Ja … oder vielleicht doch Nein?

Reflexionen über die Generation Y und ihre Beziehungs(un)fähigkeit

„Was weiß ich über meine Generation? Ich weiß, dass sie gerne Artikel über ihre Generation liest. Und schreibt. Und teilt. Das ist sicher. Das liebt meine Genera- tion. Ansonsten liebt sie eher langweilige Dinge: Sex mit Menschen, die man liebt, und Jobs, die nicht Praktika heißen. Ich weiß das, weil ich schon siebenhundert Artikel zu dem ema gelesen habe.“ (Ronja von Rönne)

Im April 2016 widmete das Institut Pierre Werner dem gesellschaftlichen Phänomen Generation Y einen ganzen Abend und lud zu diesem Anlass unter anderem die deutsche Bloggerin, Kolumnistin und Schriftstellerin Ronja von Rönne ein. Diese lehnte es entgegen der Erwartungen des Publikums ab, näher über die Generation Y, d. h. die Alterskohorte derjenigen, die in den 1980er und 1990er geboren sind, zu referieren. Sie bezeichnete das ema als „mittelinteressant“ und hielt es darüber hinaus für schlichtweg „anmaßend“, tiefgreifende Erkenntnisse über ihre eigene Generation liefern zu wollen.

Mit ihrer kritischen Haltung entzieht sich die Jungautorin einer gegenwärtig populären Debatte, welche versucht, die Mentalität der Ypsiloner in allen mögli- chen Lebensbereichen zu entschlüsseln. Soziologen, Psychologen, Coachs genauso wie Journalisten, Blogger und Schrift- steller tragen zu diesem Diskurs bei. Das Ergebnis ist eine schier unübersichtlich gewordene Fülle an Artikeln, Blogeinträgen und Sachbüchern, die ein nicht immer durchgehend kohärentes Bild dieser Altersgruppe zeichnen. Ein beliebtes ema stellt dabei das Beziehungsleben dar. Im Folgenden werde ich versuchen, den gängigen Diskurs über diesen spezischen Lebensbereich der Generation Y darzulegen und ihn schließlich kritisch zu hinterfragen.

„Fear of missing out“

Im April 2015 verö entlicht Michel Nast den Blogeintrag „Generation Beziehungsunfähig“, der millionenfach aufgerufen wird und seinen darau olgenden Erfolg als Sachbuchautor erklärt. Nast schöpft sein Wissen dabei lediglich aus subjektiven Selbsterlebnissen: Er stellt einen Befund über die Generation Y auf, indem er auf seine eigenen sowie die Erfahrungen seiner Freunde und Bekannten aufbaut. Seiner Ansicht nach verspüren junge Menschen heutzutage einen enormen Drang zur Selbstoptimierung, der sich nicht nur im Berufsleben äußert, sondern auch auf privater Ebene. Man führt eine Beziehung nicht mehr, weil man sich darin wohlfühlt, sondern weil sie einem nützt. Eine Beziehung ist etwas, das man sich leistet, wenn sie gut ist.

Mit dieser geradezu kapitalistischen Herangehensweise an das ema Liebe geht ein ständiges Gefühl der Unsicherheit einher, ob der momentane Partner der bestmöglichste ist. Die Bereitschaft, sich endgültig auf jemanden festzulegen, geht dabei zunehmend verloren. Die Ypsiloner lassen sich alle Optionen offen und beenden eine Beziehung, wenn der Partner den eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt. Das beliebte Kürzel „FOMO“ („fear of missing out“) bringt diese Lebenseinstellung auf den Punkt. Oliver Jeges, Journalist und Urheber des Begriffes „Generation Maybe“, bestätigt diese Entscheidungsschwäche. Auch er bezieht sich auf eine ganze Generation und verweist auf die vielen Lebensmöglichkeiten, welche die heutige Multioptionengesellschaft bietet.

In anderen Abhandlungen wird das von Nast diagnostizierte unverbindliche Beziehungsverhalten in Zusammenhang mit einer unsicheren äußeren Lage (befristete Jobs, unsichere Altersvorsorge, usw.) gesetzt. Diese hat das Dasein der Ypsiloner, mehr als je eine andere Generation zuvor, geprägt. Die Flexibilität, die den jungen Menschen in der Berufswelt abverlangt wird, überträgt sich somit in private Beziehungen. Die Bereitschaft, bestehende Beziehungen aufzulösen, ist demnach allgemein höher.

Beziehungen in Worte fassen

Diese Bezeichnungen zeigen die Vielfalt an Etiketten für die heute 20- und 30- Jährigen, doch es geht noch mehr: Neue, oft aus den USA herüber geschwappte Begriffe steuern den medialen Diskurs über das Tema. So wird mit dem verstörenden Label „non-relationships“ eine neue Kategorie der Beziehung benannt: Zwei Menschen, die sich anziehend nden, irgendwann miteinander schlafen, einen Großteil ihrer Freizeit miteinander verbringen, lassen die entscheidende Frage offen, ob sie nun ein Paar bilden oder nicht. „Ghosting“ hingegen bezeichnet das Phänomen des Verschwindens ohne Abschiedsgruß. Der Mensch, den man gedatet hat, scheint sich auf einmal wie ein Geist in Luft aufgelöst zu haben, indem er abrupt den Kontakt abbricht.

