„Not a warning, not a question… a bullet!“

Eine Kritik zu Quentin Tarantinos The Hateful Eight

In Quentin Tarantinos Western The Hateful Eight (2016), der kurz nach dem Ende des Sezessions-krieges (1861-1865) angesiedelt ist, spielen Schnee und Kälte auf mehreren Ebenen eine zentrale Rolle. Da ist zum einen die unwirtliche und erbarmungslose Landschaft Wyomings im allertiefsten Westen der Vereinigten Staaten, die, gepaart mit einem anrückenden Schneesturm, acht Fremde zwingt, Unterschlupf in einer Hütte zu suchen. Zum anderen ist da aber auch die zwischenmenschliche Kälte: In seinem achtem Film zeichnet Tarantino das Porträt einer durch den Krieg verrohten, tief zerrütteten Gesellschaft, deren Akteure im Mikrokosmos einer eingeschneiten Hütte, die eigentlich Schutz bieten soll, politisch und persönlich aufeinanderprallen. Die folgende Kritik enthält wesentliche Angaben zum Inhalt und Ende des Films.

Ein doppelter „Huis clos“

Begleitet von unheilvoller Musik (von Ennio Morricone, der erstmals Neukompositionen zu einem Tarantino-Film beisteuert) taucht eine Pferdekutsche am Horizont auf und kämpft sich durch die verschneiten Gebirgslandschaften Wyomings. In der Kutsche sitzen John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell in beeindruckender Kostümierung), seines Zeichens Kopfgeldjäger und, angekettet an ihn, Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh in einem famosen Comeback). Beide sind auf dem Weg nach Red Rock, wo Domergue gehängt werden soll – vor Ruths wachsamen (oder sadistischen) Augen. Unterwegs treffen sie auf Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson, „acteur fétiche“ von Tarantino), der sein Pferd an die gnadenlose Kälte verloren hat, und mit einem Stapel gefrorener Leichen im Schlepptau auf eine Mitfahrgelegenheit nach Red Rock wartet: Er ist ebenfalls Kopfgeldjäger und ein ehemaliger Sklave, der Karriere in der Nordstaatenarmee gemacht hat. Auch wenn Ruth und Warren sich kennen, ist diese Begegnung mitten im Nirgendwo (und damit der Grundton des Films) geprägt von gegenseitigem Misstrauen und Vorsicht.

Kurze Zeit später wird die Dreiergruppe – zuzüglich dem Kutscher O.B. (James Parks), der aber als Nebenfigur fungiert – mit einem weiteren Fremden konfrontiert, der sich als zukünftiger Sheriff von Red Rock vorstellt; wollen Ruth und Warren also ihre jeweiligen Prämien einkassieren, müssen sie ihn – d.h. Chris Mannix (Walton Goggins), der Anführer einer plündernden Südstaatenbande während des Bürgerkriegs und ausgewiesener Rassist – wohl oder übel mitnehmen. Die Pferdekutsche verwandelt sich damit allmählich in den ersten „Huis clos“ des Films, einem geschlossenen Raum, in dem zwar Deals und Allianzen geschmiedet werden, die Charaktere sich aber auch gegenseitig ausgeliefert sind und aneinandergeraten. Die obszöne, kindisch-aufgedrehte
Daisy spuckt auf einen angeblichen Brief von Präsident Abraham Lincoln, den Warren stets mit sich führt, Mannix wirft dem schwarzen Major Warren Kriegsverbrechen vor und Ruth ruft seine Gefangenen regelmäßig mit Gewalt zur Ordnung.

Mit dem Beginn des dritten Kapitels und der Ankunft in „Minnie’s Haberdashery“, einer Herberge kurz vor dem Ankunftsziel Red Rock, verdoppelt sich die Zahl der Akteure. Die Vierergruppe wird aber nicht, wie erwartet, von Minnie und ihrem Mann Sweet Dave empfangen, sondern von dem lakonischen Mexikaner Bob (Demián Bichir), der sie mit drei weiteren Fremden bekannt macht, die ebenfalls in Minnies Hütte Zuflucht vor dem Schneesturm gesucht haben: Der mürrische Cowboy Joe Cage (Michael Madsen), der vorgibt an seiner Biographie zu schreiben und über Weihnachten seine Mutter besuchen zu wollen, der exzentrische Brite Oswaldo Mobray (Tim Roth), der sich als neuer Henker von Red Rock ausgibt, sowie der alte Südstaatengeneral Sandy Smithers (Bruce Dern). Nach der Kutsche wird nun die eingeschneite Hütte zum „Huis clos“ – und für einen Großteil der Anwesenden auch zur letzten Ruhestätte.

Das Misstrauen wächst rapide, denn vor allem Ruth wittert ein Komplott: „One of them fellas is not what he says he is.“ Er verdächtigt einen oder mehrere der Gäste, Daisy Domergue befreien oder sich das Kopfgeld aneignen zu wollen. Analog zu der Schachpartie zwischen Mobray und Smithers beginnt Tarantinos Spiel mit dem Schicksal der Protagonisten: Interessen und Allianzen ändern sich ebenso schnell wie die Kontrolle über die Situation und ein vergifteter Kaffee sorgt zügig dafür, dass die ersten Figuren aus dem Spiel verschwinden.

