Diplomiert und arbeitslos

Zur Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen in Luxemburg

Luxemburg war in Europa bisher bekannt und beneidet für seine vergleichsweise sehr niedrige Arbeitslosigkeit. Aber auch im Großherzogtum beobachtet man seit Jahren einen ansteigenden Trend in puncto Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote von 2015 liegt mit 6,4 Prozent zwar noch immer weit unter dem europäischen Durchschnitt von 9,4 Prozent – Luxemburg steht aber damit nicht mehr auf dem Treppchen. Hatten 2006 nur Dänemark und Irland eine niedrigere Arbeitslosigkeit, kam Luxemburg 2015 nur noch auf Platz 8.1

Eine parlamentarische Anfrage sorgt für Unruhe 

Die rezente parlamentarische Anfrage zur Arbeitslosigkeit unter Studierten (n° 2491) – aus der Feder des Abgeordneten André Bauler und gerichtet an Arbeitsminister Nicolas Schmit – scheint in den letzten Wochen neue Bedenken ausgelöst zu haben. Als Aufhänger nimmt das Parlamentsmitglied den großen Anteil von arbeitssuchenden Hochschul-absolventen bei der Initiative Forum pour l’emploi. Der Arbeitsminister veröffentlichte daraufhin Ende November die relevanten Arbeitslosenzahlen der Arbeitsverwaltung ADEM, welche zeigen, dass sich die Anzahl der arbeitslosen Absolventen postsekundärer und höherer Bildung zwischen 2006 und 2016 auf 3302 Personen verdreifacht hat.2

Dieser Trend ist jedoch zum großen Teil als Folge des Bevölkerungswachstums und der Bildungsexpansion in Luxemburg zu verstehen und nicht als Zeichen eines Abrutschens einer ganzen Generation von Uni-Absolventen in die Arbeitslosigkeit. Um es vorweg zu nehmen: Die ADEM-Daten beziehen sich auf die Anzahl der höher gebildeten arbeitslosen Personen und deren Anteil an der Gesamtzahl der Arbeitslosen. Sie beziehen sich also nicht auf die Arbeitslosenrate, d.h. den Anteil der höher gebildeten Arbeitslosen gemessen an der Gesamtzahl der aktiven höher Gebildeten. Mit anderen Worten: Die Zahl arbeitsloser Studierter steigt automatisch, wenn es in der aktiven Bevölkerung mehr Studierte gibt – genauso wie die Zahl der Geburten steigt, wenn es mehr Frauen im gebärfähigen Alter gibt (vorausgesetzt, alle anderen Umstände bleiben unverändert). Unsere Frage ist demnach, ob auch die Arbeitslosenquote der Akademiker gestiegen ist. Wir tragen zu den Ergebnissen, die auf absoluten Zahlen basieren, mit einem europäischen Vergleich3 der Arbeitslosenquote bei. Zudem relativieren wir diese Zahlen, indem wir sie in das Verhältnis zur Entwicklung der Bildung in der Bevölkerung setzen. Diese Strategie ermöglicht es, die Debatte um die parlamentarische Anfrage zu vertiefen.

Spätzünder in der Bildungsexpansion

Die Bildungsexpansion hat Luxemburg etwas später als andere europäische Staaten erreicht. Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist das durchschnittliche Bildungsniveau in der Bevölkerung rapide gewachsen: Der Anteil der Hochschulabsolventen in der aktiven Bevölkerung ist somit zwischen 2004 und 2014 von einem Viertel auf knapp ein Drittel gestiegen. Noch deutlicher ist dieser generationsbedingte Trend in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen, wo mehr als 40 Prozent einen Hochschulabschluss besitzen.4

Der allgemein wachsende Bedarf an Studierten in der Wirtschaft und die dadurch vermehrte Ein- oder Rückwanderung von hoch qualifizierten Arbeitnehmern sowie die Gründung der Universität Luxemburg sind wichtige Gründe für diese Entwicklung. Die Zahl der Studenten in Luxemburg hat sich in den letzten 15 Jahren demnach mehr als vervierfacht und die Zahl der Luxemburger, die im Ausland studieren, sogar verfünffacht.5

