„Mission: Impossible – Fallout“

(Christopher McQuarrie, 2018)1

Großbritannien hat James Bond, die USA haben Ethan Hunt. Obwohl es durchaus Unterschiede zwischen dem britischen Doppelnullagenten und seinem amerikanischen Pendant bei der IMF (Impossible Missions Force) gibt – James Bond rettet seit 1962 regelmäßig die Welt und wurde in diesen mehr als fünfzig Jahren von wechselnden Schauspielern verkörpert2, wohingegen die Mission: Impossible-Franchise, die auf einer gleichnamigen US-Fernsehserie (ausgestrahlt zwischen 1966-73) basiert, erst 1996 für die Kinoleinwand adaptiert und die Hauptfigur seitdem stets von Tom Cruise gespielt wurde – eint beide Reihen jedoch, dass sie am Box Office um die gleichen Zielpublika buhlen. Mit Mission: Impossible – Fallout (Drehbuch und Regie: Christopher McQuarrie) lief im Sommer der sechste Teil der M:I-Franchise in den Kinos – und zeigte ausgerechnet verblüffende Gemeinsamkeiten mit dem bis dato letzten Ableger seines schärfsten Konkurrenten, Spectre (Sam Mendes, 2015).

In der zweiten Hälfte von M:I Fallout, kurz bevor Regisseur McQuarrie das erzählerische Gaspedal bis zum Bodenblech durchdrückt und seinen Agententhriller in eines der furiosesten Finale dieses Kinojahres schickt, lässt er den IMF-Boss Alan Hunley (gespielt von Alec Baldwin) den vieldeutigen Satz sagen: „I’m starting to see why you guys enjoy this so much.“ Zwar richtet er diese Aussage primär an die Feldagenten seiner Impossible Missions Force, Ethan Hunt (Tom Cruise), Benji Dunn (Simon Pegg) und Luther Stickell (Ving Rhames), die wieder einmal ihren Gegner mit einer täuschend echten Gesichtsmaske gefoppt haben. Doch Hunley spricht implizit auch zu den Zuschauern, die sich seit mittlerweile 22 Jahren an den immer spektakuläreren Täuschungs-, Stunt- und Einbruchssequenzen, die zum Markenzeichen der M:I-Reihe wurden, erfreuen. Mitverantwortlich für diesen anhaltenden Erfolg sind einige Konstanten, die sich in allen Teilen wiederfinden: Neben den akrobatischen Einlagen, dem Engagement namhafter Regisseure (Brian de Palma, John Woo, J.J. Abrams…) und Plots, die sich in der Regel um internationale Waffengeschäfte und Maulwürfe in den eigenen Reihen drehen, sind die M:I-Filme auch deutlich um die Persona von Hauptdarsteller und Produzent Tom Cruise konstruiert, der förmlich mit seiner Leinwandfigur verschmilzt.

Cruise, der in Hollywood wegen seiner Scientology-Mitgliedschaft und einigen merkwürdigen öffent-lichen Auftritten nicht unumstritten ist, hat es mit der Verkörperung des IMF-Agenten Ethan Hunt geschafft, sich erfolgreich zwischen mindestens so etablierten Konkurrenten wie James Bond und Jason Bourne zu positionieren.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Der inzwischen 56-jährige ist bekannt dafür, in ausgezeichneter körperlicher Form zu sein und seine Stuntszenen möglichst ohne Einsatz von Doubles zu drehen – ein wichtiges Marketingargument in Zeiten immer künstlicherer CGI-Schlachten und ein Umstand, der die Messlatte für seine filmischen Kontrahenten ziemlich hoch platziert. Selbst wenn das einmal weniger gut ausgeht, wie etwa bei den Dreharbeiten von M:I Fallout, bei denen sich Cruise während einer Verfolgungsjagd über den Dächern von London das Fußgelenk brach und die Produktion mehrere Wochen pausieren musste, ist der Unfall schließlich Teil der Vermarktungskampagne und sogar kurz im fertigen Film zu sehen.

