Journalistische Objektivität – eine Illusion?

Interview mit Markus Beckedahl, Gründer des Online-Mediums netzpolitik.org über Transparenz, Spendenfinanzierung und Uboote

Wie ist netzpolitik.org organisiert; kann man von einer Art Hierarchie sprechen?

Markus Beckedahl: Bei uns gibt es keine wirklich strengen Hierarchien, aber wir sind gerade dabei, Strukturen zu entwickeln, die an die heutige Größe des Teams angepasst sind. Wir sind jedoch kein Medium, bei dem jeder mitschreiben darf. Wir waren also insofern immer schon hierarchisch, als dass ein Mitmachen an Vertrauen gebunden war. Menschen haben von uns dementsprechend nur einen Schreibzugang bekommen, wenn wir sie persönlich – und sei es auch nur über das Netz – kannten. Uns war und ist es wichtig, dass wir genug Vertrauen darin haben, dass sie eigenständig arbeiten können und ihre eigenen Gedanken einbringen, aber nicht anfangen, irgendeinen Blödsinn zu schreiben. Wir glauben, dass das Projekt niemals so groß geworden wäre, wenn wir jeden hätten mitmachen lassen. Das zeigt allein die Qualität unserer Kommentare: Wir würden uns mehr Qualitätskommentare wünschen, aber die Leute, die jeden Artikel kommentieren und als Erste Interesse an einer Mitarbeit bekunden, die entsprechen häufig nicht unbedingt unseren Qualitätsansprüchen.

Wie gestaltet sich Ihre Themenauswahl? Wo liegen die Grenzen?

M.B.: Es war von Anfang an bei uns eine Richtungsentscheidung: Wir haben zwar alle auch als Einzelpersonen politische Meinungen, aber wir konzentrieren uns hauptsächlich auf Netzpolitik. Natürlich handelt es sich hierbei um ein Querschnittsthema, das ebenso Politik und Internet, aber teilweise auch Gesellschaft und Kultur umfassen kann. Wir schreiben jedoch beispielsweise nicht über Sozialpolitik, wenn es nicht auch einen Digitalisierungsbezug gibt. Sofern dieser Rahmen eingehalten wird, steht es allen, die einen Schreibzugang haben, frei, zu schreiben worüber sie wollen. Natürlich gibt es aber auch tagesaktuelle Themen, die abgedeckt werden müssen. Mit denen beschäftigt sich dann die feste Redaktion. Die „festen Freien“ schreiben, wenn etwas aus ihrem Spezialgebiet auftaucht und es ihnen zeitlich gerade passt.

Unpolitisch ist netzpolitik.org allemal nicht, aber wie nennt man das Kind denn nun zutreffend beim Namen?

M.B.: Wir haben zwei oder drei Personen in unserer Redaktion, die bei unterschiedlichen Parteien Karteileichen sind. Uns wird immer angehängt, dass wir ein grünes U-Boot seien, weil ich mal vor 15 Jahren im Bundesvorstand der Grünen Jugend war – bevor ich Netzpolitik ins Leben gerufen habe. Es ist ein bisschen absurd, uns das immer wieder anzudichten, obwohl wir politisch gesehen sehr diversifiziert sind. Zudem ist es nicht unsere Schuld, dass es so gut wie keine konservativ denkenden, progressiven Netzleute gibt. Wir würden diese ja auch mit einbinden, wenn wir Vertrauen zu ihnen hätten.

Erschafft man durch Projekte wie netzpolitik.org nicht auch seine eigene politische Richtung?

M.B.: Wir decken verschiedene politische Richtungen ab, die aber eher von Links bis in die Mitte rein reichen. Das liegt jedoch generell an unseren Thematiken. Für eine progressive Netzpolitik ist nun mal das Mitte-links-Lager. Selbst diejenigen, die CDU und CSU in Deutschland wählen und Netzpolitik machen, gehören eher zum liberalen Flügel, also quasi zur Mitte. Eine verschriftlichte konservative, rechte Netzpolitik würde man schon eher im FAZ-Politik-Bereich ansiedeln und dort würde dann das Gegenteil von dem gefordert, was wir erreichen wollen.

Wie sieht Ihre redaktionelle Linie aus?

M.B.: Wir orientieren uns am deutschen Pressekodex, gehen aber leicht anders an Themen heran, als dort vorgeschrieben. Während im deutschen Journalismus quasi ein Mantra rezitiert wird, was darauf abzielt, objektiv zu berichten, halten wir dies für eine Illusion und erheben gar nicht den Anspruch, dem gerecht zu werden. Unsere Haltung impliziert eher, dass wir subjektiv aus der Perspektive von digitalen Bürgerrechten berichten.

Wir halten es ebenfalls nicht für unausweichlich, in jedem Artikel alle Seiten einzubinden. Wir veröffentlichen viele Artikel, die eher als Meinungsartikel bezeichnet werden können. Diese trennen wir bewusst nicht von der Berichterstattung und machen das auch klar. Aus unserer Sicht ist das um einiges transparenter, als dies bei manchen andere Medien der Fall ist. In vielen Redaktionen sitzen trotzdem oft Menschen mit einen ganz speziellen Hintergrund und Netzwerken. Diese berichten auch aus ihrer Perspektive und ihre Arbeit kann ebenso wenig als objektiv bezeichnet werden.

Wie stehen Sie zu direkter staatlicher Pressehilfe?

M.B.: Wir würden keine Unterstützung von staatlicher Seite annehmen. In Deutschland ist die Staatsferne für die Unabhängigkeit von Medien sehr bedeutend. Diesbezüglich gab es gerade in Nordrhein-Westfalen einen riesigen Aufschrei. Dort werden nämlich mit Geldern der Rundfunkabgabe über die Medienanstalten Vorbildungen für Journalisten durch eigene Stiftungen gefördert. Liberal-konservative Kritiker befürchteten, dass das SPD geführte Bundesland ihnen nahestehende Journalisten mit diesem Geld weiterbildet.