Quote statt Zahlen

Ist die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen also auf extreme Weise gestiegen – so wie die parlamentarische Anfrage und die Antwort darauf es befürchten lassen? In der ersten Abbildung wird die Arbeitslosigkeitsrate nach Bildungsniveau in Luxemburg angegeben und die genannte These ganz klar dementiert. Erstens ist die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen in Luxemburg, wenn man sich die Quote ansieht, von 3,1 Prozent in 2006 zu 4,7 Prozent im Jahr 2015, immer noch niedrig. Trotz Anstieg liegt diese noch weit unter dem EU-Durchschnitt und das gilt auch für Hochschulabsolventen. (Unter den wenigen Ländern mit einer niedrigeren Arbeitslosenquote befindet sich Deutschland, wo die Arbeitslosigkeit während des letzten Jahrzehnts stark gesunken ist.) Zweitens, und viel wichtiger, sind nicht Personen mit Hochschulbildung, sondern jene mit niedrigem Bildungsabschluss am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffen: In dieser Gruppe gibt es zwei bis drei Mal mehr Personen ohne Arbeit.6 Drittens ist zu beobachten, dass die Bildungsprämie („Schere“ in Abbildung 1) steigt. Es handelt sich jedoch um einen globalen Trend, der auf die Umstrukturierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zurückzuführen ist.

In der Wirtschaft geforderte Profile 

Mit der angestiegenen Arbeitslosigkeit steht auch die Frage im Raum, ob Bildungsabschlüsse auf den Bedarf der Wirtschaft abgestimmt sind. Analysiert man das Profil der arbeitslosen Hochschulabsolventen anhand der ADEM-Zahlen, stellt man zuerst fest, dass der größte Teil nicht lange arbeitslos bleibt. Knapp die Hälfte ist weniger als sechs Monate arbeitslos. Die Tendenz geht allerdings hin zu längerer Arbeitslosigkeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit (12 Monate und länger) hat sich demnach zwischen 2006 und 2016 überproportional nach oben entwickelt. Außerdem ist Arbeitslosigkeit weiterhin ein Phänomen, das Migranten viel stärker betrifft als Hochschulabsolventen, die in Luxemburg geboren sind – wie in Abbildung 2 dargestellt. Angesichts der gestiegenen Arbeitslosigkeit unter älteren (50+) Hochschulabsolventen liegt alles in allem die Vermutung nahe, dass ältere Generationen mit einem Universitätsabschluss sowie Migranten aus dem Arbeitsmarkt verdrängt werden. Das wiederum würde die Gegenthese stützen, welche besagt, dass die Abschlüsse jüngerer Absolventen besser auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet sind.

Die Disziplinen, die man am häufigsten unter arbeitslosen Akademikern findet, sind Wirtschafts- (28%) und angewandte Wissenschaften (13%), sowie Sozial-, Erziehungs- (13%) und Literaturwissenschaften (12%). Allerdings sind dies Absolventen, die in sehr vielseitigen Berufen eingestellt werden, und deren Arbeitslosigkeit seit 2008 nicht überproportional, sondern durchschnittlich oder sogar langsamer gestiegen ist. Die ADEM-Statistiken zeigen zudem, dass sich die Anzahl der Arbeitslosen übergreifend, d.h. in allen akademischen Disziplinen, ungefähr verdreifacht hat. Etwas stärker angestiegen ist dabei die Anzahl arbeitsloser Juristen, Architekten sowie Mathematik- und Naturwissenschaftlern („sciences pures“) aber laut den ADEM-Daten ist die Arbeitslosigkeit in keinem Bereich dramatisch angestiegen.

Es ist also unwahrscheinlich, dass sämtliche Hochschulabschlüsse gleichsam entwertet werden, insbesondere angesichts der Wirtschaftsentwicklung in Luxemburg. Die Abschlüsse zielen momentan stark auf expandierende Wirtschaftssektoren ab: Die Zahl der Erwerbstätigen im Bereich der Rechts- und Steuerberatung sowie Wirtschaftsprüfung7 hat sich zwischen 2000 und 2014 (auf 22800 Erwerbstätige) verdreifacht, jene im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen hat sich weit mehr als verdoppelt (auf jeweils 40300 und 35900 Erwerbstätige). Insgesamt sind die Arbeitslosenzahlen im Angesicht der kurzen Arbeitslosigkeitsdauer und der positiven Wirtschaftsentwicklung also kein wirklicher Grund zur Beunruhigung.

