Die ständig steigenden Immobilienpreise und die Prognose der Europäischen Kommission, dass Luxemburg bis 2060 1,1 Millionen Einwohner aufweisen wird, drängen die Gemeinden dazu, neue Konzepte zur Schaffung von Wohnraum zu entwickeln. Aber auch lokale Probleme, wie die sozio-ökonomische Wandlung der Bevölkerungsstruktur, setzen die Gemeinden unter Druck: Junge Familien ziehen aus den Kleinstädten / Dörfern aus, bauen in der Peripherie ihr Eigenheim, während in den Stadt- und Dorfkernen die Alten verbleiben. In den frei werdenden kleineren Wohnungen siedeln sich eher einkommensschwache Personen an.
Vor diesem Hintergrund hat die Stadt Remich ein Projekt gestartet, um ein lange Zeit ungenutztes Ackerland, „Gewännchen / Juck“ (befindet sich seit den 1970er Jahren im Bauperimeter), in Wohnraum umzuwandeln. Dieses im Norden Remichs befindliche Gebiet weist einige Spezifizitäten auf.
Es ist ein, durch die Topographie bedingt, schwer zugängliches Gebiet. Das „Gewännchen / Juck“ befindet sich auf einem Plateau und ist vom Westen und Norden her durch einen Wald, der Teil des Natura 2000-Naturschutzgebiets ist, von Zugängen abgeschnitten.
Erschwerend kommt hinzu, dass das angestrebte Baugebiet 110 verschiedenen Besitzern gehört, darunter Erbengemeinschaften. Einige dieser Eigentümer verfügen nur über Kleinstparzellen. Dies lässt sich durch den Umstand erklären, dass in der Moselregion die Parzellen der früheren Winzer und Bauern traditionell nicht groß waren. An der Zerstückelung und an der allgemeinen Schwierigkeit, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, sind in der Vergangenheit mehrere private Versuche gescheitert, das Bauland zu erschließen. Des Weiteren ist der Wert der einzelnen Grundstücke je nach Lage schwankend, so dass die verschiedenen Grundbesitzer auch unterschiedliche Erwartungen in Sachen Wertsteigerung haben, was ebenfalls die Gesamterschließung des 22 ha großen Areals behindert hat, obschon wegen der Zufahrtswege nur eine gemeinsame Erschließung denkbar ist.
Ein beträchtlicher Teil der Besitzer dieser Flächen lebt außerhalb Remichs und hat heute keinen direkten Bezug mehr zur Stadt. Die Gemeinde Remich ist die flächenmäßig kleinste Gemeinde Luxemburgs, besitzt außerdem eine hohe Einwohnerdichte. Dies führte dazu, dass Remich bisher, um die Ziele des pacte logement zu erreichen, die innerstädtischen Gebiete baulich verdichten musste.
Jedoch bietet die Erschließung des Gebiets auch noch einige interessante Vorteile. Das „Gewännchen“ liegt zentrumsnah, durch die Erschließung des Gebiets würde das Stadtzentrum erweitert werden und die Stadt Remich erhielte eine neue Dynamik. Durch eine aktive Teilnahme der Bevölkerung könnte dieses neue Viertel nachhaltig entwickelt werden (Mobilität, Energiegewinnung, lokale Geschäfte, Freizeit und Erholung etc).
Das Projekt „Gewännchen“ nimmt Form an
Vor diesem Hintergrund entschied der Schöffenrat im November 2011: „D’Gewännchen soll ënnert Fiederféierung vun der Gemeng erschloss ginn.“ Der Gemeinde unter Leitung des Bürgermeisters Henri Kox (Déi Gréng) war klar, dass zur Erschließung des „Gewännchen“ und zur Schaffung von Wohnraum alle Akteure zusammengebracht werden müssen, dazu zählten auch die verschiedenen Ministerien.
Wie sieht das Projekt konkret aus?
