- Kino
forum_C: « Now you’re in the Sunken Place » – Get Out (Jordan Peele) in der Kurzkritik
« Have you told your parents I’m black? » fragt Chris (Daniel Kaluuya), aufstrebender Jungfotograf, zu Beginn von Jordan Peeles Regiedebüt Get Out vorsichtig, und vielleicht auch ein bisschen vorausahnend, seine weiße Freundin Rose (Allison Williams), als beide zu einem langen Wochenendbesuch bei Roses Eltern aufbrechen. Die junge Frau beschwichtigt sofort – ihre Eltern seien mitnichten Rassisten und ihr Vater würde sogar ein drittes Mal Obama wählen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte.
Nach einem unglücklichen Zusammenstoß mit einem Hirsch während der Autofahrt erreicht das junge Pärchen schließlich das nicht eben bescheidene Anwesen von Roses Familie inmitten eines abgelegenen, idyllischen Waldgebietes. Vater Dean (Bradley Whitford), ein erfolgreicher Neurochirurg, und Mutter Missy Armitage (Catherine Keener), Hypnosetherapeutin, entpuppen sich bei dieser ersten, warmen Begegnung als wahre Prototypen aufgeschlossener, liberaler, bürgerlicher, weißer Amerikaner, die allerdings so betont lässig mit Chris‘ Hautfarbe umgehen (Dean verweist selbstzufrieden auf seine Begeisterung für Präsident Obama und versucht sich mit schwarzer Sprache bei Chris anzubiedern), dass nach und nach unweigerlich eine Aura des Unheilvollen in die Szenerie einschleicht.
Mutter Missy scheint darauf zu brennen, Chris‘ traumatische Kindheit in Hypnosesitzungen zu erkunden, und die beiden schwarzen Hausangestellten Georgina (Betty Gabriel) und Walter (Marcus Henderson) wandeln zombiehaft über das Anwesen, mit eingefrorenem Lächeln bzw. unverhohlener Feindseligkeit gegenüber dem arrivierteren Chris. Auch Roses Bruder Jeremy (Caleb Landry Jones), ein aggressiver Schnösel, sowie ein merkwürdiger Dialog zwischen Chris und Vater Dean, in dem dieser davon erzählt, wie sein Vater bei den Olympischen Spielen von 1936 gegen den schwarzen Jesse Owens verloren hat, man es Hitler dennoch gezeigt habe – eine Episode, die im Finale des Films auf brillante Weise wieder aufgegriffen wird –, bestätigen Chris in seiner Annahme, dass hinter der glatten, aufgeklärten Fassade der Armitages einiges nicht stimmt.

Den Höhepunkt bildet eine reichlich bizarre Gartenparty unter fast ausschließlich weißen Nachbarn, bei der Chris wie beiläufig mit allen erdenklichen und wohlbekannten Schwarzenklischees konfrontiert wird – zwar hat er sich mit dieser Form des Alltagsrassismus arrangiert, doch es dämmert ihm, dass hier eine größere Verschwörung am Werk ist. Und auch sein bester Freund Rod (urkomisch hysterisch und skeptisch: LilRel Howrey), ein Sicherheitsoffizier, vermutet eine Gehirnwäsche von Schwarzen zwecks « sex-slave and shit » am Werk, und rät ihm über Telefon, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Peeles Regiedebüt pendelt gekonnt zwischen Satire und Horror, und infiltriert dabei mit absoluter Präzision die vorgeblich aufgeklärten, liberalen weißen Vororte und ländlichen Gegenden Amerikas, um auszuloten, in welchen Formen der Rassismus, sowie die damit verbundenen Klischees und unausgesprochenen Neidfantasien, unter der Oberfläche, im Verborgenen, weiterleben und die amerikanische Gesellschaft weiterhin prägen.
Zwar schaltet Peele im Finale noch einmal gewaltig hoch um seine Geschichte mit den Codes des Fantasy- und Horrorgenres zu Ende zu erzählen, doch er zerstört hier letztlich auch im Kino die beruhigende Illusion, der ganz alltägliche Rassismus sei überwunden – dabei haben Kriminalfälle wie die Ermordung des Jugendlichen Trayvon Martin und die daraus resultierende Black Lives Matter-Bewegung längst für die Realität belegt, wie fragil die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß im Amerika des 21. Jahrhunderts immer noch sind. Und wenn schwarze Charaktere wie die Hausangestellten Georgina und Walter distanziert und wie ferngesteuert durch die Szenerie wandeln, dann schlägt Peele nicht nur eine metaphorische Brücke zur amerikanischen Sklaverei, sondern zeigt auch auf, wie sehr Schwarze (und andere ethnische wie soziale Gruppen) immer noch dem Vorurteil einer Nichtzugehörigkeit zur US-Gesellschaft ausgesetzt sind.
Get Out ist eine großartige und mit vielen filmgeschichtlichen Referenzen (von Kubrick bis Indiana Jones) angereicherte Mischung aus subversiver Gesellschaftssatire und wirkungsvollem Horrorfilm – und auch ein Film für die Zeit nach Obama.
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