Eine Restrukturierung der Wirtschaft führt nämlich nicht nur zu Neueinstellungen, sondern auch zu einer natürlichen Fluktuation. Ein Problem werden diese Entlassungen für diejenigen, meistens mit einem niedrigeren Bildungsabschluss, die ihre Ausbildung und Kompetenzen nicht schnell genug anpassen können.8 Wichtiger als eine mögliche Diskrepanz zwischen Bildungsinhalten und Wirtschaftsbedarf scheint daher die Flexibilisierung der Arbeitsverträge, denn das typische Arbeitsverhältnis stirbt aus. Viel öfter als in der Vergangenheit müssen auch Hochschulabsolventen atypische Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren mit der Folge, dass sich Arbeitslosigkeit vermehrt in Normalbiographien einschleicht.

Rück- und Ausblick 

Arbeitslosigkeit in Luxemburg ist also – wie auch in anderen europäischen Staaten – eher ein Problem von Geringqualifizierten, denn vier von fünf Arbeitslosen haben in Luxemburg keinen Hochschulabschluss. Die Erwerbslosigkeit ist unter Hochschulabgängern zwar angestiegen, allerdings in unterproportionalem Maße. Es ist wichtig, diese Trends genau im Auge zu behalten, aber gleichzeitig auch den Gesamtzusammenhang zu betrachten. Die Unterschiede in der Erwerbslosigkeit zwischen den Bildungsschichten sind z.B. viel dramatischer als die Entwicklung innerhalb der Gruppe der höher Gebildeten. Eine verbesserte Datengrundlage könnte weiteren Aufschluss geben. Ein Indikator wäre bspw. die Dauer der Erwerbslosigkeit nach Alter, Diplom, Disziplin und Land, in dem der Abschluss erworben wurde.

Angesichts dessen, dass Arbeitslosigkeit unter Studierten überwiegend nur von kurzer Dauer ist, kann man hier von sogenannter „Sucharbeitslosigkeit“ sprechen. Arbeitnehmer müssen heute zunehmend flexiblere Bedingungen als noch vor ein paar Jahrzehnten in Kauf nehmen und werden gerade in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen und Umschwung nicht von Arbeitslosigkeit verschont. Ein Hochschulstudium mag kein vollkommener Schutz gegen befristete Verträge, Leiharbeit, Dauerpraktika, usw. sein. Es ist und bleibt dennoch die beste Vorsorge gegen Arbeitslosigkeit. Deshalb müssen Investitionen in Bildung weiterhin höchste Priorität sein. Eine stärkere Zusammenarbeit von Universität und Wirtschaft in Form von Partnerschaften, Alumni-Netzwerken und Praktika-Vermittlung könnten, mit staatlicher Unterstützung, darüber hinaus den Übergang zum Arbeitsmarkt erleichtern.

Damit Luxemburg in Bezug auf Arbeitslosigkeit auch weiterhin im europäischen Vergleich gut abschneidet, sind aber auch andere Reformen unabdinglich. Der Fokus auf Hochschulabsolventen wäre einseitig und die Kluft zwischen Hoch- und Niedriggebildeten, Jugend- und Altersarbeitslosigkeit sowie die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen sind dabei viel dringendere Herausforderungen für die Zukunft Luxemburgs.

[1] Eurostat, Unemployment Statistics, 2016. http://ec.europa.eu/ eurostat/statistics-explained/index.php/Unemployment_statistics

[2] Volltext der Anfrage und Antwort siehe Chambre des dépu- tées: http://chd.lu/ oder unter https://www.dp.lu/de/artikel/ zuele-vum-„intellektuelle“-chômage

[3]  auf der Grundlage von offiziellen Daten (Eurostat, EU-SILC)

[4]  Eigene Analysen auf Basis des EU Survey for Income and Living Conditions (EU-SILC), Eurostat.

[5] von 1409 auf 6287 bzw. von 4401 auf 22102 Studenten zwischen 1999/2000 und 2014/2015; STATEC, Luxemburg in Zahlen 2016, http://www.luxembourg.public.lu/de/publications/c/statec-lux-chiffres2016/luxemburg-zahlenDE.pdf

[6] Siehe ADEM-Daten in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage n°2491.

[7] Erwerbstätige nach Wirtschaftszweigen 2000-2015, Luxemburg in Zahlen, 2016, S. 15.

[8] Stagnierende oder gar schrumpfende Wirtschaftssektoren sind Landwirtschaft und Produktion, insbesondere Metallerzeugung und -bearbeitung.

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