Zwänge eines kleinen Staates im Bereich des Steuersystems und der Steuereinkünfte

Nach den Bestimmungen des Paragrafen 1 der luxemburgischen Abgabenordnung sind Steuern einmalige oder laufende Geldleistungen. Sie stellen keine Gegenleistung für etwas Spezifisches dar und werden von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen allen Bürgern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen und damit als steuerpflichtig angesehen werden, zur Erzielung von Staatseinkünften auferlegt.

Artikel 99 der Verfassung sieht vor, dass eine Steuer zugunsten des Staates nur durch Gesetz eingeführt werden darf, während Artikel 100 eine alljährliche Bewilligung durch das Haushaltsgesetz für die Fortführung der Erhebung der Steuern voraussetzt. Die Befugnisse betreffend die kommunalen Steuern sind in verschiedenen Gesetzen geregelt, die auch den Gemeinderäten der jeweiligen Gemeinden ein gewisses Mitspracherecht einräumen.

Eine zunehmende Rolle spielt auch die internationale Komponente, insbesondere das normative Recht der Europäischen Union (EU). Zwar ist in steuerlichen Belangen Einstimmigkeit im Ministerrat der EU erforderlich, doch dieser Schutzwall wird abgeschwächt durch den wachsenden und nicht zu unterschätzenden politischen Druck der anderen EU-Staaten und des Europaparlaments, sowie durch die Befugnisse der Europäischen Kommission und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Steuern sind kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, die Ausgaben der öffentlichen Hand zu finanzieren. Beschränkten sich die Ausgaben im 19. Jahrhundert noch auf hoheitliche Aufgaben wie die öffentliche Sicherheit, so wurde mit dem Ausbau des Sozialstaates ein Mehrfaches benötigt. Mittlerweile sind hohe Investitionen in den Bereichen der Familienpolitik, Bildung, Gesundheit, Umwelt sowie Forschung, Innovation und Digitalisierung hinzugekommen.

Historische Entwicklung

Nach der Einverleibung Luxemburgs durch Frankreich wurde 1795 die französische Steuergesetzgebung eingeführt, während die österreichischen Steuern, einschließlich des Zehnten sowie anderer feudaler Abgaben, abgeschafft wurden. Einzelne Gesetze im Bereich der Enregistrement-Gebühren aus dieser französischen Zeit sind noch heute in Kraft.

Am 19. April 1839 wurde in London der internationale Vertrag unterzeichnet, durch den die heutigen Grenzen von Luxemburg geschaffen wurden und die Unabhängigkeit Konturen annahm. Infolgedessen wurden nach und nach die großen staatlichen Verwaltungen gegründet, darunter u.a. die Enregistrement- und die Steuerverwaltung, die für die Festsetzung und die Erhebung der verschiedenen Steuern zuständig wurden. Im Bereich des Zolls wurde verfügt, dass Luxemburg in den Zollverein, eine preußisch dominierte Zollunion, aufgenommen wurde. Da nach dem 1. Weltkrieg die Zollunion mit Deutschland untragbar geworden war, ging das Land am 25. Juli 1921 eine Wirtschaftsunion mit Belgien ein.

Nach der Besatzung Luxemburgs durch die Nazitruppen wurde Luxemburg durch Verordnungen des Chefs der Zivilverwaltung auch die deutsche Steuergesetzgebung aufgezwungen. Durch großherzoglichen Beschluss vom 26. Oktober 1944 wurde nach dem Krieg fast die gesamte Steuergesetzgebung aus der Nazizeit bis auf Weiteres übernommen. Seitdem wurden, neben einer ganzen Reihe von mehr oder wenigen politischen oder technischen Textanpassungen, nur das Einkommensteuergesetz vom 4. Dezember 1967 vom Deutschen ins Französische übersetzt, und das Mehrwertsteuergesetz vom 5. August 1969 trat in Folge der europäischen Harmonisierung an die Stelle der Umsatzsteuergesetzgebung.

