Umweltjournalismus – raus aus der Nische!
Journalistische Berichterstattung im Zeitalter des Anthropozän
Es besteht heute kein Zweifel mehr: Der menschenbedingte Klimawandel und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen lösen momentan das sechste große Artensterben aus. Die Zahlen sind schwindelerregend: Aktuell sterben 1000 Mal mehr Arten aus als in den 64 Millionen Jahren bevor der Mensch die Erde besiedelte1, jedes Jahr verschwinden bis zu 58 000 Arten für immer und bis zu einem Drittel aller Wirbeltiere sind akut gefährdet2.
Wie ging der Journalismus bislang damit um? Die Antwort: kaum bis gar nicht. Laut The Correspondent handeln 99% aller Nachrichten nämlich von 0,01% der Lebewesen dieses Planeten: dem Menschen. Eine Programmanalyse der Medienanstalten der Länder ergab des Weiteren, dass auch bei ARD und ZDF nur jeweils rund 1% der Gesamtsendezeit auf Umweltthemen verwendet wird3.
Wirtschaftswunder versus Naturwunder
Im Gegenzug dazu erfreuen sich die Wirtschaftsseiten und Börsenberichte, ungeachtet der Tatsache, dass das darin vermittelte Wachstumsparadigma als ein Haupttreiber globaler Umweltveränderungen gilt, weiterhin einer regen Aufmerksamkeit.
Umweltthemen finden oft nur in Zusammenhang mit medialen Großereignissen wie UN-Klimakonferenzen den Einzug in die Berichterstattung. Obwohl viele soziale, wirtschaftliche und politische Themen einen direkten Bezug zu ökologischen Fragestellungen haben, werden sie oft unabhängig von diesen behandelt.
Zugegeben: die Berichterstattung über Umweltthemen ist eine journalistische Herausforderung. Der Niedlichkeitsfaktor von Fluginsekten ist gering und erschwert so die Produktion von publikumswirksamen Nachrichten über den Insektenschwund. Die wissenschaftlichen Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Artensterben sind komplex, kaum personifizierbar und letztlich schwer in eine lesefreundliche Sprache zu übersetzen.
Kurz: es ist schwer, mit grünen Themen schwarze Zahlen zu schreiben.
Umso einfacher ist es, Katastrophenszenarien darzustellen. Bilder von Waldbränden – eine Folge des Klimawandels – mit brennenden Villen von Prominenten appellieren auf direktem Wege an Emotionen. Ebenso findet der Verlauf der Demonstrationen der sogenannten Gilets jaunes eher Einzug in die Medien als Hintergrundinformationen zu Sinn und Zweck der von ihnen bekämpften Ökosteuer.
Umweltjournalismus als nachhaltiger, konstruktiver Journalismus
Ändern wollen dies Journalist*innen, die sich den „grünen Journalismus“ auf die Fahne schreiben. Ihr Ziel: Nachhaltigkeit als transversales und permanentes Thema über Ressortgrenzen hinaus zu etablieren, um so einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Dieser Umweltjournalismus versteht sich nicht als Lifestyle-Journalismus unter einem grünen Mäntelchen – sondern als lösungsorientierter Journalismus, der positive Veränderungsmöglichkeiten aufzeigt, ehe es zu spät ist.
So ist z.B. das Portal www.gruener-journalismus.de, ein Projekt des Instituts für Kommunikation und Medien der Hochschule Darmstadt, 2014 gestartet. Es präsentiert sich als „journalistisches Forum für Umwelt- sowie Nachhaltigkeitsthemen“ und „Vermittler neuer Darstellungs- und Erzählideen, mit denen relevante Zukunftsthemen spannend umgesetzt werden können“, und liefert Ideen für Texte und Informationen zu Weiterbildungen sowie Ergebnisse von neuen Studien und Fachdebatten.
Komplementär dazu hat sich im Studiengang Wissenschaftsjournalismus der Technischen Universität Dortmund das Projekt ‘Mediendoktor Umwelt’ (http://www.medien-doktor.de/umwelt/) entwickelt, ein Angebot von Journalisten für Journalisten, um die Qualität des Umweltjournalismus zu verbessern. Der Mediendoktor bewertet, ob Beiträge Umweltprobleme aufbauschen oder verharmlosen, kontrolliert Quellentransparenz, berücksichtigt unterschiedliche Standpunkte sowie journalistische Umsetzung und Verständlichkeit.
Ein interessantes unabhängiges Online-Magazin zum Klimawandel und dessen politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Folgen findet sich unter www.klimareporter.de. Nachhaltige Entwicklung ist ebenfalls ein wichtiger Themenkomplex für die www.riffreporter.de.
Auch in der Printabteilung tut sich etwas: Im Sommer 2018 erschien die erste Ausgabe von FUTURZWEI, ein Vierteljahresmagazin der taz und der Stiftung Zukunftsfähigkeit, mit der sozialökologischen Wende als Kernthema.
Ein weiteres Magazin für den gesellschaftlichen Wandel im deutschsprachigen Raum ist enorm – eigenen Aussagen nach „konstruktiv, intelligent und lösungsorientiert“ oder das Magazin Oya, welches sich für „einen Wandel in der Kultur hin zu einem ökologisch nachhaltigen Lebensstil und lebensfördernden Werten“ einsetzt. Dazu kommen Sonderseiten wie ‘Grüner leben’ in Die Zeit oder ‘Grüne Revolution’ in der Süddeutschen Zeitung.
Haltung ohne Ideologie
Das mediale Ergrünen stellt den Journalismus aber nicht nur vor die Aufgabe, spannende Geschichten statt platte Statistiken zu vermitteln, sondern fordert vor allem das Neutralitätsgebot des Journalismus heraus. Umweltjournalismus ist de facto in einen normativen Kontext eingebettet; hier wird Haltung erwartet – aber darf, ja muss, angesichts der aktuellen Gefahrenlage nicht auch eine klare Haltung eingefordert werden?
In diesem Sinne kann man Umweltjournalismus als einen interdisziplinären investigativen Journalismus begreifen, der seine klassische Wächterrolle ausübt, um zukunftsrelevante Probleme aufzudecken, hierbei politische, wirtschaftliche und soziale Themen auf Nachhaltigkeit hin abklopft und Themen selber setzt.
Hierfür nötig sind Fachkompetenz, die übliche publizistische Sorgfaltspflicht, die den Vorwurf eines voreingenommenen Aktivismus entkräften kann, sowie Transparenz in Bezug auf die Werte, an denen sich orientiert wird. Unter solchen Voraussetzungen kann Umweltjournalismus seinen dem Gemeinwohl verpflichteten Beitrag zu einer guten Zukunft für alle leisten, menschliche und nicht-menschliche Lebewesen eingeschlossen.
- De Vos, J. M., Joppa, L. N., Gittleman, J. L., Stephens, P. R. and Pimm, S. L. (2015), Estimating the normal background rate of species extinction. Conservation Biology, 29: 452-462.
- Dirzo, R., Young, H., Galetti, M., Ceballos, G., Isaac, N., & Collen, B. (2014). Defaunation in the Anthropocene. Science, Science , 345 (6195) 401 – 406. (2014).
- https://www.riffreporter.de/flugbegleiter-koralle/luege-umweltfreundliche-deutsche/
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