Es gibt Filme, deren Wirkung entscheidend davon abhängt, dass man ihnen ohne allzu detailliertes Vorwissen begegnet. Auch Weapons von Zach Cregger, seine zweite Spielfilmarbeit nach dem vielfach gelobten, jedoch im Streamingangebot von Disney+ eher unbeachtet gebliebenen Horrorfilm Barbarian (2022), gehört in diese Kategorie. Die folgende Besprechung wird sich daher auf das Wesentliche beschränken.
In der amerikanischen Kleinstadt Maybrook, Pennsylvania, verlassen um 2:17 Uhr in der Nacht siebzehn Kinder derselben Klasse ihre Häuser und verschwinden spurlos im Dunkel der Nacht. Zurück bleibt nur der schmächtige Alex Lilly (Cary Christopher), der wiederholt von seinen Mitschülern gemobbt wurde. Da es auch Wochen nach dem Vorkommnis keine plausible Erklärung für das plötzliche Verschwinden der Grundschulkinder gibt, und auch die polizeilichen Ermittlungen ohne Ergebnis bleiben, richten die Bewohner von Maybrook ihre Wut und Ohnmacht zunehmend auf die Klassenlehrerin Justine (Julia Garner), die dadurch selbst in den Fokus des Verdachts gerät. Schulleiter Marcus (Benedict Wong) suspendiert Justine schließlich vom Dienst; in der Folge verfällt sie erneut dem Alkohol und sucht Halt bei ihrem Ex-Freund, dem ebenfalls eher instabilen Polizisten Paul (Alden Ehrenreich). Währenddessen nimmt Archer Graff (Josh Brolin), Vater eines verschwundenen Kindes, eigene Ermittlungen auf – und brandmarkt Justine zunächst öffentlich als „Witch“, als Hexe, bevor sich beide widerstrebend zusammentun, um Licht ins Dunkel zu bringen …

© Warner Bros. Pictures
Wie Barbarian ist auch Weapons multiperspektivisch, puzzleartig und nicht-chronologisch strukturiert. Cregger verschiebt beständig die Blickachsen, indem er die mysteriösen Ereignisse in Maybrook in einzelne Kapitel zerlegt, die jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt werden. Indem der Film dabei auch in seiner eigenen Chronologie vor- und zurückspringt, lässt jede dieser Vignetten (oder Episoden) das zuvor Gesehene in neuem Licht erscheinen: Sie ergänzen Informationen, verschieben Bedeutungszusammenhänge, revidieren frühere, erste Eindrücke und vertiefen so die ohnehin ungewöhnlich komplexe Zeichnung der Charaktere, die alle ihre Makel und Eigenheiten mit sich herumtragen.
Ebenfalls wie in Barbarian, wo Cregger indirekt den Niedergang der einstigen Autometropole Detroit ins Bild rückte, entwirft er auch hier ein filmisches Spannungsfeld zwischen urbanem und folkloristischem Amerika. Die Topografie der Kleinstadtidylle mit ihren aus dem Horrorkino bekannten und zuletzt durch Serien wie Stranger Things wieder popularisierten Schauplätzen – der Elementary School, den Einfamilienhäusern, Tankstellen, Bars und dem angrenzenden Wald – erscheint zunächst als vertrautes Gefüge, das jedoch rasch in etwas Unheimliches, ja Liminales kippt. Diese Raumordnung verbindet Cregger mit folkloristischen Motiven – Sagen (man denke an den Rattenfänger von Hameln aus dem 13. Jahrhundert), Märchenfragmenten und urbanen Legenden aus dem kulturellen Imaginären der Americana –, die den Räumen eine mythische Aufladung verleihen. In dieses Geflecht fügt sich schließlich auch der sehr blutige und provokativ-drastische Schlussakt, der das Geheimnis um das Verschwinden der Kinder zumindest teilweise lüftet.

© Warner Bros. Pictures
Cregger, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, nannte unter anderem Paul Thomas Andersons Episoden- und Ensembledrama Magnolia (1999) als Inspiration für Weapons. Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Referenz, die man als eine etwas hochgegriffene Marketingstrategie abtun könnte, die jedoch ebenso gut zum Ausdruck bringt, dass Cregger ein ambitioniertes Verständnis des modernen Horrorkinos hat, die auch von den Zuschauer*innen Geduld und die Bereitschaft erfordert, sich in einem kryptischen, nur an der Oberfläche wohlbekannten Kleinstadtuniversum zu orientieren.
Dass Weapons trotz seiner Dauer von 129 Minuten bislang weltweit ca. 148 Millionen US-Dollar eingespielt hat – bei einem Produktionsbudget von 38 Millionen US-Dollar – deutet zumindest darauf hin, dass auch das Publikum bereit ist, diesen anspruchsvolleren Weg des Horrorkinos mitzugehen.
Sehenswert. Aktuell im Kino.
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