Eine filmische Partie Cluedo

Angesichts Tarantinos bisheriger Filmographie ist es zunächst einmal durchaus erstaunlich, dass er zum zweiten Mal in Folge einen Film des gleichen Genres inszeniert. Vordergründig ist The Hateful Eight zwar inspiriert von den schmuddeligen, zynischen und brutalen Italowestern von z.B. Sergio Corbucci (Django, 1966 oder Il grande silenzio, 1968), doch Tarantino wäre nicht Tarantino, wenn er sein Publikum nicht auf falsche Fährten locken würde: Wer einen Western erwartet, bekommt erst einmal eine filmische Partie Cluedo vorgesetzt. Auch bei der Optik erlaubt sich Tarantino eine nette Spielerei: Gedreht wurde The Hateful Eight in 70mm-Ultra-Panavision, einem Bildformat, das sich eigentlich hervorragend für opulente Landschaftsaufnahmen eignet – dabei spielt der Film zu vier Fünfteln in geschlossenen Räumen. Tarantino und sein Kameramann Robert Richardson nutzen das Format jedoch auch bei den Innenaufnahmen geschickt, um die Dimensionen der Herberge sowie die Beziehungen der Protagonisten untereinander in Szene zu setzen, und verleihen dem Geschehen dadurch bisweilen etwas Theaterhaftes. Durch den Einsatz spezieller Linsen und die ausgezeichnete Beleuchtung ist die allgemeine Optik von The Hateful Eight beeindruckend schön.

Leider ist Tarantinos achtes Werk aber nicht frei von Schwächen. Mit fast drei Stunden ist der Film sehr lang (immerhin nie zu lang) und gerade die
ersten beiden Kapitel sind allzu gemächlich inszeniert und nur bedingt spannend. Enttäuschend sind über weite Strecken die Dialoge (eigentlich Tarantinos
Paradedisziplin), die dieses Mal zwar wie immer ausgiebig, aber auch repetitiv und leer daherkommen. Wieder und wieder erklären die Figuren, was gerade passiert ist oder was sie vorhaben – sollte dies ironisch gemeint sein, so wird diese Ironie von der düsteren und nihilistischen Grundstimmung des Films geradezu erstickt. Aufgrund der Tatsache, dass Tarantino den Humoranteil gegenüber früheren Filmen ohnehin stark zurückgefahren hat, scheinen die wenigen – teilweise überdrehten – humoristischen Einlagen umso stärker mit dem Sadismus und der Abgebrühtheit der Protagonisten, die im besten Falle unsympathisch sind, zu kollidieren. Zudem wirken die Figuren klischeehaft und sind nicht wie gewohnt eine clevere Parodie jener Klischees.

In vielen Rezensionen wurde erwähnt, The Hateful Eight sei auch eine Synthese des bisherigen filmischen Schaffens Tarantinos. Und tatsächlich bleibt seine Signatur trotz des düsteren Grundtons erkennbar: Erzählung in Kapitelform, bizarre Namen, bluffende Charaktere, Perspektivenwechsel (Tarantino selbst greift zwei Mal als allwissender Erzähler ein) und ausufernde Unterhaltungen, die abrupt in rabiate Schusswechsel münden. Es stellt sich aber auch die Frage nach konkreten Verweisen auf seine Filmographie. Neben einem Cast, der zum großen Teil aus Tarantino-Veteranen besteht, sind es u.a. Spielereien mit der Zahl 8. Die Ankündigung als achter Film im Vorspann sowie die Verdoppelung der Protagonisten (von zwei zu vier Mitreisenden in der Kutsche, von vier zu acht Gästen in der Hütte) erinnern an Brad Pitt, der acht „Basterds“ rekrutierte, und an Kurt Russell, der in Death Proof (2007) zwei Mal mit einer Vierergruppe Frauen aneinandergeriet.

Noch konkreter sind allerdings die Parallelen zu
Reservoir Dogs (1992) und Django Unchained (2012). Mit ersterem hat The Hateful Eight den „Huis clos“ gemein, sowie die Prämisse, dass eine Gruppe an ebendiesem geschlossenen Ort einen Verräter in den eigenen Reihen aufspüren muss; dazu die Bluffs und das Groteske. Während The Hateful Eight nach dem Sezessionskrieg und überwiegend an einem Ort spielt, porträtierte Tarantino in seinem ersten
Western Django Unchained die von Sklaverei und Rassismus geprägte amerikanische Gesellschaft vor dem Bürgerkrieg. Im Mittelpunkt dieses Films stehen der befreite Sklave Django und der Kopfgeldjäger Dr. King Schultz, die beide auf der Suche nach Djangos entführter Frau sind – und sie bei Plantagenbesitzer Candie finden. Am Ende dieser identitätsstiftenden Reise steht die gewalttätige Rache für das Joch der Sklaverei in Form eines ausladenden Showdowns, in dem die Sklavenhalter getötet, die Herrenhäuser gesprengt und die Sklaven befreit werden. Wie in Inglourious Basterds (2009), in dem die jüdische Französin Shosanna sich bei der Filmpremiere eines kruden Nazi-Propagandafilms an den Machthabern des Dritten Reichs rächt, schrieb Tarantino die Geschichte durch die Macht des Kinos neu.

