„Die Morgenröte neuen Lebens steigt am Horizont empor“
Republikanische Bewegung im Revolutionswinter 1918/19
Wenn der Unterdrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ew’gen Rechte
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.
(Die Volkstribüne1, 11.1.1919)
„Das Drama wird nicht allein in Berlin gespielt. In der ganzen Welt wird es aufgeführt, auch bei uns.“2 beschrieb Anfang Februar 1919 die sozialdemokratische Schmiede die revolutionären Umwälzungen, die in Folge der sich abzeichnenden militärischen Niederlage der Mittelmächte einsetzten und welche auch starke Auswirkungen auf Luxemburg hatten. So war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Zeilen bereits der Versuch, am 9. Januar 1919 eine Luxemburger Republik einzusetzen, durch die Intervention der französischen Besatzungstruppen im Keim erstickt worden. Dieser gescheiterte Versuch, eine republikanisch-demokratische Staatsform in Luxemburg zu etablieren, war der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung.
Republikanische Tradition
Der Republikanismus in Luxemburg reicht weit in die Vergangenheit zurück und speist sich aus dem ambivalenten Verhältnis eines Teiles des luxemburgischen Volkes zur Monarchie. Zum Spielball der Großmächte geworden, erhielt Luxemburg im 19. Jahrhundert „eine weit entfernte und gleichgültige Dynastie und einen künstlichen Status“3. Während ein Großteil der bäuerlichen Landbevölkerung unter dem Einfluss des pro-monarchistischen Klerus stand, konnten sich insbesondere innerhalb des liberalen Bürgertums und der sozialistisch geprägten Arbeiterschaft unterschiedliche republikanische Strömungen entwickeln. Im Jahr der von preußischen und österreichischen Truppen niedergeschlagenen demokratischen Märzrevolution von 1848 schrieb beispielsweise Dicks in seinem Schmähgedicht D’Fulleparlamènt am Gréngewald4:
E Mierhong, wat dréit eng Paréck,
Seet: “Fort mat alle Vullestréck!”
“Meng ganz Clique, Clique,
An ech wëllen d‘Republik.”
De Schnauzvull steet dem Mierhong bäi,
A rifft: “‚t ass glat keng Geckerei!
Mir aner, aner
Si rout Republikaner.”
Das Organ der radikalen Handwerker und Arbeiter in der sozialdemokratischen Partei5, Der arme Teufel, veröffentlichte bereits ab 1906 regelmäßig republikanisch geprägte Texte. Die luxemburgische Monarchie wird hier als „eine Dynastie, welche unser Land vor 30 Jahren geerbt hat, etwa so wie man unvermutet von einem Onkel aus Amerika eine Hazienda erbt mit Land und Leuten…“6 beschrieben.
Anlässlich des Erbfolgestreits zwischen dem Grafen Georg Nikolaus von Merenberg, dem Vetter des 1908 verstorbenen Großherzogs Wilhelms IV., und dem Herrscherhaus Nassau-Braganza dichtet ein Primaner:
Was liegt uns freien Leuten
An ihrem Erbschaftsstreit
Wir wollen nichts von Beiden
Von Merenberg noch Adelheid.7
„Es ist ein Unglück für die Könige wenn
sie das Volk nicht hören“
Als eine ihrer ersten Amtshandlungen 1912 verweigerte Großherzogin Maria-Adelheid 1912 anfänglich das von der sozialdemokratisch-liberalen Kammermehrheit eingebrachte neue Schulgesetz, welches den Einfluss der Kirche unter Leitung des ultra-montanen Bischofs Koppes auf die öffentliche Schule einschränken sollte. Der arme Teufel kommentierte diese Einmischung „in das Parteigetriebe“ wie folgt: „Das 18 jährige Mädchen von Gottesgnaden, das auf dem Luxemburger Throne sitzt und in den letzten Wochen die republikanische Gesinnung unseres Volkes wieder neu belebt hat, ist letzten Sonntag denn doch zur Einsicht gekommen, dass es nicht gut ist, mit dem Feuer zu spielen.“8
Am 2.1.1916 fand auf dem Knuedler eine Demonstration gegen die Einmischung der Großherzogin in die Innenpolitik und ihre Annäherung an die Mittelmächte statt. Insbesondere wendete man sich gegen den 1915, von Maria-Adelheid gegen eine Linksblock-Mehrheit in der Kammer eingesetzten Regierungschef Hubert Loutsch, dessen Kabinett aus „hommes nouveaux d’extrême-droite“9 bestand. „Im Zuge wurden Schilder mit den der Lage entsprechenden Aufschriften getragen (…): ‚Hoch die Kantone Esch und Luxemburg‘; ‚Vive t’Schoulgesetz‘; ‚E freit Vollek op freiem Bodem‘; ‚Vive la Constitution‘; ‚Wir achten die Verfassung‘; ‚Prince écoutez l’écho des rues‘; ( …) ,Wir wollen sein ein freies Volk unter einer freien Großherzogin’; ‚Es ist ein Unglück für die Könige wenn sie das Volk nicht hören’.“10