Ein weiteres Dating-Phänomen nennt sich „Benching“, was man in etwa mit „auf der Wartebank schmoren lassen“ übersetzen könnte. Es bezeichnet die eigentlich bekannte Strategie, sich einen Partner warmzuhalten. Das Neuartige beim sogenannten „Benching“ besteht darin, dass der Wartende über Wochen und Monate in Unklarheit über den Fortgang der „Beziehung“ gelassen wird. Mithilfe von unverbindlichen Kurznachrichten, Emoticons, „Likes“ auf Facebook oder Instagram wird er mit Aufmerksamkeit versorgt. All diese mit englischen Begriffen etikettierten Phänomene lassen eine zunehmende emotionale Inkompetenz vermuten, werden jedoch meist auch auf das Überangebot an Kommunikationskanälen und die damit eingehende Überforderung zurückgeführt.

Liebe in Zeiten der Tinder-Ära

Das Medium Internet hat keine andere Generation und ihren Entscheidungswil- len so nachhaltig beein usst wie jene der heute 20- und 30-Jährigen. Es hat ungünstige Ausgangsbedingungen für die Liebe gescha en, so lautet der Tenor der unzähligen Beiträge, die sich mit dem Thema befassen. Dabei wird im Besonderen auf die wachsende Rolle der Dating-Portale als neuem Kommunikationskanal verwie- sen. Es heißt, das virtuelle Angebot würde die Haltung der unentschiedenen „Beziehungsunfähigen“ noch verstärken. Online ist die Auswahl an potentiellen Partnern nahezu riesig, der einzelne Mensch erscheint ersetzbar und austauschbar. Liebe bekommt den Charakter eines Konsumgutes. Symbol für diese zunehmende Digitalisierung der Liebe und die damit einhergehende Gefahr der emotionalen Verrohung ist die mobile Dating-App Tinder. Dort lassen sich potenzielle Dating-Kandidaten mit einem Wisch in „like“ oder „dislike“ unterteilen, womit die Bereitschaft, sich auf eine bestimmte Person festzulegen, weiter sinkt. Die Sorge, ein besseres „Match“ zu versäumen, ist stets präsent. Man verfährt dabei ähnlich wie bei der Auswahl eines Buches auf Amazon oder eines Kleides auf Zalando, wo man bei eventueller Unzufriedenheit mit dem erworbenen Artikel immer noch auf die Rücksendegarantie zurückgreifen kann.

Bitte keine Pauschalisierung

Die soeben geschilderten Tendenzen und Befunde zeichnen insgesamt ein eher trostloses Bild des Liebeslebens der Ypsilo- ner. Zeitgeist-Diagnosen wie jene über die Beziehungsunfähigkeit von Nast haben den Mediendiskurs weiter in diese Rich- tung gelenkt. Aber ist das Bild wirklich so düster? Marktwirtschaftliche Dynamiken scheinen sich in der Sicht der Generation Y auf das ema Liebe widerzuspiegeln, aber gab es in diesem Bereich nicht immer schon eine wirtschaftliche Dimension, nur mit anderen Worten geschmückt (man denke nur an den sogenannten „Heiratsmarkt“)? Zudem kann die Haltung der Ypsiloner zugleich als Verwirklichung der Ideale der sexuellen Befreiung gelten, als Konsequenz eines freiheitlichen Gesellschaftmodells, in dem soziale Normen nicht mehr von einer vermeintlichen moralischen Instanz auferlegt werden. Daraus ergibt sich wachsende Instabilität, jedoch vielleicht auch erfüllendere Beziehungen.

Fraglich ist auch, ob solche Diagnosen in Bezug auf ganze Generationen überhaupt haltbar sind. Psychologen, Paartherapeuten und Scheidungsanwälte haben Nasts Aussagen demontiert und als Randphänomen verworfen. Demnach könne die Unfähigkeit, einen festen Partner nachhaltig zu lieben, nicht für eine ganze Generation gelten und der Anteil an Menschen mit unsicherem Bindungsstil sei in allen Altersgruppen gleichsam hoch. Führt der Versuch, eine bestimmte Altersgruppe zu charakterisieren auch nicht per se zu Pauschalisierungen? Existieren nicht alle Lebensformen, -stile und -anschauungen parallel in jeder Generation? Das Bedürfnis, der bestehenden Heterogenität mit Kategorisierungen und Etikettierungen entgegenzuwirken, besteht indes seit jeher.

Bezeichnungen wie „Nachkriegsgeneration“, „68er“, „Generation X“ (ein Begri , der bereits Ende der 1950er vom Magnum-Photographen Robert Capa geprägt wurde) bezeugen dies. Ein wesentlicher Grund für die momentan in ationäre Verwendung des Begri es Generation Y liegt ohne Zweifel in der Nachfrage seitens der Angehörigen dieser Generation. Im Strom des gesellschaftlichen Wandels bieten Abhandlungen wie Nasts Blogbeitrag einen Anhaltspunkt für das Selbstverständnis der jungen Menschen. Sie helfen dabei, das eigene Verhalten zu verorten und zu erklären. Sie können natürlich auch verwendet werden, um sich der Verantwortung zu entziehen und das individuelle Fehlverhalten hinter einer allgemeinen Tendenz zu verstecken.

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