Als ich vor ein paar Monaten mit einer Freundin über ihren Umzug sprach, meinte ich: „Ja, das Gefühl kenne ich gut. Ich bin im Laufe der letzten drei Jahre… sechs Mal umgezogen.“ „Sechs Mal?“, dachte ich, „Stimmt das wirklich?“ Von Aachen nach Düsseldorf, von Düsseldorf nach Luxemburg, von Luxemburg nach New York, von New York nach Paris, von Paris nach Singapur und von Singapur wieder nach Luxemburg. Dabei bin ich in meiner Generation keine Ausnahme, denn Small Talk unter Studenten fängt öfters mit der folgenden Frage an: „Und was hast du bisher so gemacht?“ Die Antwort besteht dann aus einer Auflistung verschiedener Erfahrungen, an verschiedenen Orten, in verschiedenen Ländern,… fast als handle es sich um einen Wettbewerb um die längere Liste. Aber was bewegt diese Generation zu dieser „Hyper-Mobilität“? Und was heißt das für den Einzelnen?

Fast wie eine Sucht…

Umziehen bedeutet großen Aufwand und bringt vor allem persönliche Opfer mit sich: Man lässt Freunde hinter sich und muss sich sobald auf die Suche nach neuen machen, eventuell ist es notwendig, eine neue Sprache zu lernen, man muss mühsame administrative Prozeduren durchlaufen und sich generell auf eine neue, fremde Umgebung einstellen. Weshalb also der ganze Aufwand? Selten habe ich von Freunden die Begründung gehört, dass sie sich an dem vorherigen Ort nicht wohlgefühlt haben. Im Gegenteil: Es fällt schwer, wieder alles hinter sich zu lassen, aber es wird halt Zeit für was Neues. Aber warum? Besteht der Grund darin, dass diese Flexibilität und Mobilität den zukünftigen Arbeitnehmer attraktiver macht? Werden diese Eigenschaften erwartet? Oder ist es eher der Reiz des „Neuen“?

Eine kurze Umfrage innerhalb meines Bekanntenkreises zeigt, dass die Beweggründe unterschiedlich sein können. Einige möchten „einen neuen Ort sehen und erleben“, „eine neue Sprache lernen“, „unabhängiger werden“, „unter Studenten und Berufseinsteigern herausstechen“, andere hingegen möchten „wieder ganz von vorn anfangen können“, „den Horizont erweitern“ oder „einfach etwas Neues erleben“. Dies zeigt also, dass Schlagwörter für das Motivationsschreiben wie Flexibilität, Anpassungsfähigkeit oder Selbstständigkeit selten der Hauptgrund für den häufigen Ortswechsel sind. Vielmehr scheint es um die persönliche Entwicklung zu gehen. Der Reiz, etwas Neues zu erleben, ist dabei ebenfalls ausschlaggebend: Sobald sich die Person an einem Ort eingelebt und es sich bequem gemacht hat, kommt das Bedürfnis nach einer neuen Herausforderung, das Bedürfnis die „Comfort Zone“ zu verlassen. Es handelt sich hierbei aber nicht um externen Druck, sondern um einen inneren Drang. Die durch eine schnelllebige Welt geprägte Generation sehnt sich rasch nach einem Wechsel. Natürlich zählt das nicht für jeden unter uns, aber wahrscheinlich für beträchtlich mehr Leute als in früheren Generationen. Außerdem scheint der Wechsel nicht unbedingt nur an den Ort gebunden zu sein. Angst vor dem „Sich-Binden“ prägt die Generation Y und Veränderungen finden auf verschiedenen Ebenen statt: neuer Job, neues Hobby, neue Beziehung, neue Wohnung. Hauptsache neu und aufregend!

Schön und gut, aber…

Es gibt wichtige Voraussetzungen sowohl finanzieller als auch sozialer Natur, die diese Mobilität überhaupt erst ermöglichen. Zum einen ist es nicht für jeden einfach oder möglich, ins Ausland zu ziehen, denn Umzüge sind auch immer mit hohen Kosten verbunden. Flüge zu weit entfernten Destinationen sind zum Beispiel entsprechend teuer. Vielleicht möchte man hier und da mal nach Hause fahren, um Familie, gute Freunde oder den Partner zu besuchen, was natürlich zusätzliche Kosten bedeutet. Manchmal lässt sich keine möblierte Wohnung finden oder es ist nicht möglich, eigene Möbel und Ausstattung mitzunehmen. Meistens kommen dann noch administrative Gebühren hinzu, wie zum Beispiel für Aufenthaltsgenehmigungen oder Arbeitsvisa. Umziehen ist also eine teure Angelegenheit und bedarf der nötigen finanziellen Mittel. Besonders Studenten sind somit oft auf die finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen.

