Mogelpackung „freiwillige“ Rückkehr

Angesichts der sogenannten gegenwärtigen Flüchtlings- und Migrationskrise gewinnt die Frage der Rückführungen weiter an Bedeutung. Im öffentlichen Diskurs wird dabei die unterstützte „freiwillige“ Rückkehr als eine Art Wunderlösung präsentiert: Sie soll es abgelehnten AsylbewerberInnen ermöglichen, in Würde zurückkehren, sich in ihrer Heimat zu reintegrieren und zur sozioökonomischen Entwicklung ihres Ursprungslandes beizutragen. Empirisch belegt sind diese Behauptungen nicht: Im Kosovo zum Beispiel ist die Erfolgsbilanz eher gemischt. Der folgende Artikel beruht auf einer Reihe von Forschungsaufenthalten, die im Rahmen einer Dissertationsarbeit zwischen 2009 und 2011 stattfanden. Ziel der Studie war es, die Annahmen über unterstütze Rückkehr mit den Erfahrungen von Betroffenen vor Ort zu vergleichen.

Unfreiwillig freiwillig

Die unterstützte „freiwillige“ Rückkehr hilft abgelehnten AsylbewerberInnen und solchen, die noch im laufenden Verfahren sind, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Stimmen sie einer Rückkehr zu, berechtigt sie das zum Erhalt eines Hilfspakets. Dieses enthält in der Regel die Organisation ihrer Heimreise, kurzfristige Unterbringung und sogenannte Reintegrationsmaßnahmen. Da sich die Rückkehrhilfe hauptsächlich an Menschen richtet, die entweder einen unsicheren oder gar keinen Aufenthaltsstatus im Gastland haben, ist die Bezeichnung „freiwillig“ irreführend: In der Praxis erfolgt die Zustimmung zur Rückreise nur, weil sie die einzige Alternative zur unvermeidlichen Abschiebung ist.

Die unterstützte Rückkehr wird in Form von Projekten umgesetzt, die von der Europäischen Kommission mitfinanziert werden. Viele europäische Staaten, einschließlich Luxemburg, beauftragen die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit der Ausführung dieser Projekte. Aber auch vereinzelte nationale Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaften, Flüchtlingsrat-Organisationen wie zum Beispiel der „Danish Refugee Council“, und kleinere NGOs sind auf diesem Gebiet tätig. Auf Websites und in Informationsbroschüren werben sie mit Erfolgsgeschichten von Menschen, die es geschafft haben, im Rahmen einer unterstützten Rückkehr wieder Fuß zu fassen und sich eine nachhaltige Existenzgrundlage zu sichern.

Im Einzelnen gibt es diese Fälle durchaus: Lulzim1 hat nach seiner Heimkehr in den Kosovo eine eigene Baufirma gegründet und beschäftigt mittlerweile acht Angestellte. Seiner Meinung nach war die Rückkehrhilfe – ein gebrauchter Lieferwagen und Werkzeug – nützlich beim Aufbau seines Betriebs. Ob sie ausschlaggebend für seinen Erfolg war, bleibt offen. Jung, motiviert und begeistert von seiner Selbstständigkeit ist Lulzim die perfekte Verkörperung des „Rückkehrer als Unternehmer“-Modells, mit dem für Rückkehrprogramme geworben wird. Besonders im Kosovo, wo es aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit extrem schwierig ist, HeimkehrerInnen in den lokalen Arbeitsmarkt zu integrieren, sind Reintegrationsmaßnahmen darauf ausgerichtet, Unternehmertum zu fördern. Aber nicht alle Personen, die zurückgehen müssen, können der überdimensionalen Erwartung gerecht werden, durch Unternehmergeist und Anpassungsfähigkeit die erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen im Kosovo zu meistern. Vor allem Menschen, die einer Minderheit angehören, aber auch alleinstehende Frauen, haben kaum eine Chance, sich eine solide Existenzgrundlage zu sichern.

