Das Schweigen der Nordstad
Übergangene Stadtentwicklung an der Flussmündung
In der Region Nordstad, dem dritten Entwicklungspol neben der Hauptstadt und Esch/Alzette, haben Fusionsgespräche die politische Dynamik seit kurzem beträchtlich verstärkt. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag auf zwei Aspekte der städtebaulichen Entwicklung hingewiesen, die einem harmonischen Zusammenwachsen in der Nordstad entgegenwirken. Der erste Aspekt ist der seit zwölf Jahren schwelende und immer noch abwesende Systementscheid um das geeignetste öffentliche Nahverkehrsmittel auf der Achse Ettelbrück-Diekirch im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes der ‚zentralen Achse Nordstad‘ (ZAN). Consensus oblige, ufert dieser Konflikt in doppelte und konkurrierende Systeme aus. Weniger augenfällig ist eine verschwiegene Fehlentwicklung, vielmehr ein verhindertes Entwicklungspotenzial, das die Stadt Ettelbrück gleichsam in Fesseln legt. Der Hintergrund: Ein misslungenes Entwicklungsprojekt am Ettelbrücker Bahnhof.
Moutarde après dîner? Seit zwei Jahren befindet sich dieses Projekt schon in der Ausführungsphase, es wird allerdings frühestens im Jahr 2026 abgeschlossen sein. In Business as Usual-Manier der Nuller Jahre geplant, werden die damaligen Vorstellungen eine Generation später zur Wirklichkeit. Wie dieses Projekt zustande kam und was es verhindert, ist Gegenstand dieses Beitrags.
Die Nordstad-Vision
Im Mai 2007 wurde im Rahmen der Nordstad-Konvention als Resultat eines städtebaulichen Wettbewerbs1 zur zukünftigen Entwicklung der ‚zentralen Achse‘ unter fünf Modellprojekten2 eines ausgewählt (Team 5), das als Rahmenplanung für die Stadtentwicklung der Tallagen zwischen den Gemeinden Ettelbrück, Erpeldingen und Diekirch dienen sollte. Dessen westlicher Teil am Zusammenfluss von Sauer und Alzette sollte einen Schwerpunkt der städtebaulichen Entwicklung mit vielfältigen urbanen Funktionen bilden. Hohe Bedeutung kam an diesem zentralen Ort dem Konzept der kurzen Wege mit der für dringend erforderlich gehaltenen Erschließung durch den Fuß- und Radverkehr zu, einer verbesserten Zugänglichkeit der Flüsse sowie einer Nutzung der Flussauen als Naherholungsgebiet. Auch „Wohnen am Wasser“ sollte mittels Ausbildung einer vor Hochwasser schützenden Sauer-Insel möglich werden.
Als Leitmotiv diente die Vorgabe, die beiden historisch gewachsenen Zentren von Diekirch und Ettelbrück einander näher zu bringen. Wesentlich war die Forderung nach einer engen Verknüpfung der Siedlungsentwicklung mit den bestehenden Ortszentren. Dabei sollte sich das Areal um den Bahnhof Ettelbrück mittels einer Unterquerung dem Umland öffnen und so die Trennung zwischen Stadt, Bahnhof und dem Mündungsbereich von Alzette und Sauer überwinden.
Diese Zielsetzung wurde denn auch in den Masterplan aufgenommen. Im Vorfeld waren in Planungswerkstätten Gemeinden und Bürger motiviert worden, die strategische Entwicklung mitzugestalten. Wie ein Beteiligter hervorhob, war der Prozess der Bürgerforen und Strategiekonferenzen von einem optimistischen Elan begleitet und führte besonders unter den Gemeindeverantwortlichen zu einer beachtenswerten Bewusstseinssteigerung in städtebaulichen Fragen.
Zug oder nicht Zug
Dem Aufbruch folgte im Herbst 2007 die Ernüchterung. Der Streit entspann sich auf Druck der stark korporatistisch organisierten Eisenbahngewerkschaften um die in der Leitplanung zur Disposition stehende Bahnstrecke zwischen Ettelbrück und Diekirch. Hatten der damalige Transportminister Lucien Lux (LSAP) und die nationale Eisenbahngesellschaft CFL sich bereits mit dem Abbau arrangiert, so änderten sich die Fronten nun schlagartig. Die hochsensible Mobilitätsfrage auf der ‚zentralen Achse‘ war nach Auffassung der Eisenbahnbefürworter im Planungsprozess zu vage behandelt worden. Die ergebnisoffene Haltung war auch eine Folge der nach den Gemeindewahlen von 2005 in dieser Frage konzilianteren Diekircher Führung aus CSV und Grünen.
