Vor 23 Jahren revolutionierte der britische Filmemacher Danny Boyle, bekannt u. a. durch Trainspotting (1996) und Slumdog Millionaire (2008), mit 28 Days Later (2002) das Zombiefilm-Genre sowohl erzählerisch als auch ästhetisch.
Traten Zombies bis dahin meist als langsam herumwandernde Untote in Erscheinung, deren Wurzeln in Voodoo-Ritualen oder ähnlich okkultistisch-übernatürlichen Ereignissen lagen – man denke etwa an den berühmten Ausspruch: »When there is no more room in hell, the Dead will walk the Earth« aus George A. Romeros Dawn of the Dead (1978) – so ersetzte Boyle in 28 Days Later diese traditionelle Vorstellung durch hyperagile, virusinfizierte und gewissenlose zombiehafte Wesen, die sich binnen wenigen Sekunden verwandelten, und hauchte damit einem Genre, das seine einstige Ernsthaftigkeit verloren hatte und in den Niederungen des Videothekenhorrors zu versanden drohte, neue Dynamik und erzählerische Perspektiven ein. Auch in der Bildgestaltung beschritt 28 Days Later eigene, ungewöhnliche Wege: Boyle drehte große Teile des Films mit mobilen Canon-DV-Handkameras, die dem Film einen rohen, nervösen und semi-dokumentarischen Look verliehen und bei den morgendlichen Dreharbeiten im noch menschenleeren London schneller einsatzbereit waren als gewöhnliche 35mm-Kameras.

Auf der Handlungsebene lieferte der Film einen pointierten Kommentar zu den Unwägbarkeiten des 21. Jahrhunderts. Als Umweltaktivist.innen in einem Forschungslabor Schimpansen befreien, die mit dem hochaggressiven Rage-Virus infiziert sind, lösen sie ungewollt eine Epidemie aus, die Großbritannien binnen weniger Wochen kollabieren lässt. Drehbuchautor Alex Garland (u. a. Ex Machina, 2014 und Civil War, 2024) und Regisseur Danny Boyle verdichteten hier gleich drei prägende Angstfantasien der frühen Nullerjahre: die Ausbreitung neuartiger Seuchen von AIDS über Ebola, BSE, der Maul- und Klauenseuche bis zu SARS, die traumatisierenden Fernsehbilder des 11. September sowie die (daraus abgeleitete) Fragilität gesellschaftlicher Ordnungen, und verwoben sie zu einer düsteren und hochaktuellen Parabel. Das fünf Jahre später von Juan Carlos Fresnadillo gedrehte Sequel 28 Weeks Later (2007, mit Boyle und Garland als ausführenden Produzenten) kam handwerklich ausgefeilter daher als der raue Vorgänger, erreichte aber trotz beklemmender Sequenzen nicht dessen wegweisende Relevanz. Beide Filme lösten eine Renaissance an Zombiefilmen aus, die auch dafür sorgte, dass die Zombie-Motive in andere Genres übertragen wurden (z. B. die Romanze Warm Bodies, 2013 oder das Familiendrama Maggie, 2015).
Für einiges an Aufsehen sorgte dann auch die im Januar 2024 verbreitete Nachricht, dass das Duo Garland/Boyle an gleich mehreren Fortsetzungsfilmen arbeitete – während 28 Years Later (Regie: Danny Boyle) seit Kurzem im Kino läuft, ist 28 Years Later: The Bone Temple (Nia DaCosta) für Januar 2026 angesetzt. Auch dieses Mal rückten schon vor dem Kinostart technische Finessen in den Vordergrund – Regisseur Boyle und sein D.O.P. Anthony Dod Mantle filmten 28 Years Later mit hochgerüsteten iPhone-15-Pro-Max, die es erlaubten, wie bereits 2002, fast vollständig auf künstliche Beleuchtung zu verzichten. Auch wenn die mit modernen Smartphones erzeugten Bilder qualitativ in keiner Weise mit den grobkörnigen DV-Aufnahmen der 2000er-Jahre vergleichbar sind, lässt sich darin nichtsdestotrotz eine Fortführung jenes agilen Guerilla-inspirierten Filmemachens erkennen, das bereits 28 Days Later prägte.