Die Gemeindeverwaltung wird eine Genossenschaft gründen, um den Landeigentümern die Zusammenlegung ihrer Grundstücke zu ermöglichen. Dabei wird sie selber nicht als Teilhaber in die Genossenschaft eintreten, um nicht in den Verdacht der Befangenheit zu geraten. Die Größe des „eingezahlten“ Grundstücks bestimmt die Anteile und damit das Stimmrecht, die die Eigentümer in der Genossenschaft haben.
In der Genossenschaft werden die Grundstücke keinen größeren oder kleineren Wert aufgrund ihrer Lage besitzen. Das bedeutet, dass ein Grundstück mit Blick auf die Mosel (im westlichen Teil des Baugebiets) mit demselben Quotient in Anteile umgerechnet wird, wie ein „weniger attraktives“ Grundstück, das unter Umständen wegen eines geschützten Biotops nicht bebaubar ist.
Die „Umverteilung“ der erschlossenen Flächen geschieht folgendermaßen: Die eingezahlten Grundstücke geben einen Gegenwert in Form eines Loses. Je mehr Quadratmeter man einzahlt, umso höher ist der Wert dieses Loses. Die erschlossenen Grundstücke werden dann verlost. Damit die Eigentümer sich nicht übervorteilt fühlen, weil sie ein Grundstück erhalten haben, das an einer komplett anderen Stelle liegt als ihr ursprüngliches, musste die Gemeinde einen Kompromiss eingehen. Das komplette Baugebiet wurde in vier Regionen unterteilt, sodass die ursprünglichen Grundstücksbesitzer in ihren jeweiligen Regionen ein „Vorkaufsrecht“ besitzen.
Die Interessen der Grundstücksbesitzer sind unterschiedlich: Die einen wollen ihr Grundstück verkaufen, während andere das ihnen zugefallene Grundstück behalten und selbst bebauen wollen. Im Rahmen der Genossenschaft können die beiden Eigentümertypen zufriedengestellt werden. Henri Kox ist überzeugt, dass dieses kooperative Modell ideal ist, um Erbengemeinschaften aufzulösen, da jeder seinen gerechten Anteil in Geld erhält.
Die Gemeindeverwaltung hat bereits die gesamte urbanistische und rechtliche Vorplanung durchgeführt, so dass diese Kosten erst nach dem Erschließen der Grundstücke von den Eigentümern getragen werden müssen, und sich um die Genehmigungen des Naturschutzministeriums, des Innenministeriums und des Wohnungsbauministeriums und um Zuschüsse gekümmert. Um eine soziale Durchmischung des Neubauviertels sicherzustellen, hat die Gemeinde auch schon einen Hektar Land erworben, auf dem Wohnungen zu erschwinglichen Preisen nach dem Erbpachtvertrag entstehen sollen.
Henri Kox beschreibt das „Gewännchen“ augenzwinkernd als ein kommunistisches Projekt mit einem kapitalistischen Ziel, da man nicht vergessen dürfe, dass das Endziel des ganzen Unterfangens eine Aufwertung des Ackerlands in Bauland ist, womit eine Wertsteigerung einhergeht.
Während jedoch das primäre Ziel von professionellen Promotoren der Gewinn ist, können private Grundstücksbesitzer, die selbst zu Bauträgern werden, ihre Umgebung selbst gestalten und ihren Bedürfnissen und Wünschen anpassen. Natürlich hängt das Gelingen des Unternehmens größtenteils davon ab, inwieweit die einzelnen Eigentümer zu Kompromissen bereit sind und wie stark sie sich in das Projekt investieren.
Als Modellprojekt, das auch vom Wohnungsbauministerium mit Interesse verfolgt wird, kann das „Gewännchen“ auch für manch andere luxemburgische Gemeinde Vorbildcharakter haben. Besonders Projekte, die sich aus diversen Gründen (große Anzahl an Eigentümern, schwierige Lage, unterschiedliche Spekulationsinteressen etc.) seit Jahren im Stillstand befinden, könnten dieses Genossenschaftsprinzip anwenden, um die verschiedenen Akteure wieder an einen Tisch zu bringen und auf diesem Wege zusätzlichen, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
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