie marschieren, weiß wohl nur der Präsident selbst.

Es stellt sich folgende Frage: Ist es schlecht, einen unentschlossenen, „zentrumsextremistischen“ Präsidenten zu haben? Nicht unbedingt, denn es ist nicht Macrons Schuld, dass im französischen Präsidialsystem ein einziger Politiker die gesamte Gesellschaft möglichst breitflächig abdecken muss. Die Politik je nach Situation anzupassen, ist demnach die wohl demokratischste Lösung in einem repräsentativen System.

Der savoyische Politiker und Philosoph Joseph de Maistre schrieb vor 200 Jahren, jede Nation bekäme die Regierung, die sie verdiene. Der Rechtsruck der französischen Gesellschaft ist angesichts der Kandidatur des islamfeindlichen Essayisten Éric Zemmour und des Wahlerfolgs von Marine Le Pen unabstreitbar. Macron muss als Präsident ebenfalls den Teil der Bevölkerung vertreten, der zum Beispiel für eine strengere Einwanderungsregelungen plädiert. Auch das ist (leider) seine Rolle in einer repräsentativen Demokratie.

Fünf Jahre lang wurde der französischen Staatschef als arrogant und volksfern verschrienen, doch eigentlich könnte er der demokratisch geschickteste Präsident in der Geschichte der fünften Republik sein. Gilt nur abzuwarten, ob er seine Versprechen gegenüber der Armutsbekämpfung und der Umweltpolitik einhält.

 

Léonardo Kahn ist Journalist und derzeit als Paris-Korrespondent für Radio 100,7 tätig. Er studierte Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und an der Pariser Sorbonne.

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