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15 % Energie sparen: Wat heescht dat elo?
Wir sind eine kleine, energieverwöhnte Nation, und wenn wir jetzt 15 % Energie sparen sollen, dann verbrauchen wir als Land immer noch ziemlich viel – im internationalen Vergleich. Unser Wirtschaftsmodell ist darauf aufgebaut. Wenn wir jetzt Energie sparen, um dem russischen Aggressor klare Kante zu zeigen, ohne an der Front mitzumischen, und dabei in einem Aufwasch die Energietransformation mit zu erledigen, dann wird das ungeahnte Folgen für unsere Wirtschaft und unseren Lebensstil zeitigen. Was harmlos klingt, wenn es um Gebäudebeleuchtung und Schwimmbadtemperaturen geht, wird sich – bei konsequenter Anwendung – als gravierend einschneidend erweisen. Der Lockdown ist ja nun noch nicht allzu lange her, da haben wir ja auch Energie gespart. Die Verbrauchsleistungen bei digitalen Stromfressern sind in die Höhe geschnellt, der Rest dümpelte müde vor sich hin. Die Unternehmen, Hotels und Gaststätten haben sich bis heute nicht davon erholt. Jetzt also 15 % sparen, damit die Vorräte reichen. Im Gegenzug steigen die Preise für Energie ums Vier- bis Fünffache, im Moment, was nicht heißt, dass es hier aufhört. Für wen „EnergieMinus15%“ wie ein moderater Plan klingt, der allerdings trotzdem das Land Richtung Rezession treibt, beachtet nicht, was auf der betrieblichen Seite passiert. Die staatliche Versorgungssicherheit ist das eine, die Budgetplanung und Realfinanzierung der Privatwirtschaft ist das andere. Eine Verfünffachung der Kosten ist durch Einsparungen nicht mehr aufzufangen. Entsprechende Umsatzsteigerungen, gar neue Märkte, sind nicht zu erwarten. Preissteigerungen sind nicht proportional durchzusetzen. Das Lied von den regionalen Produkten ist ein schräg komponiertes. Denn die Freiheiten des westlichen Selbstverständnisses basieren auf einem freien, globalen und gut florierenden Handel mit Ländern, die entwicklungs- und preistechnisch unterlegen sind. Lieferketten und Lieferverträge zu beenden, bedeutet maximales Chaos in Europa und anderswo. Denn wir haben der Welt weisgemacht, dass Wandel durch Handel ein Friedensmodell sei und alles, aber auch wirklich alles daran gesetzt, um auf unserer Seite den maximalen Komfort daraus zu ziehen. Auf der anderen Seite sah das oft nicht so gemütlich aus, wie die Marketingprospekte uns glauben machen wollten, aber das interessierte niemanden so wirklich. Gewissensberuhigung ja, Strukturwandel nein.
Sparen in der Not, Schlechtwetter droht
Jetzt also Krieg in Sicht und Energienachschub maximal gestört. Dann meldet sich das Gewissen und ruft uns bissig zu: Na dann, wer nicht hören will, muss fühlen. Nutzt die Chance der Krise, lebt bescheiden und lokal. Verkauft Eure SUVs und schrottet Eure fossilen Heizungen; vernichtet Plastik und Oneway-Mode, ribbelt die alten Wollpullis auf (Anleitung dazu gibt’s beim deutschen Maus-, Elefant- und Co-Bildungs-TV), und strickt euch warme Strümpfe, vielmehr strickt den Kindern warme Strümpfe, denn die werden in den wärmeabgesenkten Schulen, Sporthallen und Schwimmbädern ordentlich bibbern. Kann noch jemand Strümpfe stricken?