Zwar ist sein IMF-Agent Ethan Hunt auch ein genre-typischer, nimmermüder und quasi-unkaputtbarer Tausendsassa, der über unbegrenzte Energiereserven verfügt und aus dem Stand heraus jedes noch so anspruchsvolle motorisierte Gefährt bedienen kann, doch er ist eben auch verwundbarer und altruistischer, ergo: mitfühlender als seine Agentenpendants. Während 007, gewissermaßen der Urvater aller Leinwandagenten und unübersehbare Inspiration der M:I-Reihe, ein zwar kultiviert-stilvoller, aber auch zynischer und frauenverachtender Misanthrop ist, und Jason Bourne sich vor allem mit sich selbst und seiner Vergangenheit beschäftigt, bricht Hunt mit einigen dieser genretypischen Einzelgänger-Konventionen und füllt die Nische des empathischen Team-Players, der – mit einem zugegebenermaßen ausgeprägten Hang zum Märtyrertum – das Wohlbefinden seiner Mitagenten über den Erfolg der Mission stellt. Im dritten Teil der Franchise, Mission: Impossible III (J.J. Abrams, 2006), gerät sogar Hunts Verlobte Julia (Michelle Monaghan) in die Schusslinie eines Waffenhändlers – ein Handlungsstrang, der in M:I Fallout wieder aufgegriffen wird, und dadurch den seriellen Charakter, den die Reihe inzwischen angenommen hat, unterstreicht.

Regisseur Christopher McQuarrie, der schon beim Vorgänger M:I Rogue Nation (2015) Regie führte, legt M:I Fallout aber zunächst als direktes Sequel zu diesem fünften Teil an. Ohne unnötig Zeit verlieren zu wollen, katapultiert er das Publikum in eine Geschichte hinein, die – auch das hat Tradition in den Mission: Impossible-Filmen – ebenso dünn wie konfus ist.

Per Band, das sich (in Anlehnung an die TV-Serie) auf schön altmodische Weise nach einmaligem Abspielen in Rauch auflöst, erhält Ethan Hunt in Belfast einen neuen Auftrag: Eine terroristische Gruppe namens „die Apostel“ möchte auf dem Schwarzmarkt drei Plutonium-Kapseln erwerben, um mit schmutzigen Bomben eine humanitäre Katastrophe auszulösen – „There cannot be peace without first a great suffering“, lautet ihr Leitspruch. Hunt soll das Plutonium in Berlin sicherstellen, scheitert jedoch, weil ihm das Überleben seines Teammitgliedes Luther wichtiger ist. Fortan entbrennt ein globales Wettrennen um die atomaren Kapseln, das von Paris über London bis in die Kaschmirregion führt – und auch die MI6-Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) sowie Widersacher Solomon Lane (mit herrlich fieser Stimme und Mimik: Sean Harris), beide aus dem Vorgängerfilm M:I Rogue Nation, wieder mit einschließt. Erzürnt über den Verlust der Plutonium-Kapseln und Hunts Entscheidung, den Schutz seiner Männer der Vollendung des Auftrags vorzuziehen, setzt CIA-Chefin Sloan (Angela Bassett) den IMF-Agenten einen recht undiplomatischen Aufpasser vor die Nase: Den Haudrauf-Agenten Walker (Superman-Darsteller Henry Cavill), der allerdings auch seine eigene Agenda verfolgt.

Täuschungen, Verschwörungen und wackelige Allianzen – was die Grundmotive von M:I Fallout anbelangt, bewegt sich McQuarrie sehr nahe an M:I Rogue Nation. Doch im direkten Gegensatz zum Vorgängerfilm, der noch etwas Leichtes und Eskapistisches hatte und das Publikum mit langen, minutiös getakteten Spannungssequenzen unterhalten wollte, kommt der sechste Teil über die stolze Dauer von 148 Minuten erstaunlich ernst und rückwärtsgewandt daher: Im Zentrum der Erzählung stehen, wie bereits erwähnt, Ethan Hunt und seine Vergangenheit sowie sein (vergeblicher) Wunsch nach einer Heirat mit Julia und einem Ausstieg aus den gefährlichen Machenschaften der Geheimdienste. Solomon Lane möchte im Schlussakt eine der nuklearen Bomben in der Nähe eines humanitären Hilfswerks, in dem Julia arbeitet, zünden, um Hunt so eine größtmögliche Schuld aufzubürden.