Allgemeine Überlegungen zu den Zwängen eines Kleinstaates

Einerseits kann man Luxemburg nicht mit anderen Kleinst- oder Mikrostaaten wie Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino oder dem Vatikan vergleichen, andererseits ist Luxemburg wirtschaftlich gesehen stärker vom Ausland abhängig als mittlere oder größere Länder. Mikrostaaten mit einer sehr beschränkten Einwohnerzahl, die eine privilegierte Bindung zu einem größeren Staat genießen, sind nicht den gleichen Problemen wie ein kleiner unabhängiger Staat wie Luxemburg ausgesetzt. Da ein Kleinstaat in vielen Gebieten jedoch nicht die erforderliche kritische Masse besitzt, ist Luxemburg auf den Sachverstand der Nachbarstaaten angewiesen. Dies trifft auch auf das Steuer­system zu. Ausländische Wissenschaftler mit ihrer jeweiligen Rechtslehre oder politische Vordenker sind meistens auch Vorreiter für die Ausarbeitung gleicher oder ähnlicher Regeln bzw. Gesetze in Luxemburg. Auch in der Steuerwissenschaft inspiriert sich Luxemburg an ausländischen Denkschulen. Große Namen, die das luxemburgische Steuerrecht geprägt haben, sind u.a. Louis Trotabas aus Frankreich und Klaus Tipke aus Deutschland. Aufgrund der Vorarbeiten von Maurice Lauré wurde die Mehrwertsteuer 1954 in Frankreich und 16 Jahre später auch in Luxemburg eingeführt. Die vorgesehene Reform der Grundsteuer in Deutschland wird rezent auch in Luxemburg genauestens verfolgt.

Einen ähnlichen Einfluss gibt es im Bereich der Rechtsprechung anderer Staaten auf die Auslegung luxemburgischer Steuergesetze. Insbesondere Urteile des Bundesfinanzhofes in München haben des Öfteren eine Neuauslegung luxemburgischer Gesetze mit sich gebracht.

Luxemburg versucht jedoch auch spezifische, eigene Steuerregeln in sein Steuersystem zu integrieren. Dieser Vorteil eines Kleinstaates und der damit einhergehende Erfolg provoziert oftmals die Missgunst anderer Staaten. Nehmen wir die Holdinggesetzgebung vom 31. Juli 1929 betreffend die Befreiung der Holdinggesellschaften von den direkten Steuern unter gewissen Bedingungen. Lange Zeit stellte dieses Gesetz kein größeres Problem dar, bis Ende der neunziger Jahre die EU und die OECD sich der schädlichen Steuerkonkurrenz zwischen den Staaten zuwendeten. Das definitive Aus des Gesetzes über die Holdinggesellschaften kam 2011 in der Folge dieser Arbeiten.

Die spezielle Lage Luxemburgs

Die Entwicklung der Stahlindustrie mit der Gründung der ARBED am 30. Oktober 1911, die Bildung einer Interessengemeinschaft mit dem Unternehmen Terres Rouges im Februar 1926 sowie die zunehmende Einwanderung bescherten Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine erste Phase des Wohlstandes. Dieser begünstigte nicht nur zahlreiche Unternehmensgründungen, darunter u.a. die von RTL am 30. Mai 1931, sondern sicherte dem Staat entsprechende, von Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen geleistete Steuereinkünfte.

Mit der beginnenden Krise der Stahlindustrie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde mit dem Finanzsektor, bestehend aus Banken, Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaften, der Investmentfondsindustrie, den SOPARFIS (Sociétés de participations financières) und anderen Unternehmen aus dem Finanzbereich ein zweites wirtschaftliches Standbein aufgebaut. Viele dieser Akteure kamen jedoch nicht nur aus steuerlichen Gründen nach Luxemburg, schließlich gab es auch in anderen Ländern eine ganze Reihe ähnlich vorteilhafter Gesetzgebungen.