„Ich trinke auf das ruhmreiche deutsche Heer!“
„Wenn die Großherzogin Herrin der Ereignisse gewesen wäre“, so die demokratisch-fortschrittliche Volkstribüne „würde Luxemburg, auf Kosten eines Teiles von Belgien, vergrößert, als Bundesstaat in das deutsche Reich eingetreten sein u. eines der deutschfeindlichsten Völker der Welt würde sein Haupt unter dem schändlichen Druck der Pickelhaube beugen müssen.“ Der König von Großbritannien wurde folgendermaßen zitiert: „Stellen Sie sich vor, sagte S. M. Georg V., einem vornehmen Engländer, von dem ich diesen Ausspruch erfuhr, die Großherzogin von Luxemburg hat die Unverfrorenheit gehabt, mir die Verlobung ihrer Schwester mit dem Kronprinzen Rupprecht von Bayern anzuzeigen. Natürlich habe ich ihr nicht geantwortet“. Eine der Klauseln des Versailler Vertrages sah übrigens einige Jahre später vor, „Generalfeldmarschall“ Rupprecht von Bayern als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Dem konnte er sich entziehen und wurde in Bayern zum frühen Förderer antisemitischer und rechts-extremer Bewegungen.
„Im Sommer 1915 begab sich der Gesandte der Vereinigten Staaten im Haag. Hr. van Dyck, nach Luxemburg. Bei dieser Gelegenheit bat die Großherzogin ihn zu Washington einzutreten um zu erlangen, dass Luxemburg durch das spanisch-amerikanische Hilfskomitee verpflegt würde.“ Die Antwort der amerikanischen Regierung „war eine Absage und zu gleicher Zeit ein guter Rat: ‚Die Regierung der Vereinigten Staaten glaubt nicht die Verpflegung Luxemburgs gewähren zu dürfen, und sie bittet die Großherzogin sich an ihren großen Freund, den Kaiser von Deutschland zu wenden, der sicher sich befleißen würde, sie zufrieden zu stellen.‘ “11
Feldwebel Émile Eiffes, Leiter des Aufstandes der Freiwilligenkompanie Ende Dezember 1918, fasste die Kritik des republikanischen Lagers wie folgt zusammen: „Maria-Adelheid hatte den deutschen General, der als Erster unser neutrales Gebiet vergewaltigt hatte, in Audienz empfangen; auch den Besuch Wilhelms II hatte sie nicht den Mut gefunden, zurückzuweisen, vielmehr empfing sie den Kaiser herzlich und bot ihm ein Frühstück an: ja es hiess, sie habe beim Nachtisch getoastet „auf das ruhmreiche deutsche Heer“. (…) Die deutschen Hofbeamten – sogar der Hofmarschall war Deutscher – wollte die Grossherzogin nicht entlassen.“12
Republikanische Aktion und nationalistische Reaktion
Das Ziel der Absetzung der Dynastie Nassau-Braganza und der Einführung einer Republik war der kleinste gemeinsame Nenner einer äußerst heterogenen Bewegung. Diese bestand einerseits aus einem auf einen legalistisch-parlamentarischen Weg zur bürgerlichen Republik beharrenden Flügel, welcher von groß-bürgerlichen Politikern der Liberalen Liga bis hin zu sozial-demokratischen Abgeordneten reichte. Ein anderer Flügel setzte eher auf einen außerparlamentarischen Ansatz, der zu einer sozialen Republik führen sollte und verlagerte sein Wirken auf die Straße und in die Betriebe. Hier reichte das Spektrum von rätekommunistisch-proletarischen Kräften und freiheitlichen Sozialisten bis zu den luxemburgischen Teilnehmern an der deutschen Novemberrevolution. Dieser Pluralismus zeigte sich auch an den verschiedenen republikanischen Organisationen (Arbeiter- und Bauernrat, Ligue française und Action républicaine). Während sich die meisten Republikaner für einen unabhängigen und autonomen Staat aussprachen, gab es einige Alt-Liberale, die für einen Anschluss an Belgien plädierten, während sich verschiedene Jung-Liberale und einzelne Sozialisten eine Annexion an Frankreich wünschten.