Wie in Spectre möchte M:I Fallout von den ersten Filmminuten – bzw. vom Vorspann – an, die Brücke zu den früheren Teilen der Reihe schlagen und deren Handlungselemente bzw. Figuren in die eigene Erzählung mit einbinden. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass die Mission: Impossible-Reihe – die mit ihren letzten Ablegern das Kunststück vollbrachte, die Formel der Bond-Filme (Action, Humor, Exotik und Eskapismus) zwar am treffendsten zu imitieren und sich gleichzeitig mit Filmen, die eben nicht zwischen Traditionspflicht und Erneuerungsdrang feststeckten, als deren moderneres und frischeres Gegengewicht zu positionieren – sich ihrem Vorbild deutlicher angenähert hat als möglicherweise gewollt.

Zum einen sorgt das filmübergreifende und selbstreferenzielle universe building, das bereits in Spectre durch die Figur von Bonds ikonischer Nemesis Blofeld (verkörpert von Christoph Waltz) zu teils kuriosen Verbindungen zwischen den einzelnen Craig-Filmen führte, auch in M:I Fallout für manch forcierte Wendungen. Am deutlichsten wird das bei der Figur der undurchsichtigen Waffenhändlerin White Widow (Vanessa Kirby), die sich als die Tochter von Max (Vanessa Redgrave), ebenfalls Waffenhändlerin aus dem allerersten Teil der Franchise, herausstellt. Freilich: Außer einem selbstironischen Hinweis auf Hunts/Cruises fortschreitendes Alter bringen diese Rückbesinnungen dem Plot keinen erkennbaren Mehrwert – vielmehr lassen sie den Eindruck entstehen, dass sich das M:I-Universum möglicherweise inzwischen auserzählt hat. Überhaupt hinterlässt M:I Fallout einen inhaltlich seltsam unausgegorenen Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass andere für die Geschichte zentrale Figuren entweder viel zu vage (Ilsa Faust) oder allzu transparent (CIA-Agent Walker) angelegt sind, um die zahlreichen Volten noch nachvollziehbar zu gestalten.

Auch anderenorts werden die Gemeinsamkeiten mit Spectre deutlich, denn einmal mehr wärmt M:I Fallout das Thema konkurrierender Nachrichtendienste auf und stellt die inzwischen müßige Frage nach der Existenzberechtigung von Geheimagenten, die bei ihren Einsätzen zwar regelmäßig Chaos und Trümmerfelder hinterlassen, aber letztlich, und allen Diskussionen zum Trotz, immer noch unabdingbar für die globale Sicherheit sind. Andererseits: In Zeiten erratisch handelnder Großmachtpräsidenten und zunehmend unwägbarer Konfliktherde ist dies möglicherweise die einzige Botschaft – bzw. Gewissheit – die Agentenfilme noch vermitteln können.

Was bleibt, sind brachiale over the top-Actionszenen, die die Gesetze der Physik scheinbar neu definieren wollen. Zugegeben: Das, was McQuarrie und Cruise an Stuntsequenzen – darunter ein (nicht weniger als 94 Mal gedrehter!) HALO-Sprung über bzw. eine Motorradjagd durch Paris, mehrere Hubschrauber-abstürze und harte Mann gegen Mann-Kämpfe in einem luxuriösen Toilettenraum (eine deutliche Anspielung an die Auftaktsequenz von Casino Royale, 2006) – auf die Zuschauer loslassen, ist atemberaubend, eben deshalb, weil sie sich im Gegensatz zu vielen anderen computergenerierten Effektschlachten hier organisch und echt anfühlen.

Von manchen Schwächen abgesehen, bietet M:I Fallout unter dem Strich also dennoch solide Kinounterhaltung über zweieinhalb Stunden, mit druckvollen und handgemachten Actionszenen, einem hochspannenden Finale – und der Möglichkeit, Tom Cruise auf seltsam vertraute Weise bei all jenen Aktivitäten zu beobachten, die er augenscheinlich seit Jahrzehnten am liebsten macht: Joggen, Motorradfahren und Freiklettern.

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