Wie finanziert sich netzpolitik.org?

M.B.: Wir sind komplett unabhängig und finanzieren uns zu 4/5 durch Spenden und zu 1/5 über Werbung und Stellenanzeigen, die man bei uns buchen kann. Diese Zahlen werden ganz offen dargelegt, weil wir der Meinung sind, dass ein spendenfinanziertes Medium auch transparent sein sollte in Bezug auf die Herkunft und auf die Wege des Geldes.

Wo liegt die Grenze bei der Auswahl der Werbepartner?

M.B.: Wir würden uns in diesem Kontext eher als wählerisch bezeichnen. Allerdings haben von den Unternehmen, deren Werbung wir nicht akzeptieren würden, auch noch nie welche bei uns angeklopft (lacht). Von Großkonzernen oder großen IT-Lobby-Verbänden würden beispielsweise nicht mutwillig und nicht ohne große Diskussion Geld annehmen. Und wenn es doch soweit käme, würden wir es transparent machen und erklären, warum dem so ist. Zusätzlich müsste darauf geachtet werden, dass es nur einen kleinen Prozentsatz im Gesamtbudget ausmacht. Wir haben im Moment Glück, dass wir fast ausschließlich durch unsere Leser finanziert werden. Wir sind beim Schreiben also nur unserer Haltung und unseren Leserinnen und Lesern gegenüber verpflichtet.

Entsteht dadurch nicht trotzdem auch eine Abhängigkeit und eine Bringschuld?

M.B.: Natürlich gibt es Themen für die wir mehr gelesen werden als andere, aber wir glauben auch, dass das Vertrauen unserer Leser es uns erlaubt über Themen zu schreiben, die gerade nicht trendy sind. Klassische Journalisten haben ja immer das Problem der Werbegetriebenheit, sie können über politische Themen eigentlich nur berichten, wenn irgendwas passiert ist, wenn also beispielsweise eine Abstimmung bereits stattgefunden hat. Wir berichten gerne über den ganzen Prozess, auch vorher schon. Das können wir uns nur leisten, weil wir anders finanziert werden und dadurch, dass wir unseren Lesern das auch so kommunizieren. Also dass sie uns quasi mit einer freiwilligen Spende oder einem Dauerauftrag bei unserer Arbeit und unserer Herangehensweise unterstützen.

Sie machen auch politische Kampagnen. In diesem Rahmen kam es durchaus schon zu einer Wortwahl, die man als Angstkommunikation bezeichnen könnte. Ist diese dringend notwendig?

M.B.: Das ist tatsächlich auch eine Frage, die wir uns immer wieder stellen. Wir stellen fest, dass niemand sich für positive Meldungen interessiert. Das ist eine frustrierende Erkenntnis aus 15 Jahren Arbeit. Wenn man über etwas Positives schreibt und sagt: „Hey, wir wollen das jetzt machen und geht mal hin und setzt euch dafür ein“, dann denken alle: „Jaja, irgendwer wird das schon erledigen.“ Wenn eine wirklich wichtige Entscheidung ansteht, dann ist immer Fingerspitzengefühl gefragt, um das Anliegen so zu formulieren, dass den Leuten schon bewusst wird, dass es wichtig ist, zu handeln, ohne aber das Ganze zu überreizen. Bestimmte Parteien machen genau dies jedoch ständig, indem sie den Untergang des Abendlandes verkünden und am nächsten Tag ist trotzdem noch immer alles gleich. Das demotiviert natürlich auch.

Sind Sie mit dem Ihnen zugestandenen Informationszugang zufrieden?

M.B.: Wir haben uns über viele Jahre einen Ruf erkämpft und wurden so schon früh von verschiedenen Institutionen als journalistische Player wahrgenommen und auch respektiert. Bis 2014 bekamen wir fast überall, wo wir hinwollten, Akkreditierungen. Bis dahin brauchten wir noch keine Presseausweise, aber es gab schon mehrfach Fälle, bei denen trotzdem klar war, dass wir als Journalisten unter dem Schutz der Pressefreiheit stehen, ohne unbedingt formale Zugänge zu haben. Im deutschen Bundestag und bei der deutschen Bundespressekonferenz haben wir uns dann 2014 erfolgreich akkreditiert. Das mussten wir aber durchfechten. Anfangs war erst mal unklar, ob wir jetzt eher als Journalisten oder als Blogger gelten oder ob es da überhaupt einen Unterschied geben soll. Spätestens seit diesem Zeitpunkt werden wir von allen ernst genommen. Ernst genommen bedeutet, dass alle wissen, welche Rechte wir haben. Und wenn Informationen rausgegeben werden müssen, dann wird das auch gemacht, weil ein Bewusstsein dafür vorherrscht, welche Power wir notfalls haben, wenn uns irgendwas verwehrt wird.

Was verspricht die Zukunft?

M.B.: Das haben wir letztendlich nicht geklärt. Ich gehe davon aus, dass es uns auch in zehn, 15 Jahren noch geben wird. Wie netzpolitik.org dann genau aussieht, werden die nächsten Jahre entscheiden. Das Thema ist erst am Anfang und wir haben uns da eine wichtige Stellung als Netzwerkknoten erarbeitet. Allein die zunehmende Bedeutung des Themas für unsere Gesellschaft gibt zumindest den Spielraum, dass wir, wenn wir uns kontinuierlich weiterentwickeln, vielleicht auch noch viel größer sein können.

Danke für das Gespräch!

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