Viele Planungsbeteiligte quittierten daher den Entschluss von Transportminister Lux mit Entsetzen, die Bahnlinie zu erhalten, da gerade die Trennwirkung der klassischen Eisenbahntrasse die Planungen unmöglich zu machen schien. Eine auf Rasengleisen verkehrende Train-Tram-Kompromisslösung kam nicht zustande, da die CFL auf nationaler Ebene diese Option inzwischen abgeschrieben hatte. Der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV) sprach von einer aussichtslosen Lage, als er Lux Anfang 2008 in einer parlamentarischen Anfrage bat, seinen Gesinnungswandel zu erklären. Auch unter den hohen Beamten war nun das Arbeitsklima vergiftet. Flugs kam Lucien Lux mit dem damaligen Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) überein, den Systementscheid der nächsten Regierung zu überlassen.
Die Vision kippt
Trotz der Querelen um die Stichbahn wird am 22. Mai 2008 die Resolution zum Masterplan von den sechs Nordstad-Gemeinderäten gutgeheißen3. Damit war man der städtebaulichen Integration der Nordstad ein Stück nähergekommen. Die Einbeziehung von fünf der CFL gehörenden Grundstücken zwischen den Gleisanlagen und dem Zusammenfluss von Alzette und Sauer sowie von Arealen auf Erpeldinger Gebiet mit einer Gesamtgröße von 5,8 Hektar waren dazu eine Voraussetzung im westlichen Kerngebiet der ‚zentralen Achse‘.
Genau vier Monate später stellte Transportminister Lux dann anlässlich der Mobilitätswoche im Ettelbrücker Rathaus ein Projekt vor, das eine tiefgreifende Modernisierung des örtlichen Bahnhofsgeländes in Aussicht stellte. Es ging um den Umbau des Straßennetzes, Parkraum für Pendler, einen neuen Busbahnhof sowie die Modernisierung des Bahnbetriebs mit einem neuen oder umgebauten Bahnhofsgebäude und barrierefreien Bahnsteigunterführungen. Unter Leitung des Ersten Regierungsrats Frank Reimen sollte die Arbeitsgruppe „Mobilité Nordstad“ dieses Projekt ausarbeiten.
Der daraus resultierende Entwurf trug den vielversprechenden Namen Pôle d’échanges multimodal de la gare d’Ettelbruck und war ein Gemeinschaftsprojekt der CFL und der Straßenbauverwaltung4. Das Gesamtpaket hatte die seit langem anstehende Erneuerung des Bahnbetriebs mit neu aufgelegten Straßenbauprojekten vermengt. Obwohl man sich auf den Masterplan berief, wurde dieser durch das nun vorliegende Konzept zur Makulatur: Von der Integration der betreffenden CFL-Grundstücke war nicht nur keine Rede mehr, auch künftige Entwicklungen an diesem Ort im Sinne des Masterplans waren mehr als fraglich.
Fast entschuldigend meinte der Ettelbrücker Schöffenrat5, dass die CFL die notwendigen Ländereien nicht kurzfristig6 hätte zur Verfügung stellen können. Auch käme wegen Platzmangels keine Unterführung der Gleise in Frage, wobei dieses Argument dem nun in den Planungen auftauchenden Autotunnel entlang der Gleise nicht zum Verhängnis wurde. So profan wurde die demokratisch legitimierte Planungsvorgabe verabschiedet. Von keiner Seite wurde ein Moratorium gefordert, da ja offensichtlich nur von einer zeitlichen Inkongruenz die Rede war. Die Presse blieb stumm.
Intermezzo: Was ist ein Masterplan?
Die jetzt vorliegende Ausgestaltung des Bahnhofsprojektes wird meist als Folge eines unausgereiften Masterplans erklärt. Diesen Eindruck zu erwecken ist unsinnig, da es sich bei einem Masterplan nicht um ein kurzfristig umzusetzendes „Bauprojekt“ handelt, sondern um eine Rahmenplanung, mit der stadtplanerische Strategien entwickelt und Handlungsvorschläge erarbeitet werden. Die konkrete Projektplanung der Wohnareale in Flussnähe zum Beispiel wäre so wahrscheinlich im Rahmen von Studien, die bereits vorgesehen waren, wegen neuer Erkenntnisse der Hochwasserproblematik angepasst worden. Übrigens stimmten alle fünf Teams des Wettbewerbs von 2007 mit dem Konzept der stadtnahen Urbanisierung im Mündungsgebiet überein, wenn auch mit abweichender Akzentsetzung.
Die unzugängliche Flussmündung
Mit dem Transportministerium war auch die Eisenbahngesellschaft indirekt Teil des Expertengremiums, welches den Planungsprozess ab dem Jahr 2006 begleitete. Projektideen wurden so im Frühstadium mit allen Teams diskutiert, um sicherzustellen, dass die Planungen allen Aspekten gerecht wurden. Die CFL hätte jederzeit die Zusage widerrufen können, ihre Grundstücke an der Flussmündung in die Planungen einzubringen. Dies geschah erst später, nachdem der gesamte planerische und partizipative Prozess abgeschlossen war. Fragt man heute nach den Ursachen dieser Kehrtwendung, so gibt sich die CFL zugeknöpft. Mehrere Ursachen liegen nahe. Abgesehen von der verfahrenen politischen Lage führen Beteiligte die Sorge der CFL um weiterhin benötigte Lagerkapazitäten für Schüttgüter an der Gleissüdseite an. Verhandlungen mit dem Staat wurden zwar geführt, doch ein Vorprojekt zum Umzug der Lagerstätte auf einen Ort zwischen den Bahnhöfen Colmar und Cruchten wurde nicht weiterverfolgt.
