Reaktion auf einen Beitrag von Jeff Mannes in forum 436

In der forum-Nummer von März 2024 erschien ein Beitrag von Jeff Mannes zur Thematik Binarität und cancel culture, auf den ich hier kurz eingehen möchte.

Zu Beginn seines Beitrags macht Jeff Mannes sich lustig über diejenigen, die die Binarität der Geschlechter behaupten und dann „schwups“ (sic!) gecancelt werden. Es gibt nun aber viele Akademiker, die die Binarität der Geschlechter behauptet haben, Todesdrohungen erhielten und unter Polizeischutz gestellt werden mussten, wie etwa die englische lesbische Feministin und Linksaktivistin Kathleen Stock.[1] Oder die linke Feministin Sylviane Agacinski in Frankreich, die daran gehindert wurde, vorzutragen, weil Transaktivisten lauthals schrien.[2]

Zum Glück sind wir hier in Luxemburg noch nicht so weit. Aber Todesdrohungen seitens Transaktivisten gegen Menschen, die nicht so denken wie sie, einfach so auf die leichte Schulter zu nehmen, sollte man lieber nicht tun. Was mich betrifft, so verurteile ich aufs Schärfste jede Gewalt- oder Todesdrohung gegenüber Menschen, die sich als Trans bezeichnen. Es wäre schön, wenn jeder sich ebenso klar und deutlich gegen den verbalen Terrorismus bestimmter Transaktivisten aussprechen würde.

Und zur cancel culture noch: In Frankreich erschien kürzlich ein Buch mit dem Titel Transmania, und sobald angefangen wurde, öffentlich dafür zu werben, stiegen Transaktivisten auf die Barrikaden, um die öffentliche Werbung für das Buch zu verbieten.[3] Oder nehmen wir Schottland, wo ein neues Gesetz Aussagen wie diejenigen von J.K. Rowling unter Strafe stellt.[4]

Dann zur Binaritätsfrage selbst. Was Jeff Mannes zu Beginn seines Beitrags schreibt, scheint darauf hinzudeuten, dass er nicht sieht, wo das Problem liegt. Natürlich hat nicht jeder Mensch ein XX oder ein XY als Chromosomenpaar, und natürlich gibt es auch Menschen, die mit anatomischen Eigenschaften der beiden Geschlechter auf die Welt kommen (Intersex-Personen), und ebenso kann es vorkommen, dass Frauen einen weit höheren Testosteronwert haben als sehr viele Männer, sodass diesen Frauen eventuell sogar ein Bart wächst. Solche biologischen Fakten kann niemand leugnen, und eine erste Frage ist, ob man sie zur Regel machen soll, oder ob man sie als die Ausnahmen betrachten sollte, die die Regel bestätigen.

Ausschlaggebend für mich ist der Phenotyp bei der Geburt: nur Penis und Hoden = Junge; nur Vagina, mitsamt Labia und Klitoris = Mädchen. Aufgrund dieser empirisch beobachtbaren Tatsachen werden die Individuen bei der Geburt einem der beiden Geschlechter zugeordnet und es gelten dann für sie bestimmte Verhaltensregeln hinsichtlich bestimmter gesellschaftlicher Praktiken oder Institutionen, wie etwa dem Sport, dem Aufenthalt in Umkleidekabinen, den Gefängnissen, usw.  So haben Männer, also Personen mit einem Penis und Hoden, nichts, als Insassen, in einem Frauengefängnis verloren, mögen sie noch so laut beteuern, sie seien Frauen. Leider wurden schon wirkliche Frauen von solchen vermeintlichen Frauen in Gefängnissen vergewaltigt, nachdem sich diese Männer in ein Frauengefängnis transferieren ließen.[5]

Dass es Fälle gibt, die biologisch unbestimmt sind, soll dementsprechend nicht geleugnet werden, und in Abwesenheit strikter medizinischer Gründe sollte man sich in solchen Fällen jeder Intervention enthalten und die betroffenen Personen später selbst entscheiden lassen, welchem Geschlecht sie zugehören wollen. Ausschlaggebend sollen immer biologische Fakten sein und keine psychischen Gefühlslagen.