Auch inhaltlich knüpft 28 Years Later deutlicher an den Originalfilm an, als an das Sequel – und revidiert dabei sogar in gewisser Weise dessen Ende, das andeutete, das Rage-Virus habe inzwischen auch Paris erreicht. In 28 Years Later richtet sich der Fokus erneut auf Großbritannien: 28 Jahre nach dem Ausbruch steht das (ehemalige) Vereinigte Königreich weiterhin unter strenger Quarantäne (wie wir später herausfinden, patrouilliert die NATO-Marine an den britischen Küstenstreifen), während es dem Rest der Welt gelungen ist, das Virus weitgehend einzudämmen. Die wenigen Überlebenden haben sich in kleine Gemeinschaften zusammengeschlossen – so auch eine Gruppe Nicht-Infizierter, die sich auf die Gezeiteninsel Lindisfarne (Holy Island) an der Nordostküste Northumberlands zurückgezogen haben; mit dem englisch-schottischen Festland ist die Insel über einen schmalen Damm verbunden, der nur bei Niedrigwasser passierbar ist. Die dort lebende Gemeinschaft, in der auch der zwölfjährige Spike (Alfie Williams) mit seinen Eltern (Aaron Taylor-Johnson und Jodie Comer) lebt, hat sich mithilfe strenger Regeln, archaisch anmutender Selbstversorgung und einer auf Solidarität basierenden Disziplin einen einigermaßen sicheren Zufluchtsort geschaffen – dessen fragile Stabilität allerdings immer wieder durch riskante Versorgungsstreifzüge aufs Festland gefährdet wird.
Mit einem solchen Streifzug beginnt die erste Hälfte von 28 Years Later, einem Abschnitt, der sich sowohl tonal als auch erzählerisch deutlich von der zweiten Filmhälfte unterscheidet. Der zwölfjährige Spike steht an einem Wendepunkt: Sein Initiationsritus steht bevor – er soll sich erstmals beweisen und seinen Platz innerhalb der streng organisierten Gemeinschaft verdienen. Gemeinsam mit seinem Vater Jamie begibt er sich auf das Festland; auf dem Rücken tragen sie Bögen, die vielleicht letzte verbliebene Waffe der Menschheit, damit Spike seine erste Zombie-Tötung absolvieren kann. Während ihm dies bei den trägen, im Wald anzutreffenden, aufgeblähten Slow-Lows (die sich ohnehin fast nur noch von Regenwürmern ernähren) noch gelingt, versagen ihm die Nerven, als ein sogenannter Alpha mit seiner Horde auftaucht – eine mutierte, deutlich kräftigere und gefährlichere Variante der ursprünglichen Rage-Infizierten. In der visuell eindrucksvollsten Sequenz des Films müssen Jamie und Spike während einsetzender Flut zurück auf das Lindisfarne-Eiland fliehen – verfolgt von einem Alpha, umgeben von der Dunkelheit der Nacht, dem Licht der Sterne und dem Leuchten der Aurora Borealis.
Vater Jamies Mission scheint damit erfüllt: Er hat sein tradiertes, männlich codiertes Überlebenswissen an den Sohn weitergegeben und ihn symbolisch zum Mann gemacht. Entsprechend ruhmreich wird der blutige Streifzug, der nur knapp an einer Katastrophe vorbeischrammte, in der Gemeinschaft mit reichlich Alkohol und heroisierenden Erzählungen besungen. Spike hingegen treiben völlig andere Sorgen um – seine Mutter Isla leidet unter besorgniserregenden Symptomen wie Fieberschüben, Schmerzen und Halluzinationen. Spike erfährt, dass die Feuer auf dem Festland – die sein Vater und er selbst nachts beobachten konnten – von einem (angeblich) wahnsinnigen Arzt stammen: Dr. Kelson (Ralph Fiennes) verbrennt dort massenhaft die Leichen der Infizierten. Die Inselgemeinschaft, vor allem Jamie, meiden Kelson, haben jedoch selbst keinen Arzt, der Isla behandeln könnte. Aus Sorge um sie bricht der Junge mit seiner Mutter zu einer weiteren Expedition auf das Festland auf …

Eine gewisse avantgardistische Experimentierfreude sowie die Lust an visuellen Wagnissen und formalen Brüchen findet sich immer wieder in (und zwischen) den Filmen von Danny Boyle – so auch in 28 Years Later. Obwohl sich die erste Filmhälfte noch recht eng an die etablierten Situationen und Motive des Zombiekinos hält, ist auch sie bereits von experimentellen Stilbrüchen durchzogen: Während Jamie und Spike etwa den Damm überqueren, werden Zwischensequenzen von Bogenschützen aus Laurence Oliviers Historiendrama Henry V (1944) eingeblendet und von Rudyard Kiplings Gedicht Boots (1903) in einer historischen Aufnahme von 1915, gespenstisch vorgetragen von Taylor Holmes, unterlegt.