Luxemburg war jedoch vor allem wegen seines Bankgeheimnisses jahrelang politischem Druck ausgesetzt. Das Gesetz vom 8. August 2000 über die internationale Rechtshilfe (einschließlich Steuerstraftaten betreffend Bankauskünfte) basierend auf einem Gesetzesentwurf vom 9. Juli 1997 war der erste Schritt in Richtung einer Lockerung des Bankgeheimnisses. Infolge des internationalen Drucks wurde das Gesetz vom 31. März 2010 über den internationalen Informationsaustausch zwischen Steuerverwaltungen, Bankinformationen eingeschlossen, verabschiedet. Derzeit besteht das Bankgeheimnis noch zwischen Steuerverwaltung und inländischen Banken im Bereich der luxemburgischen Steuerfestsetzung.

Diese Bastion des Bankgeheimnisses zusammen mit der Einführung der Quellensteuer auf Zinsen, der Abschaffung der Vermögensteuer, der weiterhin bestehenden Befreiung der Einkünfte aus Investmentfonds, der Befreiung des Wertzuwachses bei Veräußerungen von Gesellschaftsbeteiligungen in den meisten Fällen und der großzügigen (Nicht-)Besteuerung der Stock-options machen Luxemburg attraktiv für physische Personen, die sogenannten „High Net Worth Individuals“ (HNWI) und deren Gesellschaften.

Ein Trumpf von Kleinstaaten, der stets von vielen Ausländern gelobt wird, ist der der ‚kurzen administrativen Wege’, die auch im Steuerbereich eine Rolle spielen. Jede natürliche Person, jedes Unternehmen und jeder Steuerberater kann bei seinem Steuerinspektor vorsprechen, um die benötigten Informationen zu erhalten. Die Vorabentscheidungen (‚rulings’) spielen sich auch in diesem Rahmen ab, entfachten jedoch eine eigene Dynamik. Im selben Moment (Mitte 2014), in dem die weltweite Empörung durch „LuxLeaks“ um sich griff, waren auch die Vorarbeiten in Luxemburg so weit abgeschlossen, um diese Praxis stärker zu reglementieren.

Außerdem konnte Luxemburg mit der Entwicklung des Online-Handels durch den niedrigsten Mehrwertsteuersatz in der EU eine weitere Nische besetzen, die aber durch neue europäische Regelungen schon wieder der Vergangenheit angehört.

Ein Sektor, in dem Luxemburg von Nichtansässigen Steuereinkünfte bezieht, ist der sogenannte Tanktourismus. Durch niedrigere Steuersätze der Akzisen und die geringe Mehrwertsteuer auf Ölprodukte, Tabak, Alkohol und Kaffee sind die Steuereinkünfte in einem beträchtlichen Maße höher, als wenn die Tankstellen nur von ansässigen Kunden leben würden.

Das Wachstum des Kleinstaates im Herzen von Westeuropa hat durch die Ansiedlung zahlreicher Unternehmen gleichzeitig die Beschäftigungsraten und die Zahl an ausländischen Ansässigen und Grenzgängern in die Höhe schnellen lassen. Der stark entwickelte Sozialstaat mit seinen unentbehrlichen Steuereinkünften, kann sich nicht erlauben, die Wirtschaft zu drosseln, ohne substantielle Einbußen bei den Subventionen im sozialen Bereich hinzunehmen.

Der überdimensionierte Finanzsektor

Einzelne Staaten und internationale Organisationen werfen Luxemburg auf Basis von makroökonomischen Daten vor, dass der Finanzsektor in einem disproportionierten Verhältnis zur Einwohnerzahl und dem Bruttoinlandsprodukts (BIP) stehe. Die Unternehmenssteuern belaufen sich, so die Daten von Eurostat, auf folgende Prozentsätze: EU: 2,7% des BIP (Belgien, 4,2%; Deutschland: 2,7%, Frankreich: 2,9%). In Luxemburg beträgt der Prozentsatz 5,2% (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Vermögensteuer). Mit dem Hinzufügen der Abonnementsteuer (bezahlt durch die Investmentfonds) kommen wir auf einen Prozentsatz von 6,8. Nach der Statistik des Finanzministeriums stammen ganze 77,7% (2,9 Milliarden) von diesem Prozentsatz von 6,8 aus dem Finanzsektor. Damit ist der Prozentsatz der Steuern, der aus dem stark volatilen Finanzsektor stammt, im Vergleich zu anderen Staaten überproportional hoch und damit nirgends ausgeprägter als hierzulande. Obschon sich die Politik der Problematik bewusst ist (u.a. Rifkin-Prozess), sind die ergriffenen Maßnahmen zu zaghaft, um die ökonomische Wichtigkeit des Finanzsektors zurückzuschrauben.