Wen kümmert dabei die Hinterlassenschaft, bei den auf Monokultur und Dauerabnehmer durchgestylten Entwicklungs- bzw. Schwellenländern. Jetzt vor der Haustür kehren ist auch viel umweltfreundlicher und rettet den Planeten. Auch so ein Plot. Der Planet ist nicht in Gefahr. Nur das Leben, das wir bisher kannten und irgendwie als Erbrecht ansahen, das ist in Gefahr. Das stört so wirklich nur die bisherigen Nutznießer, sonst niemand. Also uns stört es. Also jetzt neben aktiver Flüchtlingshilfe und Willkommenskultur auf Gutscheinbasis, Rückzug in die Verdunkelung und Nahrungsaufnahme mit lokalem Gout und Verkleinerung der Vielfalt.
Jetzt 15 % einsparen, so wie alle anderen auch, egal wie hoch das Ursprungslevel war. Das soll eine Art Gleichheit und Notvereintheit ausdrücken, in etwa so absurd wie Sparen durch Geldausgeben. Aber egal. In einer Zeit, in der bei uns beinah drei Viertel aller Menschen frei von jeder Peinlichkeit herumtönen, von Mathe noch nie etwas verstanden zu haben und dennoch gut durchs Leben zu kommen, dürfte die Sache mit den 15 % zu leichten Verspannungen der Nackenmuskulatur führen. 15 % wovon ist wieviel nochmal?
Das rettende Siebtel
Na ungefähr 1/7, das lässt sich ja vielleicht einfacher rechnen, also: geteilt durch sieben. Wenn ich bisher sieben Stunden täglich „online“ war, lass ich eine Stunde weg und – „wumms“, schon 15 % Energie gespart und nebenbei noch Lebenszeit gewonnen, mit der ich mich gleich dem Einkochen der wiederentdeckten Fallobst-Marmelade widmen kann, auf dem alten bzw. neu erstandenen Retro-Holzofen, der zwar bisher gebundenes CO2 freisetzt, dafür aber in Jahrzehnten nachwachsenden Rohstoff im Minutentakt verbrennt. Das ist doch toll!
Wer bisher 7 Liter auf 100 km mit seinem Wagen verbraucht hat, Fuß vom Tempopedal, mal hinter dem Laster bleiben oder tatsächlich die vorgeschriebenen 90 km/h auf der Landstraße einhalten, und schon senkt sich der Verbrauch auf 6 Liter. Benzinfressende SUV-Driver rechnen proportional mit mehr, aber haben letztlich trotzdem Energie für die Versorgungssicherheit gespart… Nicht irre machen lassen, weiterfahren, nur eben langsamer. Wellness pur on the road.
Wer bisher seinen Tee mit kochendem Wasser aufgegossen hat, schaltet jetzt den Wasserkocher zwei Stufen früher aus und trinkt lauwarmen Tee… ach nee, im Winter, wo doch die Heizung von 21 Grad auf… Moment! Geteilt durch 7, macht 3, also 21-3, also auf 18 Grad runtergedreht werden muss. Und nicht mal mehr das öffentliche Schwimmbad, das in anderen Krisen als Fluchtort wohliger Wärme gepaart mit gesundheitsfördernder Bewegung und fröhlicher Geselligkeit diente, bleibt verschont. Man baut darauf, dass die Leute im Lockdown gelernt haben, mit sich selbst zurechtzukommen. Die derzeitige Übersterblichkeit an vielen Orten der westlichen Welt – die übrige führt diese Art von Statistik nicht – lässt einen nachdenklich werden. Aber der Premier hat das neue politische Logo schon entworfen: Verantwortung übernehmen. Nimm es auf Dich, und erwarte nicht von den anderen, die Dir bisher beinah jede Eigenmächtigkeit aus der Hand genommen, reguliert bis verboten haben, jetzt für das daraus entstandene Chaos Antworten zu haben. Jetzt also eigenverantwortlich bibbern für den Frieden, der dadurch nicht kommen wird, und eigenverantwortlich erkranken und sterben, was ganz sicher kommen wird.
