Was sich hinter der Affäre Da Costa verbirgt
Jeff Da Costa hatte das öffentliche Hochwasser-Management nach den Überschwemmungen vom Juli 2021 kritisiert und wurde entlassen. Ein wahrer Entrüstungssturm entlud sich. Manches bleibt dabei unterbelichtet. Verlor er nun seinen Job wegen angeblicher politischer Einflussnahme oder geradezu, um diesem Druck zuvorzukommen?[1] Letzteres wäre weit bedenklicher, da es nämlich bedeuten würde, dass Angst das Verhalten der hiesigen Forschungslandschaft bestimmen würde, ein geradezu fatales Signal. Die Frage lässt sich nicht beantworten, doch gibt die soziale Ökologie von Kleinstaaten mit engmaschigen und hochgradig personalisierten Beziehungen einen Fingerzeig.
Unbestreitbar hat die Professionalisierung der Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Seit Bestehen der Universität Luxemburg hat sich die Datenlage auch dank anderer autonomer Forschungszentren wie LIST, LIH und LISER wesentlich verbessert. Nichtsdestotrotz schränkt die historisch recht kurze akademische Tradition Luxemburgs den gesellschaftlichen Einfluss dieser Institutionen auf die politische Agenda ein.
Konfliktvermeidung
Dies bekommen vor allem der angewandte forschungsbasierte Sektor und die von öffentlichen Aufträgen abhängigen, nachgeschalteten Beratungs- und Planungsbüros zu spüren. Um Unstimmigkeiten zuvorzukommen, führen die allseits gepriesenen kurzen Wege im Kleinstaat dazu, dass sich die wissensbasierten Unternehmen in der Regel defensiv verhalten, sich mit der eigenen Meinung zurückzuhalten und Konflikten aus dem Weg gehen, vor allem wenn sie von öffentlichen Aufträgen abhängen und deren Betätigungsfeld kaum von privaten Auftraggebern in Anspruch genommen wird.
Besonders die eingespielten, mit öffentlichen Aufträgen reichlich bedachten Unternehmen und Studienbüros haben sich intuitiv damit arrangiert, den Handlungsspielraum ihres Wirkungsfeldes so zu umreißen, dass Kritik an der Strategie des Auftraggebers auf keinen Fall dazu gehört. Dies trifft nicht unbedingt auf die von Regierungsseite umworbenen Newcomer wie Startups zu, die sich durch eine andere Unternehmenskultur auszeichnen. Mit eher junger Belegschaft und flacher Hierarchie pflegen sie meist eine offene Kommunikationskultur. Dazu kommt, dass deren Mitarbeiter zum Teil regen Austausch zu Ländern mit legeren und offenen Umgangsformen pflegen. Jeff Da Costa war RSS-Hydro-Mitarbeiter und gleichzeitig Doktorand an der britischen Universität Reading.
Problem Kleinstaat
Darüber hinaus ist der Staat als solches und damit auch seine hohen Beamten als Teil des Systems der Kleinstaatlichkeit[2] und der sich daraus ergebenden Machfülle der Verwaltungsstrukturen sehr präsent im Alltag der an der Umsetzung öffentlicher Projekte beteiligten Unternehmen. Gerade das Arbeitsmilieu von hohen Beamten unterscheidet sich stark von dem in größeren Ländern. Multifunktionell, gut vernetzt, Allrounder, sind sie den Unternehmensmitarbeitern häufig persönlich bekannt. Die kurzen Wege mögen durchaus vorteilhaft sein, falls jedoch persönliche Meinungsverschiedenheiten offen zu Tage treten, verkehren diese Vorzüge sich schnell ins Gegenteil. Die Enge des Landes und die Fokussierung auf einen Luxemburger Kontext machen es den Unternehmern schwierig, sich anderweitig zu orientieren und einen Neubeginn zu wagen. Aus diesem Grund werden offene Konflikte minimiert oder gemildert, damit der soziale Mechanismus ohne übermäßigen Stress funktionieren kann. Menschen werden zu Experten darin, Feindseligkeit zu unterdrücken, ihre eigenen Ansichten zurückzustellen, Meinungsverschiedenheiten einzudämmen und Streitigkeiten im Interesse von Stabilität und Kompromiss zu vermeiden.[3]
Hinter verschlossenen Türen wird Kritik zwar toleriert, und die Beengtheit und Vertrautheit kann diese sogar fördern, in der Öffentlichkeit wird diese jedoch nicht artikuliert, um die politische Landschaft nicht bloßzustellen. Untergeordnete Probleme, die in größeren Staaten leicht aufgefangen werden können, nehmen in kleinen Staaten schon mal gerne nationale Dimensionen an.[4] Als im Februar 2021 ein deutscher Reiseführer kritisch über Esch-sur-Alzette berichtete, sorgte dies für eine allgemeine Empörung, weil die Autorin und vormalige Einwohnerin der Stadt es gewagt hatte, Esch angeblich zu verunglimpfen. Im Falle Da Costa war es das Wort „Versagen“, das der Geschasste gegenüber RTL aussprach, das „nicht gut gewesen sei“[5], wie sich der Bürgermeister von Düdelingen, Dan Biancalana (LSAP), ausdrückte. Dabei spielt, so Jeff Da Costa, auch das Verbreitungsgebiet der Negativschlagzeilen und die Popularität des Mediums eine Rolle. „Et huet u sech guer kee gestéiert, ob dat op CNN war oder der FAZ oder am Essentiel oder Wort, mee soubal et op RTL op der Tëlee, um Radio an Online war, ass et zu engem Problem ginn.[6]“
Mangelnde Streitkultur
Abschließend darf die Frage gestellt werden, ob in der multikulturellen Gesellschaft Luxemburgs die soziale Nähe und die starke soziale Kohäsion der politischen Landschaft sowie das personalisierte Wahlsystem eine parteiübergreifende politische Klasse hervorbringt, die abweichenden sozialen Verhaltensnormen und Thesen übermäßig ablehnend gegenübersteht, besonders dann, wenn eine statuierte Behauptung von Einheimischen verfasst ist und gegen den allgemeinen Konsens verstößt. Das führt so weit, dass eine Rivalität lokale Initiativen untergräbt und die Gesellschaft abhängig von Außenstehenden macht, denen größeren Vertrauen in Ideen, Produkte und Projekte entgegengebracht wird.[7]
Falls die Darstellungen sich auch nur zum Teil bewahrheiten, deutete es darauf hin, dass bedingt durch ein Übermaß an loyalen Bindungen hierzulande viel Elan und innovative Kraft wegen eines Mangels an Streitkultur verloren ginge.
[1] https://www.100komma7.lu/article/aktualiteit/d-angscht-ass-de-feind-vun-der-fuerschung (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 6. Juli 2022 aufgerufen).
[2] https://www.forum.lu/article/die-unentbehrlichen
[3] David Lowenthal / „Social Features“, in: Colin Clarke und Tony Payne (Hg.), Politics, Security, and Development in Small States, London, Allen & Unwin, 1987, S. 26-49.
[4] Charles Farrugia, „The Special Working Environment of Senior Administrators in Small States“, in: World Development 21 (1993), 2, S. 221-226.
[5] https://www.tageblatt.lu/headlines/wahrheit-ist-die-waehrung-der-wissenschaft
[6] https://m.100komma7.lu/article/aktualiteit/letzebuerger-fuerscher-verleiert-sain-job-no-kritik-un-der-regierung
[7] Farrugia, „The Special Working Environment“, a. a. O.
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