Die deutsche Novemberrevolution machte auch vor Luxemburgs Landesgrenzen nicht halt. In der Hauptstadt formierte sich am 10.11.1918 ein Arbeiter- und Bauernrat und forderte eine unabhängige „Luxemburger Volksrepublik“. Ziel war ein autonomer „Freistaat“ in dem „die politische Macht in die Hände der Arbeiterschaft gelegt werden muß.“
Ein von den sozialistischen und liberalen Abgeordneten am 13.11.1918 eingebrachter Antrag nach Einsetzung einer Republik scheiterte mit 21 zu 19 Stimmen. Die Großherzogin wurde an diesem Tag suspendiert und ein Referendum über die zukünftige Staatsform angekündigt.
Als „herzerfrischender, elementar-spontaner Ausbruch luxemburger Vaterlandstreue und Königstreue“ beschrieb das Luxemburger Wort eine am 17.11. in Ettelbrück vom langjährigen Rechtspartei-Abgeordneten und bis 1917 das Amt des Clerfer Bürgermeister bekleidenden Émile Prüm abgehaltene „patriotische“ und pro-monarchistische Kundgebung. In der Hauptstadt veranstaltete die antisemitische National-Unioun am gleichen Tag eine weitere nationalistische Versammlung13, an der auch Wort-Direktor Mgr. Origer teilnimmt. Hier wurde sich über den Präsidenten des Arbeiter- und Bauernrates René Stoll lustig gemacht.
Die Zuspitzung der innenpolitischen Lage Ende 1918 zeigte sich auch an den massiven Ausschreitungen in Esch am 26. November, bei denen bis zu 6000 Teilnehmer 65 Geschäfte14 demolierten und plünderten.
Am 7.12.1918 veröffentlichte Die Volkstribüne eine Proklamation der liberaldemokratischen und sozial-demokratischen Parteien, in der es hieß, dass am 1.12. „ein Manifest der klerikalen Partei in den Augen der Entente diejenigen Luxemburger als Verräter und russisch-preußische Bolschewisten“ hinstellte, „die aus Liebe für die Würde und die wahren Interessen des Vaterlandes die Absetzung der Dynastie Nassau-Braganza fordern.“15
Der „abgeschmackte und seelenlose preußische Drill (…), die rohe willkürliche Behandlung (…) sowie die überaus strengen Strafen selbst für geringfügige Vergehen“16 bewegten die Soldaten der Freiwilligenkompanie am 19.12.1918 ihre Offiziere abzusetzen. Als die Regierung Ende des Jahres drohte, mit Hilfe der französischen Armee einzugreifen, bereiteten sich die Freiwilligen auf eine militärische Auseinandersetzung vor. Die pro-monarchistische Einstellung des französischen Kommandanten, General de la Tour, sowie dessen enge Kontakte zur Rechtspartei waren Luxemburgs Republikanern nicht entgangen. Die französischen Offiziere zeigten sich öffentlich bei der Lektüre der Action Française des Monarchisten Charles Maurras17. Dieses anti-demokratische Blatt zögerte nicht, zur Gewalt gegen republikanische Bestrebungen aufzurufen. Gleichzeitig pflegten auch Teile der Ligue française Kontakte zu nationalistischen und antisemitischen Kreisen aus Frankreich. So wusste die Indépendance Luxembourgeoise am 7.1.1919 von einem Treffen mit dem „Anti-Dreyfusard“ Maurice Barrès18 zu berichten.
Plakate, die am 11. Januar von den beiden Abgeordneten Pierre Prüm und Théodore Boever der Onofhängeg Nationalpartei in allen Ortschaften des Clerfer Kantons öffentlich angeschlagen wurden, riefen die „Bauern, Arbeiter und Bürger des Öslings auf“, sich für einen Marsch auf die Hauptstadt bereitzuhalten, um mit der „roten Revolution, an deren Spitze Michel Welter, der Feind des Öslings steht“, aufzuräumen. „Der Gewalt wird mit Gewalt entgegengetreten“, um die „Empörer in Uniform“19 niederzuringen. Laut Zeitzeugen wie Henri Koch-Kent hatte die damalige Situation das Potenzial in einen Bürgerkrieg20 zu münden.