Und hier liegt der Stein des Anstoßes, den man etwa mit der Formel: „Ich denke ich bin eine Frau/ein Mann, also bin ich eine Frau/ein Mann“ oder meinetwegen „Ich fühle mich als Frau/Mann, also bin ich eine Frau/ein Mann“ zusammenfassen könnte. Meine These ist: Man ist das, was man biologisch ist, und nicht das, was man behauptet zu fühlen oder zu denken. Aus der Tatsache, dass ich mich jung fühle, folgt noch nicht, dass ich auch jung bin. Mein biologisches Alter ist eine Tatsache, die mein inneres Gefühl nicht aus der Welt schaffen kann. Insofern finde ich es abwegig, dass jemand verlangt, dass sein offizielles Alter geändert wird, bloß weil er sich nicht so alt fühlt – ein Fall, den es in den Niederlanden gegeben hat.

In seinem Beitrag bleibt Jeff Mannes uns die Antwort auf die Frage schuldig, was denn letztendlich das Geschlecht bestimmen soll, was also letztendlich darüber entscheiden soll, ob jemand bei dem Kugelstoßen der Männer oder bei dem der Frauen teilnehmen soll, oder darüber, wer in ein Frauen- und wer in ein Männergefängnis gehört. Oder noch darüber, wer von der Paritätsregel profitieren soll oder nicht.[6] Oder noch darüber, wer den Dienst eines Frauenarztes in Anspruch nehmen soll oder nicht. In Frankreich regte sich kürzlich ein Mann, also eine Person mit Penis und Hoden, darüber auf, dass ein Gynäkologe ihn abwies. Der Mann sagte, er fühle sich als Frau und wolle demnach von einem Frauenarzt behandelt werden. Ein Fall wie dieser mag zwar anekdotisch klingen, zeigt aber, zu welchen Absurditäten eine bestimmte Ideologie, nämlich die Transgenderideologie, führen kann. Und ich spreche hier von Ideologie, da sie sich nicht auf objektive biologische Fakten stützt, sondern auf subjektive Gefühle.

Man könnte hier einen Vergleich zwischen der Binarität hinsichtlich des Geschlechts und der Binarität hinsichtlich des Todes/Lebens machen. Gibt es nur die Wahl zwischen Leben und Tod? Dabei denke ich jetzt nicht an das als „Schrödingers Katze“ bekannte Gedankenexperiment, mit dem die, sozusagen, Nicht-Binarität der Quantenwelt illustriert werden soll. Und gemeint sind auch nicht die Zombies oder Vampire. Sondern ich denke an die Tatsache, dass der Tod in den unterschiedlichen Disziplinen Unterschiedliches bedeutet – in der Religion ist der Tod etwas anderes als in der Medizin[7] –, dass das uns aber nicht davon abhält, für die Organisation des gesellschaftlichen Lebens an einer binären Struktur festzuhalten. Ein Mensch ist entweder tot oder er lebt, tertium non datur. Und wenn jetzt jemand käme und sagen würde, dass er sich schon als tot fühle und nicht mehr als lebend, dann würden wir ihm sicherlich nicht das Gefühl absprechen, aber wir würden ihn nicht offiziell als tot anerkennen.

fran_kie via shutterstock

Auch beim Übergang vom Leben zum Tod könnte man sagen, dass es sich um ein Kontinuum handelt, und ich kann mir gut vorstellen, dass man auch hier 43.046.721 Ausprägungen finden kann, wie Hirschfeld dies hinsichtlich des Geschlechts gefunden hat. Dabei frage ich mich, was die Begriffe „männlich“ oder „weiblich“ überhaupt bedeuten sollen. Greift man hier auf Stereotypen zurück? Ein Mann, der weint, wenn er sich weh tut, wäre weiblich, und eine Frau, die etwas behaartere Arme hätte, wäre männlich? Wenn man mit solchen Stereotypen arbeitet, dann kommt man sicherlich auf die oben genannte astronomische Zahl an Geschlechtern. Aber sagt man uns nicht immer, wir sollten aufhören, Stereotype zu verwenden? Ich muss auf jeden Fall zugestehen, dass ich mir nicht die Frage stelle, ob ein bestimmtes Verhalten, das ich an den Tag lege, männlich oder weiblich ist.