Der Anfang an einem neuen Ort ist immer mit Einsamkeit verbunden und oft nicht so, wie man es sich gewünscht oder vorgestellt hat. Es dauert eine ganze Weile, bis man sich an das neue Umfeld, die neue Kultur oder die neue Sprache gewöhnt hat. Vielleicht gefällt die Wohnung nicht oder die administrativen Prozeduren bereiten Schwierigkeiten. Wenn man an dem neuen Ort noch kein soziales Netzwerk hat, niemanden kennt, dann sind Familie und Freunde, die Unterstützung bieten, wichtiger denn je. Freunde, die sich Mühe geben, trotz Distanz den Kontakt aufrechtzuerhalten, sind Gold wert, denn es braucht gewisse Konstanten, auf die man sich verlassen kann. Gut dass es da Skype, Facetime & Co gibt! In einer Beziehung braucht der Partner oder die Partnerin Verständnis für das Bedürfnis nach neuen Herausforderungen, denn nicht immer kann er oder sie mitziehen. Sicherlich vereinfachen neue Kommunikationstechnologien Fernbeziehungen und trotzdem braucht es großes Vertrauen, Verständnis und Geduld.

Persönliche Veränderungen

Ich kann mit Sicherheit sagen, dass meine Auslandsaufenthalte einen Einfluss auf meine persönliche Entwicklung hatten. Aber wie genau, ist schwer zu definieren. Zum einen wurde ich sehr schnell selbstständig, denn in einer fremden Umgebung und ohne Vertrauensperson lernt man, selbst mit Problemen klarzukommen und sie eigenständig zu lösen. Schon alleine die Vorbereitung erfordert großes organisatorisches Talent!

Zudem ändert sich die Denkart, man wird offener gegenüber anderen Sicht- und Verhaltensweisen. Ob man ins Nachbarland oder um die halbe Welt zieht, man muss sich immer auf eine neue Kultur einstellen, die mehr oder weniger exotisch sein kann. Erziehung, Arbeitsgewohnheiten und Ansichten sind anders und können auf den ersten Blick befremdend sein. Jemand, der nur seine eigene Kultur und Lebensweise kennt, denkt oft automatisch, dass sie die einzig Richtige ist. Je mehr man sich jedoch mit anderen Mus-tern auseinandersetzen muss, desto mehr Toleranz und Verständnis entwickeln sich. Man erfährt das Gefühl des Fremd- und Alleinseins, das Gefühl sich „klein“ und „verletzbar“ zu fühlen. Dadurch entwickelt sich ein größeres Mitgefühl gegenüber jenen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Während neues Wissen über die Geschichte und Kultur des Ortes erlangt wird, wird man sich aber auch bewusst, wie viel man eigentlich noch nicht kennt und weiß. Dies erweckt Lust auf mehr und auf neue Orte zum Erkunden.

Globales „Mindset“

Durch diese Erfahrungen und persönliche Entwicklungen entsteht ein bestimmtes „Mindset“, das man mit jenen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, teilt. Die Welt erscheint nicht mehr in schwarz und weiß, vielmehr überwiegen die Nuancen, die sich aus Elementen verschiedenster Kulturen und Perspektiven ergeben haben. Zudem entsteht eine gewisse Verbundenheit zu Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen: Unabhängig von Kultur, Sprache, Hautfarbe, Alter oder Geschlecht schwimmen mobile Menschen auf einer ähnlichen Wellenlänge. Man könnte sagen, dass sie eine bestimmte Identität teilen. „Weltbürger“ kommt nämlich als zusätzliches Element der persönlichen Identität hinzu, die zum Teil auch aus Nationalität, Geschlecht, Generation, Studium, Hobby, etc. bestehen kann.

Ebenso kann man aber auch Gefahr laufen, jene auszuschließen, die nicht in diese Gruppe hineinpassen. Auf der einen Seite werden mobile junge Leute offener gegenüber anderen Kulturen, auf der anderen Seite riskieren sie Vorurteile gegenüber jenen zu entwickeln, die nicht in die Kategorie „Weltbürger“ gehören. Manchmal habe ich mich auch schon dabei ertappt, dass ich gedacht habe „wie uninteressant“, wenn mein Gesprächspartner erwähnt, sein ganzes Leben an einem Ort verbracht zu haben und nicht besonders „herumgekommen“ ist. Dabei bedeutet dies absolut nicht, dass die Person keine sehr interessante Persönlichkeit haben kann. Mir scheint es, dass in unserer Generation, in der viele „hypermobil“ sind, oft diejenigen schlechtgeredet werden, die sich dazu entscheiden, an einem Ort zu bleiben. Dabei möchte und kann nicht jeder permanent den Ort wechseln. Und diese Entscheidung sollte auch respektiert werden.

Während ich die Entscheidung, „zu Hause zu bleiben“ vollkommen respektiere, bin ich trotzdem eine große Befürworterin von Auslandserfahrungen. Wenn man den Kokon des „zu Hause“ verlässt und Erfahrungen im Ausland sammelt, sei es fürs Studium, den Beruf oder über Freiwilligenarbeit, führt dies sicherlich zu mehr Verständnis gegenüber dem „Anderen“. Ein globales „Mindset“ könnte in dem Sinne unser Zusammenleben und Zusammenarbeiten vereinfachen und bereichern.

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