In der zweiten Filmhälfte vollziehen Garland/Boyle dann einen radikalen Tonwechsel, der den Fokus deutlicher auf die Dynamik der Beziehung zwischen Spike und seiner Mutter Isla legt und dabei existenzialistische Fragen über die Welt – bzw. Großbritannien – nach dem Zivilisationskollaps stellt. Spätestens mit dem Auftritt von Dr. Kelson wechselt die Handlung so vom Überlebenshorror zu einer metareflexiven Auseinandersetzung der Nachwirkungen der Epidemie: im Zentrum stehen nunmehr die langfristigen Folgen der Seuche – der massive Verlust an Menschenleben, die Sinnsuche der Überlebenden, der Versuch einer sinnstiftenden Trauerarbeit sowie die ständige Konfrontation mit der eigenen Mortalität. Dr. Kelson ist keineswegs der Wahnsinnige, für den ihn die Inselbewohner halten; vielmehr errichtet er auf einer Anhöhe ein groteskes Knochen- und Schädelmonument, ein Monument aux Morts, um den Verstorbenen, ob Menschen oder Infizierte, ihre letzte Würde zurückzugeben und wieder zusammenzuführen, was die Epidemie entzweit hat – oder, wie Kelson es ausdrückt: Die Infizierten und die Nichtinfizierten sind einander ähnlicher, als die Überlebenden es wahrhaben wollen.
Während 28 Days Later im letzten Akt zur bitteren Erkenntnis gelangte, dass die größte Bedrohung nicht von den Infizierten, sondern von den überlebenden Menschen selbst ausgeht – verkörpert durch Soldaten, die Schutz nur als Vorwand missbrauchen, um Gewalt- und Machtfantasien auszuleben –, schlägt Boyle in 28 Years Later überraschend versöhnliche Töne an, indem er zumindest die Möglichkeit in den Raum stellt, dass Menschlichkeit auch in einer postapokalyptischen Welt noch Bestand haben kann. Wie in 28 Days Later verbindet Boyle auch hier sein Endzeitszenario mit einem zeitdiagnostischen Kommentar: Er thematisiert sowohl die Nachwirkungen des Brexits mit der vorübergehenden politischen wie versorgungstechnischen Isolation Großbritanniens als auch die durch die Covid-19-Pandemie vertiefte gesellschaftliche Spaltung und die wachsende Ablehnung gegenüber Wissenschaft und Medizin, sowie den Einfluss toxischer Männlichkeitsbilder auf Heranwachsende.
Manche Einfälle wirken allerdings auch wie billige, pubertäre Provokationen – etwa die durchgehend zur Schau gestellte Nacktheit der Zombies, eine sinnfreie Geburtsszene, in der sämtliche Figuren entgegen aller zuvor etablierten Logik handeln, oder die überdrehten letzten fünf Minuten des Films, die allzu offensichtlich auf die Fortsetzungen hinführen und die zuvor gesetzte Tonalität vielleicht einmal zu oft brechen. Davon abgesehen ist 28 Years Later ein visuell herausragender, mitunter experimentell erzählter Beitrag zum Zombie-Kino, der die populärkulturelle Zombie-Mythologie in vielerlei Hinsicht weiterdenkt und insbesondere in seiner zweiten Hälfte zu interessanten Gedankenspielen einlädt.

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