Hinzu kommen die Steuereinnahmen aus der Kapitalertragsteuer, der Lohnsteuer, der Mehrwertsteuer und anderer Steuerarten. Nicht zu vergessen sind die Steuern, die von anderen Sektoren beglichen werden, die direkt oder indirekt mit dem Finanzsektor zusammenhängen, also die der Unternehmensprüfer, der Rechtsanwaltskanzleien, der Beratungs- und Steuerberatungsfirmen, der Informatiker, der Bauunternehmen usw.

Diese Beschreibung mit den entsprechenden Zahlen beweisen, dass die monolithische Struktur der Wirtschaft des Großherzogtums und die Abhängigkeit des Staatshaushaltes und der Einkünfte der Gemeinden vom Finanzsektor für einen Kleinstaat ein nicht zu unterschätzendes Risiko bedeuten.

Der internationale steuerliche Kontext

Für einen Staat wie Luxemburg, dessen Wirtschaft so international vernetzt ist, spielt das internationale Steuerrecht notgedrungen eine herausragende Rolle. Es ist nicht die Aufgabe der EU, die direkten Steuern in den einzelnen EU-Staaten zu harmonisieren, sondern nur dort einzugreifen, wo gegebenenfalls steuerliche Regeln zu ändern wären, die ein Hindernis für den EU-Binnenmarkt darstellen. Eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes hat somit direkt oder indirekt Änderungen an der Gesetzgebung Luxemburgs mit sich gebracht, so z.B. Schumacker C-279/93 über die Besteuerung der Grenzgänger oder Denkavit C-283/93 betreffend die Besteuerung der Dividenden. Für einen Kleinstaat kann dies auch substantielle budgetäre Auswirkungen haben.

Zurzeit wird sowohl in der EU als auch auf nationaler Ebene intensiv über die Einstimmigkeitsregel im Ministerrat der EU diskutiert. In der diesjährigen März­ausgabe von forum (S. 40) wird EU-Kommissar Pierre Moscovici, zuständig für Steuerfragen, zitiert: « (…) ce système risque de mettre dans la minorité ce qu’on appelle ‹ les petits pays ›. Mais le Luxembourg n’est pas un petit pays. » Tatsache bleibt aber, dass größere Staaten mehr Macht haben, etwas zu bewegen (mit oder ohne Einstimmigkeit) als Kleinstaaten.

Multilateralen Initiativen wie BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) sowie den Missbrauchsbekämpfungsrichtlinien, der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und der Digitalbesteuerung könnten größere Erfolge beschieden sein, auch wenn es längere Zeit braucht, bis sie spruchreif sind, weil sie gemeinsam angegangen werden.

Schlussfolgerung

Gesetzgebungen wie die von 1929 über die Holdinggesellschaften oder die Abschaffung des Bankgeheimnisses machen deutlich, dass Luxemburg sich nur bewegt hat, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. Man gibt sich zufrieden, wenn das Triple A aufrechterhalten wird, das die gesunden Staatsfinanzen bezeugt, und wenn die internationalen Organisationen Luxemburg ansonsten ein gutes Zeugnis ausstellen. Mittlerweile hat man aber auch erkannt, dass man als Land nur kurzfristig von Steuernischen profitieren kann, und zwar so lang, bis die EU und die OECD die Nischen wieder schließen. Vor diesem Hintergrund kann eine proaktivere Haltung zu Lösungen beitragen, die Luxemburg am Ende noch nicht einmal weniger Steuereinnahmen bescheren. Die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen bringt einem Kleinstaat wie Luxemburg viele Vorteile, doch das Land muss mitspielen und Mindestregeln beachten.

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