Im Mittelpunkt von Edgar Wrights Baby Driver steht eine filmische Figur, die eine gewisse Tradition im amerikanischen Genrekino hat: Der wortkarge und eigenbrötlerische, gleichzeitig aber auch hochbegabte Fluchtwagenfahrer, der von kriminellen Banden angeheuert wird, um diese nach einem Überfall oder Einbruch in schwindelerregendem Tempo, und die Regeln der Physik außer Kraft setzend, in Sicherheit zu bringen. Der Getaway driver, der manchmal auch ein Stuntman ist (wie beispielsweise in Nicolas Winding Refns Drive, 2011), scheint nicht nur mit den Boliden zu verschmelzen, die er wie im Schlaf beherrscht, er kennt auch das Straßennetz der Großstädte auswendig, um seinen Konkurrenten – meistens die örtliche Polizei – auf und davon zu fahren, und seine eigene Sucht nach Beschleunigung und Action zu befriedigen.
Das Hollywoodkino hat bis dato einige interessante Ableger des Car chase-Genres hervorgebracht, die Komödienspezialist Edgar Wright (Shaun of the Dead, 2004 und Hot Fuzz, 2007) – ohnehin ein Experte für Genrepersiflagen – kennt und ausgiebig zitiert: The Driver (Walter Hill, 1978) mit dem stoischen Ryan O’Neal in der Hauptrolle, Bullitt (Peter Yates, 1968) mit dem nicht weniger coolen Steve McQueen, die Transporter-Reihe (2002-2015) sowie Drive und The Place Beyond The Pines (Derek Cianfrance, 2012), beide mit Ryan Gosling als Fahrer.

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(Mit Spoilern) Edgar Wright liefert eine interessante Neuinterpretation dieser Figur: Sein Baby Driver (cool: Ansel Elgort), der mit Vornamen tatsächlich Baby heißt, oder zumindest von allen so genannt wird, ist deutlich jünger als gewohnt – und sehr musikaffin. Er trägt ständig mehrere iPods mit Liedern für jede erdenkliche Stimmungslage bei sich, und wechselt diese je nach Situation – der Titel Baby Driver ist im Übrigen einem Simon & Garfunkel-Lied entnommen. Seine Aufträge erhält er vom undurchsichtigen Doc (im positiven Sinne auf Autopilot herrlich fies und doppelbödig: Kevin Spacey), oberflächlich ein Geschäftsmann, der verschiedene Überfallkommandos mit wechselnder Besetzung (darunter Jon Hamm, Eiza González, Jamie Foxx und Jon Bernthal) auf „Mission“ geschickt. Als Baby, der in Docs Schuld steht, in einem sehr oldschoolig-amerikanischen Diner, der direkt den seligen fünfziger Jahren entsprungen zu sein scheint, die Kellnerin Debora (sympathisch: Lily James) kennenlernt, möchte er sich von seinem Auftraggeber und Ersatzvater Doc emanzipieren und aussteigen, was natürlich unweigerlich zum Konflikt führt.
Was Wrights Beitrag von ähnlich gelagerten Genrefilmen unterscheidet, ist zunächst einmal die Form. Dass einzelne Filmsequenzen auf bestimmte Lieder geschnitten und rhythmisiert werden, kennt man. Wright geht aber einen Schritt weiter – er choreographiert und komponiert seinen Film in Musicalmanier, von den Actionszenen bis hin zu alltäglichen Situationen (wie den Weg ins Café) und Gesprächen, auf die Musik, die die Protagonisten manchmal sogar in der Szene selbst hören. Die im Film eingesetzten Lieder erzählen die Story dadurch quasi mit, beziehungsweise kommentieren sie ironisch. Das Resultat ist verblüffend homogen und flüssig, und funktioniert zumindest in der ersten Hälfte von Baby Driver sehr gut. Das Konzept wertet auch die obligatorischen Actionszenen, zumeist Verfolgungsjagden (die Überfälle per se sieht man nie), auf, die durch den Musikeinsatz teilweise völlig entfesselt daherkommen – und in einer kurzen, perfekt geschnittenen Lagerhallenschießerei ist Baby Driver dann in wenigen Sekunden genau das, was Free Fire (Ben Wheatley, 2016) stellenweise gerne gewesen wäre.
Was Edgar Wright aber auch von anderen hyperstilisierenden und mit vielen film- und popkulturellen Referenzen arbeitenden Regisseuren wie Quentin Tarantino und Nicolas Winding Refn unterscheidet, ist seine weitgehende Abwesenheit von Zynismus. Auch Baby Driver ist stellenweise recht brutal, aber Wright nimmt seine Figuren ernst und gibt ihnen eine überraschende Tiefe und Raum, um sich zu entfalten. Das fängt mit Baby selbst an, dem er eine erzählerisch originelle Backstory Wound mit auf den Weg gibt: Baby verlor seine Eltern als Kind bei einem Autounfall und leidet seitdem an Tinnitus – den omnipräsenten Pfeifton kann er nur durch seine Musikbeschallung ausblenden. Auch die Nebencharaktere dürfen glänzen: Kevin Spacey und CJ Jones, der Babys taubstummen Stiefvater Joseph spielt, geben zwei völlig konträre Vaterfiguren ab, die aber beide einen Einfluss auf Baby ausüben. Schließlich sind auch die Mitglieder des Überfallkommandos, allen voran Buddy (Jon Hamm) und Bats (Jamie Foxx), keine eindimensionalen Schießbudenfiguren, sondern unberechenbare Figuren mit eigenen Motivationen.
Am Ende entpuppt sich Wright dann sogar als Romantiker, wenn er Baby und Debora, nach einigen Hindernissen, ein Happyend gönnt auf den weiten, endlosen Landstraßen Amerikas, die schon 1971 in Vanishing Point (Richard C. Sarafian) die große Freiheit symbolisierten – und scheinbar auch noch im Jahr 2017.
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