„Es fiel ein Reif auf die vielverheißende Frühlingspracht“
Am 9.1.1919 kam es in Luxemburg-Stadt zur Ausrufung einer Republik mit dem durch ein Comité de salut public bestimmten liberal-demokratischen Politiker Emile Servais als Präsidenten. An diesem Tag fanden sich alle Strömungen der republikanischen Bewegung zusammen und forderten die sofortige Absetzung von Großherzogin Maria-Adelheid. Eine Demonstration mit bis zu 6000 Teilnehmern zog zusammen mit den Soldaten der Freiwilligenkompanie vor das Parlament und forderte die sofortige Ausrufung der Republik. Die Freiwilligen trennten ihre Kokarden ebenso wie die Insignien M.A. von ihren Uniformen ab. Die als besonders kämpferisch geltenden Arbeiter aus Esch wurden an der Anreise gehindert. Später am Tag setzte die Intervention der französischen Truppen ein. Der frühere französische Gesandte in Luxemburg Armand Mollard21 hatte sich unterdessen im Auftrag der am 23.12. vom französischen Außenminister desavouierten Reuter-Regierung erfolgreich bei der französischen Staatsführung für eine Lösung Charlotte und gegen eine fortschrittliche und sozialistisch orientierte Republik an der französischen Grenze eingesetzt. Mit diesem Schachzug sollten zudem Belgiens annexionistische Pläne vereitelt werden. Die Abstammung des Verlobten der späteren Großherzogin Charlotte, Felix von Bourbon, dessen Vater Robert I. von sich sagte „Wir sind französische Fürsten, die in Italien regiert haben“, scheint als Garant für die französischen Interessen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. Vergessen schien auf einmal, dass Felix als Kriegsfreiwilliger der k. u. k. Armee bei der gegen Russland gerichteten Rückeroberung der galizischen Festungsstadt Przemysl an einem der schlimmsten Blutbäder des 1.Weltkriegs aktiv teilgenommen hatte.
Weitere Gründe für das Scheitern der Republikaner lagen neben der Abdankung von Marie-Adelheid auch in ihrer Uneinigkeit, die sich in der Abspaltung eines Teils der Liberalen, denen das republikanische Experiment offenbar zu weit ging, manifestierte. Auch ein zweites, radikaleres Wohlfahrtskomitee konnte am 10.1. das Ruder nicht mehr herumreißen.
„Wir sind besiegt, aber wir verzagen nicht“
Der republikanische Geist verflog jedoch auch nicht nach dem Scheitern des Arbeiter- und Bauernrates bzw. der Action républicaine. Auch die nach der Niederschlagung der Republik einsetzende Repression gegen prominente Republikaner – so wurde beispielsweise Feldwebel Eiffes zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt – konnten hieran kaum etwas ändern. Die Ereignisse des Revolutionswinters 1918/19 wirkten noch lange nach. „So weigerten sich die sozialistisch geführten Gemeinderäte des Südens noch bis in die Dreißigerjahre“22 Großherzoginsgebuertsdag zu feiern.
Auch der Aufruf eines Teils der Republikaner, das am 28.09.1919 abgehaltene Referendum zu boykottieren, zeigte Wirkung. Den Ausgang kommentierte Die Volkstribüne wie folgt: „Schwer ins Herz getroffen ist die Dynastie durch das Resultat des Referendums. Es waren im Ganzen stimmberechtigt: 125.000. Es stimmten für die Großherzogin: 66.000. Republik: 17.000. Es enthielten sich: 35.000.“ Ein Drittel der abgegebenen Stimmen (stellenweise die Hälfte oder mehr) gerade unter der aufgeklärtesten Bevölkerung, ergriff offen Partei gegen den Hof. Das zweite Drittel der Stimmberechtigten enthielt sich der Wahl, weil die Sozialisten und ein großer Teil der Liberalen die Parole ausgegeben hatten, unter den gegebenen Bedingungen das Referendum nicht mitzumachen. „So daß schließlich kaum die Hälfte der großjährigen Einwohner, und unter ihnen der ganze Heerbann der öslinger Frauen u. Mädchen, es der Mühe wert erachteten, ihr Kreuz hinter den Namen der Kandidatin Charlotte zu setzen!“23
Die Überzeugung, dass der verlorene Kampf der Republikaner für eine demokratischere Gesellschaft nicht nur notwendig, sondern auch nicht umsonst war, geht aus folgendem, kurz nach den Ereignissen des 9. und 10.01.1919 niedergeschriebenen Satz hervor: „Wir sind besiegt. Aber wir verzagen nicht. Noch ist nicht aller Tage Abend. Wir kämpfen unverdrossen weiter für unser Endziel und für unsere Ideale.“24
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