Es wäre auch an der Zeit zu überlegen, was genau mit der Behauptung gemeint ist, jemand sei in einem falschen Körper geboren. Wer ist dieses „Ich“, das da im falschen Körper ist? Woher hat es den Gedanken, dass es der Körper ist, der falsch ist, und nicht etwa das Gefühl? Das soziale Umfeld der betroffenen Person hat es immer nur mit dem Körper zu tun, und das Gefühl ist diesem Umfeld unzugänglich. Warum sollte ich der Wahrheit des von einer anderen Person ausgedrückten Gefühls mehr Glauben schenken als der materiellen Wahrheit des Körpers? Hier kommt man schnell in theologische Diskussionen, wie sie angesichts der Natur des Körpers von Jesus stattgefunden haben.   

Nicht einverstanden bin ich mit der Behauptung, dass das Festhalten an der Binarität dazu führt, dass man die Sexualität auf ihre reproduktive Funktion reduziert. Aus meinen Publikationen zum Thema geht hervor, dass ich, als jemand, der an der Binarität der Geschlechter festhält, gar nicht die Sexualität auf ihre reproduktive Funktion reduziere, ganz im Gegenteil. Und wenn die Gefahr der „Sexarbeitsfeindlichkeit“ heraufbeschworen wird, so ist dem auch zu widersprechen.

Wo ich voll und ganz Jeff Mannes zustimme, ist in seiner Kritik an den sozialen Medien. Und wenn er davon abrät, „überhaupt ein Social Media Profil zu besitzen“, so kann ich ihm mitteilen, dass ich seinen Rat nicht brauchte, um mir kein solches Profil anzulegen. Frage: Folgt Jeff Mannes seinem eigenen Rat?

Was Jeff Mannes nicht erwähnt, sind die zahlreichen Influencer und Influencerinnen auf den sozialen Medien, die den jungen Menschen raten, ihrem Bauchgefühl zu folgen und z.B. den jungen Mädchen raten, dem Wachstum ihrer Brüste entgegenzuwirken, wenn sie sich nicht als Frau identifizieren wollen. Wenn sich heute so viele Jugendliche als queer, gender fluid, agender, usw. identifizieren, so hat das auch mit den sozialen Medien zu tun. Hier entsteht ein Modephänomen und viele Jugendliche die, wie es so schön heißt, „mit ihrer Zeit schwimmen wollen“, lassen sich mitreißen.[8] Am Schluss seines Beitrags sagt Jeff Mannes, dass wir der wahren Gefahr für unsere Demokratien nur dann entgegenwirken können, wenn wir sie erkennen. Die wahre Gefahr ist für mich das sich Konzentrieren auf die individuellen Gefühle und die Erhebung der Gefühle zur Norm. Und damit verbunden die Unfähigkeit oder den mangelnden Willen, sich auf ein konstruktives Gespräch einzulassen. Schwarze, die nicht wollen, dass Weiße sich an einer Diskussion über Sklaverei beteiligen, sind für mich genauso gefährlich für die Demokratie wie Weiße, die nicht wollen, dass Schwarze an einer Diskussion über etwa die Geschichte Amerikas teilnehmen. Wenn wir miteinander reden, sollten wir von unseren spezifischen Identitäten absehen und nur unsere allen gemeinsame Identität als rationale Wesen – die manchmal auch kleine polemische Pointen benutzen – betrachten.


[1] « Le groupe ‘Anti-TERF Sussex’ veut sa peau. […] Elle reçoit des menaces de mort. La police équipe son téléphone d’un bouton panique et lui recommande d’installer une caméra de surveillance devant sa porte. » (Sylvie Perez, En finir avec le wokisme. Chronique de la contre-offensive anglo-saxonne, Paris 2023, p. 316). 20minutes.fr (6/5/2024) berichtet von einem Tag an den Pariser Mauern : „Une Terf, une balle“. Mit anderen Worten: Frauen, die sich kritisch gegen den Transgenderaktivismus äußern und die Werte des klassischen Feminismus verteidigen, verdienen es, erschossen zu werden. In Schottland ist es nicht besser: „Des militants, sans doute représentants de la frange la plus extrême du transgenrisme, brandissaient une banderole un peu particulière: sous le dessin d’une guillotine était inscrit ‚décapitez les TERF‘“ (Sylvie Perez, op.cit., S. 330). In diesem Kontext sollten einige sich folgende Passage genauer ansehen und sich Fragen stellen: „Transaktivisten gehen über all diese Fragen auf ignorante Weise hinweg. Gleichzeitig schaden sie – möglicherweise eine kleine Minderheit innerhalb der Minderheit der womöglich gar nicht so aggressiven Transmenschen – mit ihren haltlosen, kompromisslosen und egoistischen Tiraden ihrem Anliegen. Denn die meisten Menschen interessieren sich gar so sehr für das Leben anderer, solange diese es nicht ins Schaufenster stellen“ (Peter Köpf und Zana Ramadani, Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht, Köln 2023, S. 68).