Der Western als Spiegel der Gegenwart?

In The Hateful Eight rückt Tarantino nach Django somit erneut ein Thema in den Mittelpunkt, das ihm offensichtlich am Herzen liegt: die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen in den USA. Deutlich wurde das auch im Oktober 2015, als sich der Filmemacher an einer Protestkundgebung für die mehrheitlich schwarzen Opfer von Polizeigewalt in New York beteiligte, und dabei von „Morden“ sprach – scharfe Worte, die ihm Boykottaufrufe seitens Polizeigewerkschaften einbrachten. Tatsächlich ist kaum ein Filmgenre so eng mit der US-Geschichte verbunden wie der Western. Deshalb scheint es auch besonders geeignet, die Schattenseiten der amerikanischen Nationsbildung zu thematisieren: Sklaverei, Rassismus, Bürgerkrieg, Vertreibung und Genozid an den Ureinwohnern.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts pflegten gerade die US-Western noch einen naiven Umgang mit der Geschichte, der sich oftmals darauf beschränkte, Phantasien von grenzenloser patriotischer Freiheit zu evozieren: endlose Landschaften, Pioniergeist, das Recht auf Schusswaffengebrauch. Durch den zunehmend als desaströs empfundenen amerikanischen Militäreinsatz in Vietnam, und die Flut sinnloser Gewalt, die US-Haushalten tagtäglich in den Nachrichten vermittelt wurde, geriet dann nicht nur das amerikanische Selbstverständnis gehörig ins Wanken, sondern auch der Cowboy als traditionelle Heldenfigur: Die Western, v.a. die Italowestern, die sich als Travestie der US-Western verstanden, aber auch die Filme Sam Peckinpahs (z.B. The Wild Bunch, 1969), wurden fortan das Spiegelbild dieser Gewalt – und deswegen zunehmend kritischer und pessimistischer.

Auch in The Hateful Eight nutzt Tarantino den (Neo-)Western als Spiegel der Gegenwart, um die Situation der Afroamerikaner (und in einem weiteren Sinne, die der Frauen) in den USA, die Gewalt und die Toten bei Polizeikontrollen zu kommentieren: „Cuz when niggers are scared, that’s when white folks are safe“, so der Rassist Mannix. Minnies Herberge wird dadurch nicht nur zum Miniaturmodell der USA nach dem Sezessionskrieg, das die damaligen gesellschaftlichen Brüche aufzeigt (Norden vs. Süden, Schwarz vs. Weiß, Vertreter des Rechts vs. „Outlaws“), sondern auch zur Projektionsfläche für die Ereignisse der Gegenwart.

Letztlich geht Tarantino bei seinem zweiten Porträt des „Wilden Westens“ aber noch weiter und hört nicht bei „rassischen“ Gegensätzen auf. Der Westen wird hier, im Mikrokosmos der Hütte, als total verrohte Gesellschaft skizziert, in der es keine Moral, keine Gesetze und keine Ordnung mehr gibt (und sowieso kein Platz für positive bzw. neutrale Charaktere wie Minnie und ihre Familie bzw. den Kutscher existiert), sondern das Denken und Handeln der Figuren nur noch bestimmt ist von Misstrauen, Lügen, Feilschen und Kämpfen. Der Mensch wird zum Tier und ist nur noch die Kopfgeldprämie wert, die auf ihn oder sie ausgesetzt wurde. Der „Wilde Wes-ten“ wird somit zum Urzustand des Menschen, in dem jeder gegen jeden kämpft. Versinnbildlicht wird dieser Umstand in der Schlussszene des sehr brutalen letzten Kapitels (einschließlich Überraschungsgästen, vielen Schießereien und Toten), als Major Warren und Chris Mannix – nachdem sie eine doch erstaunliche Allianz eingegangen sind – gemeinsam Daisy Domergue, die optisch inzwischen Carrie (Brian de Palma, 1976) gleicht, hängen: Der Sheriff fungiert nicht mehr als gesetzlich-moralische Autorität, sondern wird zum Henker. Der Film endet schließlich in einem quasi-religiösen Tonfall, als der schwarze Major und der Rassist Mannix, verwundet im gleichen Bett liegend, aus Lincolns (gefälschtem) Brief lesen: „Ole Mary Todd’s calling, so I guess it must be time for bed.“

Gerade weil Tarantino dieses pessimistische Weltbild konsequent und ironiefrei durchzieht, fiel das Resultat grobschlächtiger, zynischer und schwerer verdaulich aus als bei seinen früheren Filmen – nicht zuletzt weil ein legitimierender historischer Kontext (wie der Holocaust in Inglourious Basterds oder die Sklaverei in Django Unchained), der den ständigen Sadismus, die Provokationen und Grausamkeiten der Figuren einordnen könnte, weitestgehend abwesend ist. u

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