Siebteln statt Wichteln
Die Bruttosozialprodukt erzeugenden Menschen sind ohnehin dank Vollzeitbeschäftigung und Vollzeitkinderbetreuung kaum mehr zu Hause, können das Sparen also ihren Arbeitgebern und den öffentlichen Einrichtungen überlassen, die das jetzt wiederum gern ins Homeoffice zurückdelegieren würden, natürlich free-of-fee. Denn es geht ja um Solidarität. Wer bisher 7 Stunden pro Nacht verschlafen hat, schläft jetzt einfach eine Stunde länger – unter einer zusätzlichen Decke. Und wer bisher täglich duschte, duscht jetzt sonntags nicht mehr. Auch das Essen kann man auf diese Art vermeiden: dienstags kein Frühstück, mittwochs kein Mittag- und donnerstags kein Abendessen. Und schon haben wir 15 % oder eben ein Siebtel Haushaltsenergie eingespart und tun noch was für Kreislauf und Figur. Der nächste Frühling kommt bestimmt, die Strandgänger wirds freuen. Und wer noch Lockdown-Erinnerungen hat, der weiß, dass man auch mal einen Tag draußen in der Natur verbringen kann. Mit kalten Picknicks und der guten alten Landkarte und Kompass im Gepäck. Man braucht nicht mal ein Smartphone, denn Luxembourg ist nicht so groß und außerdem gut ausgeschildert, verlaufen kann man sich eigentlich nicht. Aber jeder Meter zu Fuß, strom- und benzinfrei fröhlichen Herzens abgewandert, trägt bei zum Energiespar- und Klimawandelbekämpfungsziel. Man muss nur dran glauben und hoffen, dass unsere Wirtschaft andere Einkommensquellen erschließt als unseren kollektiven Dauerkonsum. Vielleicht ein Bürgerrat, der hier auf die Sprünge helfen kann?
Weihnachtsbeleuchtung: statt in jedem Fenster Lichterketten, nur in jedem siebten, ups, das war wohl zu viel des Guten. Früher setzte man mit Kerzen und Lichtern ein Zeichen, für Glauben (an eine bessere Zukunft), fürs Erinnern (an Menschen, die gelitten und durch politische Umstände zwangsweise von uns getrennt waren), fürs Freuen, einfach so, in der dunklen Jahreszeit, weil mensch das braucht.
Jetzt also mit Energiespargrinsen im Gesicht im Dunkeln murkeln als Gegenpart zum Entschleunigen bei depressionsbekämpfendem Weihnachtslicht. Es könnte sein, dass die Rechnung auf anderen Ebenen viel teurer wird, aber eben später. Und das ist bei Fahren auf Sicht scheinbar schon ein Gewinn. Volkswirtschaftlichen Gesamtschaden zu berechnen, benötigt ein hohes Maß an mathematischem Verstehen und Können. Und außerdem gibt es ja noch die Glückslotterie, vielleicht wird es dem Klimawandel geschuldet ein warmer Winter, und vielleicht trifft Putin der Schlag und sein Nachfolger ist Vollblutdemokrat.
Das Nachher ist dem Vorher sein Tod
Das Problem ist, dass unsere technikaffine Welt selbst für Alltägliches wie das Entkrümeln der Tischdecke und das Aufschäumen von Milch spezielle Elektrogeräte entwickelt hat, die fast jeder zuhause hat, und dass wir damit Wirtschaftswachstum und globalen Handel generiert, durchaus auch Hungersnöte und Massenarmut bekämpft haben. Also schnell mal den Elektrogerätebestand durchforsten und jedes siebte Gerät wegwerfen? Naja, da sollte man halt mal nach dem Verbrauch gucken, und nachhaltig ist das jetzt ja auch nicht so wirklich. Wir sitzen in unserer selbstgebauten Lebend-Mausefalle und kommen nicht mehr raus. Aber Putin wird bestimmt erschaudern, angesichts solch tapferen europäisch-luxemburgischen Edelmuts. Und der Klimawandel… sucht sich beschämt einen anderen Planeten für seine Eskapaden.
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