[2] « Bientôt, la conférence de Sylviane Agacinski ‘L’être humain à l’époque de sa reproductibilité technique’ prévue le 24 octobre 2019 à l’Université de Bordeaux-Montaigne (UBM), était annulée par l’administration de l’établissement sous la pression des associations étudiantes WakeUP !, Mauvais Genre.s, Riposte Trans et Collectif étudiant-e-s antipatriarcat […] » (Sylvie Perez, En finir avec le wokisme. Chronique de la contre-offensive anglo-saxonne, Paris 2023, p. 45). In Brüssel waren Céline Masson und Caroline Eliacheff die Opfer der Transaktivisten – siehe lepoint.fr (19/12/2022): Bruxelles: une conférence sur l’activisme trans empêchée. Etwa zwanzig Maskierte drangen in das Café ein, in dem der Vortrag der beiden Frauen stattfinden sollte und warfen mit Exkrementen um sich. Siehe auch den Artikel ‚Transactivisme: ces censeurs qui infiltrent l‘Université’ auf lepoint.fr vom 27/02/2024.

[3] Die sozialistische Mehrheit des Pariser Stadtrats ließ die Werbung für das Buch von den Decaux-Anzeigetafeln in der Hauptstadt entfernen – siehe hierzu etwa huffingtonpost vom 17/04/2024: La mairie de Paris obtient le retrait d’une campagne de pub pour le pamphlet transphobe Transmania. Dabei muss gesagt werden, dass die Bezeichnung „transphob“ gebraucht wird für jeden, der es auch nur wagt, einen etwas kritischen Gedanken über das Transgenderphänomen zu äußern.

[4] Zu diesem schottischen Gesetz, siehe, unter vielen, Washingtonpost.com (10/04/2024); Scotland’s hatespeech law ignites culture war far outside its borders. Zu Rowling: „Le 15 septembre 2020, un tweet appelant à brûler son dernier livre est gratifié de 52 000 likes » (Sylvie Perez, op. cit., S. 101). Sieht man von den Idioten ab, die in Schweden den Koran verbrennen, haben die letzten Bücherverbrennungen in Europa unter den Nationalsozialisten stattgefunden.

[5] Siehe hierzu Helen Joyce, Trans. When Ideology meets Reality, London 2021, S. 159ff. Siehe auch das schon erwähnte und minutiös recherchierte Buch von Sylvie Perez, S. 325ff.

[6] Oder nehmen wir folgenden Fall: Eine Lesbe lernt auf Internet eine Person kennen, die sich als Frau ausgibt und die auch auf ihrem Ausweis als Frau eingetragen ist. Sie chatten miteinander und treffen sich dann eines Tages. Und eines Abends sind sie im Schlafzimmer der lesbischen Frau, die plötzlich entdeckt, dass die andere Person einen Penis und Hoden hat. Sie wirft diese Person raus und wird dann als transphob beschimpft. Und wenn Transphobie ein gesetzlich sanktioniertes Vergehen ist, dann kann die lesbische Frau sogar noch rechtlich bestraft werden. Und wenn es sich rumspricht, dass sie eine trans-exclusionary-radical-feminist ist, können ihr sogar – siehe oben – Todesdrohungen blühen.

[7] Und auch in der Medizin hat die Definition des Todes sich geändert, als Organtransplantationen möglich wurden. Unser jetziger Hirntod hat demnach eine Geschichte. Aber die Definition beruht weiterhin auf einem objektiven Faktum und nicht auf einem vagen Gefühl.

[8] Siehe hierzu Abigail Shrier, Dommages irréversibles. Comment le phénomène transgenre séduit les adolescentes, Paris 2022. Originalausgabe auf Englisch (2020).

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