Protagonisten:
Robert Mehlen: ADR-Abgeordneter und Präsident des „Fräie Lëtzebuerger Bauereverband“ (FLB)
Marc Fischbach: CSV-Landwirtschaftsminister und vorher Notar in Mersch
Anatole Stiefer: Angestellter von Marc Fischbach
Albert Kolber: „Fürst von Sayn-Wittgenstein“, Angestellter von Marc Fischbach
Mathias Berns: Generalsekretär der Bauernzentrale 1944-1993
Enthüller: Robert Mehlen
Zeitraum: 1984-1994
Verschwörungsziel: Korruption
Attraktivität: 2 von 5
Die Story: Im spießigen Ambiente des Restaurants „Chalet Mierscherbierg“ übergibt der Direktor der Bauernzentrale, Jean Ewert, im Juni 1984 „eng Walisse“ mit 2,4 Millionen Franken an Marc Fischbach. Fischbach wird einen Monat später Landwirtschaftsminister in der Regierung Santer-Poos. Er vertraut den Koffer seinen anwesenden Mitarbeitern Albert Kolber und Anatole Stiefer an, damit sie das Geld zählen.
Die Enthüllung: Am 10. Januar 1994 „enthüllte“ der ADR-Abgeordnete Robert Mehlen auf dem Kongress des FLB die ersten Elemente der Geschichte, die später zur „Walissenaffär“ wurde: Ein Abgeordneter einer anderen Partei habe ihm gesagt: „Mir hunn alleguer kritt, jhust déi eng hu méi kritt wéi déi aner.“ In seiner Rede sinnierte er ebenfalls über einen Zusammenhang zwischen Parteispenden und hohen Staatsbeihilfen, die CSV-Landwirtschaftsminister
an die Bauernzentrale zahlten.
Mehlens Hypothese (wie er es nennt), dass die Bauernzentrale die CSV geschmiert habe, schlug hohe Wellen. Am 1. Februar 1994 beschloss die Chamber, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Erst zu diesem Zeitpunkt übergab Robert Mehlen der Kommission und der Presse ein Dossier, um die eigentliche „Walissenaffär“ aufzudecken. Zusammen mit dem Anwalt Fernand Entringer präsentierte Mehlen Zeugen dieser Kofferübergabe: Einerseits Albert Kolber sowie Alphonse Ferber und Médard Neises (Mitglieder des FLB), denen die Geschichte im Sommer 1984 von Anatole Stiefer (der 1986 Selbstmord beging) im Chalet Mierscherbierg erzählt worden sei.
Der Bericht der Untersuchungskommission stellte mehrere Fehler in der Story fest. Das Chalet Mierscherbierg wurde erst 1985 eröffnet, die Kofferübergabe und die „Beichte“ Stiefers konnten also nicht an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt stattgefunden haben. Die Zeugen nannten in der Folge andere Orte und Zeitpunkte, die jedoch auch nicht überprüfbar waren. Dass eine Person der Bauernzentrale die Waliss übergeben habe, nannte Kolber pure Spekulation. Außerdem hatte Marc Fischbach kurz bevor er Minister wurde, Streit mit seinen Mitarbeitern, so dass es nicht glaubhaft schien, dass er mit ihnen zusammen in ein Restaurant gehen würde und schon gar nicht, um Parteispenden zu empfangen. Der CSV-Abgeordnete Niki Bettendorf bestritt schließlich formell, den Satz gesagt zu haben, mit dem Robert Mehlen ihn im Januar 1994 zitiert hatte. Als RTL 2014 auf die Affäre zurückkam, reagierte Mehlen per Brief und schrieb, die Aussagen der Zeugen seien nie endgültig widerlegt worden.
Der Kontext: Diese Verschwörungstheorie hatte einen sehr persönlichen Hintergrund: Seit Ende der Siebzigerjahre lag Robert Mehlen im Streit mit der Bauernzentrale, wobei es v.a. um die Verwaltung der Luxlait ging. Dieser Machtkampf mit Berns erreichte Mitte der Achtzigerjahre seinen Höhepunkt. Mehlen gründete den Konkurrenzverband FLB und wechselte von der CSV zur ADR. Die Bauernzentrale war zu Beginn der Neunzigerjahre geschwächt: 1990 lief ein Gerichtsverfahren gegen Berns wegen Unregelmäßigkeiten in der Buchführung und 1993 zog er sich von der Spitze des Verbandes zurück. Maßgeblich war auch der politische Hintergrund: Im Juni 1994 fanden Parlamentswahlen statt, anläss-lich derer sich die ADR endgültig etablieren wollte (was ihr auch gelang). Die Versuchung war entsprechend groß, gleichzeitig die CSV und die Bauernzentrale zu diskreditieren. Genauso nutzten die anderen Parteien den Bericht der Untersuchungskommission, um Robert Mehlen Verantwortungslosigkeit und gefährliche Spielchen vorzuwerfen.
Muster: Plausibel erschien die „Walissenaffär“ wohl vielen, weil sie indirekt Mathias Berns implizierte. Der Filz um die Bauernzentrale, seine Macht in der CSV und seine Hybris sind legendär. Diese vermeintliche Affäre verband also das Bild des CSV-Staates mit der grundsätzlichen Annahme, dass „die da oben“ alle korrupt sind. Gewürzt ist die Geschichte mit der schillernden Persönlichkeit Albert Kolber, der sich Fürst von Sayn-Wittgenstein nennt.
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