Auf Elena treffen beide Eigenschaften zu: Sie ist eine alleinstehende Frau, die einer slawischen Minderheit im Kosovo angehört. Vor ein paar Jahren war sie nach Luxemburg migriert in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden und Geld an ihre Eltern und die behinderte Schwester zu schicken. Angesichts der geringen Aussicht auf Asyl, stimmte sie einer frühzeitigen Rückkehr zu. Jetzt lebt sie bei ihren Eltern, weit abgelegen auf dem Land. Sie ist die Einzige in der Familie, die gesundheitlich in der Lage wäre, zu arbeiten. Da Männer für die wenigen verfügbaren Arbeitsplätze bevorzugt werden, sie kein Albanisch spricht und keinen Zugriff auf Transportmittel hat, sind ihre Perspektiven auf Beschäftigung denkbar gering. Elena wurden daher auch keine Maßnahmen zur Einkommensbeschaffung angeboten; ihr „Reintegrationspaket“ bestand aus 300 Euro Bargeld, einem Sofa, und einem Herd. Derzeit lebt sie mit Eltern und Schwester von 110 Euro (kosovarischer) Sozialhilfe im Monat. Dazu kommt gelegentlich Geld, das ein Verwandter aus dem Ausland schickt.

Lulzims und Elenas Geschichten stehen stellvertretend für die Schicksale der vielen Menschen, die unterschiedliche Erfahrungen mit der „freiwilligen“ Rückkehr in den Kosovo gemacht haben: Repräsentative Ergebnisse zur Wirksamkeit der unterstützten Rückkehr gibt es nicht. Allerdings war Lulzim der einzige erfolgreiche Rückkehrer in der Fallstudie. Die restlichen vierzehn Personen, die an der Studie teilnahmen, schafften es nicht, ein Auskommen im Kosovo zu finden.

Die multiplen Zwecke der unterstützten Rückkehr

MitarbeiterInnen der Organisationen, die Rückkehrprojekte ausführen, sind sich natürlich im Klaren darüber, dass die angebotene Unterstützung keine Existenzgrundlage schaffen kann. Allerdings sind diese Programme in einen starken normativen Diskurs eingebettet. Dieser betont die Souveränität des Staates und will die Rückführung derjenigen, die keinen legalen Status haben. Nur so werde eine gerechte Asylpolitik gewährleistet. Derartige Argumente lassen wenig Raum für die persönlichen Ansichten oder moralischen Bedenken der Personen, die direkt an der Ausführung von Rückkehrprojekten arbeiten. Außerdem bieten Letztere wichtige finanzielle Anreize für Organisationen, die damit ihre Kosten decken, einschließlich der Gehälter ihrer MitarbeiterInnen. Das Phänomen betrifft sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure. Eine Beschreibung der IOM Finanzierungsstrukturen verdeutlicht die Situation am besten: Lediglich drei Prozent des IOM Budgets werden durch die Beiträge der 67 Mitgliedsstaaten finanziert, die restlichen 97 Prozent werden durch Projektfinanzierungen gedeckt. 2 Trotz wachsender Anforderungen an die Organisation verfolgen die IOM-Mitgliedstaaten seit den 1990er Jahren eine Nullwachstumspolitik, die eine Abhängigkeit von projektbezogenen Geldern nur noch erhöht. Gleichzeitig stellt die Europäische Kommission erhebliche Summen für migrationsbezogene Projekte zur Verfügung: Für den Zeitraum 2014 bis 2020 wurden im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds 3,1 Milliarden Euro bereitgestellt.3 Aus dem Fonds können unter anderem Kofinanzierungen für unterstützte, „freiwillige“ Rückkehr geschöpft werden.

Europäische Staaten wiederum halten trotz unbestätigter Wirksamkeit an Rückkehrprogrammen fest, weil sie eine Reihe von Vorteilen haben. Sie ermöglichen eine Umgehung der Aufnahmeverweigerung der Herkunftsländer, bieten eine Alternative zur logistisch aufwendigen und menschenrechtlich fragwürdigen Abschiebung und bekunden ein gewisses Wohlwollen, indem die unterstützte Rückkehr als Beitrag zur Entwicklung der Herkunftsländer dargestellt wird.

