(von Ainhoa Achutegui)
Es war ein Schock für viele von uns, obwohl Feministinnen wie Gloria Steinem und Mona Eltahawy seit Wochen oder sogar Monaten davor warnten. Das schlimmste Szenario, das vorstellbar war, ist eingetreten: Letzten Freitag kippte der Oberste Gerichtshof der USA, der einflussreichsten Demokratie der Welt, die fast 50 Jahre alte Rechtsprechung „Roe v. Wade“. Diese erlaubte den amerikanischen Frauen in allen US-Bundesstaaten den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, und vor allem garantierte sie ihnen deren sichere Durchführung.
Die einzelnen Bundesstaaten sind nun für die ungewollten Schwangerschaften ihrer Bevölkerungen zuständig. Mehrere der konservativsten haben sofort reagiert und das allgemeine Recht auf Abtreibung gekippt. Gesundheitszentren wurden geschlossen, und Fachärztinnen und -ärzten sowie dem spezialisierten Pflegepersonal wurde eine langjährige und professionelle Praxis verboten. Frauen sahen sich von heute auf morgen ihrer Grundrechte beraubt. Eine solche Entscheidung, getroffen von einer Handvoll Menschen, setzt das Leben von Millionen von Schwangeren in Gefahr. Sie bedeutet einen enormen Rückschritt für alle Frauen, nicht nur für die Betroffenen.
„Wir haben abgetrieben“ war die Titelgeschichte der Zeitschrift Stern im September 1971, in ihr bekannten sich über 350 deutsche Frauen öffentlich dazu (unter ihnen Romy Schneider, Senta Berger und Vera Lehndorff), abgetrieben zu haben. Eine Debatte kam ins Rollen in einer Zeit, in der Schwangerschaftsabbrüche nur im Geheimen stattfanden und in Deutschland unter Strafe standen.[1] Diese Aktion, angelehnt an eine ähnliche aus Frankreich im Nouvel Observateur (Le Manifeste des 343, zu denen u. a. Gisèle Halimi, Simone de Beauvoir und Catherine Deneuve zählten), wollte aufzeigen, dass jede Frau an einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert sein kann. Die 1970er Jahre waren in vielen westlichen Demokratien ausschlaggebend in Sachen Schwangerschaftsabbrüche: Feministinnen stiegen auf die Barrikaden, demonstrierten, verteilten Flugblätter, ließen sich verhaften. Der Druck durch diese weltweite feministische Stimmung und „Sorority“ führte zu vielen Gesetzesänderungen oder -lockerungen (auch in Luxemburg) in Sachen Sexual- und Reproduktivrechte. Der straffreie und sichere Schwangerschaftsabbruch ist in diesem Teil der Welt eine Errungenschaft, die wir unseren Müttern und Großmüttern zu verdanken haben.
Ungewollte Schwangerschaften haben vielerlei Gründe und können nie komplett verhindert werden. Schwangerschaftsabbrüche hat es schon immer gegeben (sogar in der Bibel werden sie erwähnt), und es wird sie weiterhin geben. Das ist gewiss. Da können sie noch so viele Gesetze schreiben oder kippen. Die wichtige Frage ist eher die: Wie werden diese durchgeführt? In Sicherheit, unter guten hygienischen Bedingungen, medikamentös und in den ersten Wochen der Schwangerschaft, oder aber auf brutale Art und Weise, mit Watte, einem Bügel, Ätzmitteln, durchgeführt von sogenannten Engelsmacher*innen? Man schätzt, dass weltweit jährlich ca. 25.000.000 unsichere Abbrüche durchgeführt werden mit enormen physischen und psychischen Konsequenzen für die Frauen. Der Großteil der Abbrüche in Ländern mit restriktiven Gesetzgebungen wird nicht von medizinischem Personal und meistens unter sehr prekären Bedingungen durchgeführt. Tausende Frauen (die Schätzungen gehen von 25.000 bis 30.000 Opfern aus, je nach Quelle) sterben an den Folgen von schlecht durchgeführten Abbrüchen und den daraus resultierenden Infektionen.
Die lebensgefährliche Situation ist eine, die besonders Frauen in prekären Verhältnissen trifft, egal ob in Entwicklungs- oder in reichen Ländern mit restriktiven Gesetzgebungen. Sie sind es, die keine Möglichkeit haben, ins Nachbarland oder in einen anderen Bundesstaat zu reisen oder eine private Klinik aufzusuchen. Die ärmsten Frauen sind es, die keinen oder wenig Zugang zu einer guten sexuellen Aufklärung und Verhütungsmitteln haben. Nun ist es an uns, für unsere US-amerikanischen Schwestern, aber auch für all die anderen aus allen Ländern, in denen ihnen dieses fundamentale Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, auf die Barrikaden zu steigen.
Während wir mit den amerikanischen Frauen trauern, sollten wir die Initiative ergreifen und dieses Recht, an dem wir mehrheitlich festhalten[2], sichern. Mehr denn je gilt es, das Recht auf Abtreibung zu verteidigen, denn auch wir können ultrakonservativen, populistischen und evangelikalen pro life-Kräften zum Opfer fallen. Folgen wir dem Beispiel Frankreichs, das nun wieder darüber diskutiert, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung zu schreiben. Dieses Signal ginge in Richtung eines laizistischen Rechtsverständnis und wäre ein klares Bekenntnis für die Frauenrechte. Verankern wir das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der luxemburgischen Verfassung!
Es ist notwendig, dass unser Kampf heute beginnt, damit wir nicht in eine Welt von gestern oder gar vorgestern zurückfallen. Möge #mybodymychoice die Gegenwart und die Zukunft aller Frauen sein, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer Kultur, ihrer Behinderung, ihrem Gesetz und ihrer Orientierung.
Wir wollen nicht in Gilead[3] ankommen.
Ainhoa Achutegui ist Präsidentin von Planning familial.
[1] Schwangerschaftsabbrüche sind heute zwar noch rechtswidrig in Deutschland, aber sie sind straffrei, wenn sie bis zur zwölften Woche durchgeführt werden.
[2] Siehe die 56 gegen 4 gestimmte Resolution in der Chamber vom 28. Juni 2022.
[3] Gilead ist der Name einer fiktiven Diktatur auf US-amerikanischem Boden in Margaret Atwoods Roman The Handmaid’s Tale. Frauen sind hier ihrer Rechte beraubt und werden als Gebärmaschinen ausgebeutet.
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