Entwicklung oder erzwungene Kooperation?

Trotz der angeblich übergeordneten Entwicklungsziele werden Rückkehrprojekte im Kosovo nicht in eine umfassendere Entwicklungspolitik oder einen makroökonomischen Kontext gesetzt. Der Fokus liegt ausschließlich auf der mikroökonomischen Ebene und der Erwartung, dass Menschen im Alleingang die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ihres Landes positiv beeinflussen.

Dabei ist zu bedenken, dass der Kosovo zu den ärms-ten Regionen Europas gehört. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der nationalen Armutsgrenze (1,72 EUR pro Person und Tag), etwa 10 Prozent unter der extremen Armutsgrenze (1,20 EUR pro Person und Tag). 4 Die wirtschaftliche Situation ist instabil, die Arbeitslosenquote hoch, das Bildungssystem unzureichend und das Gesundheitswesen mangelhaft. Auswanderung bleibt eine wichtige Strategie zur Existenzsicherung. In Ermangelung legaler Alternativen bleibt Kosovaren oft nur die Emigration über einen Asylantrag, auch wenn die Anerkennungsquoten sehr niedrig sind. Die Aufhebung der Visumspflicht – wenn auch nur für Kurzaufenthalte in den Schengenstaaten – wird seit Jahren von der Europäischen Union in Aussicht gestellt. Die Bereitschaft zur Rückübernahme ist eine wichtige Bedingung, die der Kosovo weiterhin erfüllt: Trotz begrenzter Kapazitäten des Arbeitsmarktes und der Tatsache, dass die Wirtschaft auf Geldsendungen der kosovarischen Diaspora angewiesen ist, bleiben die Rückführungsraten hoch und Kosovaren eine wichtige Zielgruppe für Rückkehrprogramme.

In Anbetracht der Migrationsbewegungen aus dem Nahen Osten und Afrika ist zu erwarten, dass europäische Staaten den geografischen Schwerpunkt der unterstützten Rückkehr in Richtung Süden umleiten werden. Seit Ende des vorigen Jahres bereitet die EU den Boden für eine erhöhte Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rückübernahme ihrer Staatsbürger. Der Aktionsplan, der beim EU-Afrika Flüchtlingsgipfel in Valletta im November 2015 verabschiedet wurde, sieht Zusammenarbeit bei der Migrationskontrolle im Tausch gegen finanzielle Anreize vor. Die sogenannten Migrationspartnerschaften, welche die EU mit afrikanischen Staaten abschließen möchte, funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip. Sie koppeln Entwicklungshilfe an Kooperation bei der Rückübernahme von abgewiesenen AsylbewerberInnen und illegalen MigrantInnen. Zuletzt hat die EU ihre Hilfsgelder, im Rahmen der Afghanistan Geberkonferenz, mit der Bedingung einer möglichst unbürokratischen Rückführung verknüpft – trotz extrem prekärer Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes. Die unterstützte „freiwillige“ Rückkehr ist immer Teil dieser Vereinbarungen und wird als optimalste Rückführungsmöglichkeit angeführt.

Aus den Erfahrungen im Kosovo lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen. In erster Linie, dass Reintegrationsmaßnahmen kein Mittel gegen grassierende Armut, soziale Herausforderungen, fehlende wirtschaftliche Strukturen und staatliche Institutionen sind. Rückkehrprojekte können auch nicht als wirksame Entwicklungshilfe geltend gemacht werden. Bereits jetzt führen einige EU-Mitgliedsstaaten Rückkehrprojekte als Teil ihrer öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit an. Letztlich wäre eine Ausweitung dieser Tendenz, in Kombination mit Plänen, Hilfsgelder bei mangelnder Zusammenarbeit in Migrationsfragen zu kürzen, kontraproduktiv und hätte fatale Auswirkungen auf die ärmsten Teile der Bevölkerung in den Herkunftsländern.

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