Auch wirtschaftliche Erwägungen dürften eine Rolle gespielt haben. Angenommen der Masterplan hätte den CFL-Grundstücken in den Augen der Immobiliensparte der CFL (CFL-Immo) zu wenig hochrentable Bürofläche zugeordnet, so hätte dies nach Verhärtung der Fronten wohl eher zu verschwiegener Ablehnung als zu Protest geführt.7 Fakt ist, dass die im Herbst 2008 hereinbrechende Finanzkrise einen Renditeneinbruch bei langfristigen Immobilienprojekten erwarten ließ. Spätestens hier wäre es Rolle des Staates gewesen, mit der CFL die Lage zu erörtern und gegebenenfalls der Eisenbahngesellschaft einen Immobilientausch anzubieten8, wohlwissend, dass die CFL zu 94% dem Staat gehört und dass dieser ein Vorkaufsrecht9 auf die in Frage kommenden Ländereien hat.
Der Triumph des Bahnhofsprojekts
Die rasche Entscheidung für das Bahnhofsprojekt war auf den hohen Grad an Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung des Masterplans zurückzuführen. Als der Masterplan im Bereich der ‚zentralen Achse‘ als nicht mehr realistisch angesehen wurde, löste dies einen Handlungsdruck aus, „liefern“ zu müssen, umso mehr, als die Unverträglichkeit der beiden Planungen kaum öffentlich wahrgenommen wurde. Nun stimmte auch der Ettelbrücker Schöffenrat zu und der damalige Bautenminister Claude Wiseler (CSV) bekräftigte, nur dieses eine Projekt käme in Frage oder es gebe überhaupt nichts10. Bloß die lokalen Grünen wiesen noch auf die Nichteinbeziehung der besagten CFL-Gelände hin. Als ein Jahr später François Bausch (déi gréng) zuständiger Minister wurde, befanden die Grünen jedoch, dass aus Gründen des fortgeschrittenen Planungsstadiums jede Auflehnung gegen das Bahnhofsprojekt zwecklos und unzumutbar sei. Als „echte Revolution“11 und „durchdachtes Qualitätsprojekt“12 wurde das Vorhaben nun betitelt. Bei der Abstimmung der Gesetzvorlage 6734 zum Großprojekt im Dezember 2014 waren lediglich drei ADR-Abgeordnete dagegen, und dies vordergründig aus Protest gegen den erforderlichen Abriss des Bahnhofsgebäudes.
Urbanistischer Rückblick
Seit dem Jahre 1914 verläuft die Staatsstraße nach Diekirch im nördlichen Bogen aus Ettelbrück über die damals errichtete gemischte Stein- und Eisenbrücke beim heutigen Patton-Denkmal. Diese Brücke war notwendig geworden, nachdem ein zweites Eisenbahngleis13 die Eisenbahnquerung in geradliniger Fortsetzung der heutigen Avenue J.F. Kennedy nahe einer früheren Sauerbrücke14 unmöglich machte.
Warum dieser historische Ausflug? Umwege und Steigungen waren für die damaligen unmotorisierten Verkehrsteilnehmer eine Last. Effektiv war die ‚zentrale Achse‘ des 19. Jahrhunderts mit weiterem Verlauf über die heutige „rue du Viaduc“ in Ingeldorf sehr geradlinig. Im Masterplan vorgesehene querende Fuß- und Radwege im Mündungsgebiet wären heute vergleichbar kurz und würden binnen kurzer Zeit zentrale Orte einer belebten und zukunftsträchtigen Stadterweiterung erschließen.
Die Konsequenzen des Bahnhofsprojekts
Nachdem die Masterplanung im Ettelbrücker Bahnhofsareal als gescheitert galt, trat ein erstaunlicher Diskurs- und Paradigmenwechsel ein. Urbanisten hatten augenfällig das Heft an die „Macher“ abgegeben. Von einer Öffnung der Stadt zur Landschaft sprach niemand mehr, umso mehr von Verkehrsverflüssigung und Schülern, die zu Spitzenzeiten den Verkehr auf Fußgängerüberwegen übermäßig verlangsamten, sowie von der Verkehrslösung per se: nämlich einen wenig effizienten Einbahn-Ringverkehr durch eine Verkehrsführung in T-Form zu ersetzen. Nachfolgend werden die Auswirkungen der einzelnen, im Rahmen des Bahnhofsprojektes beschlossenen Teilprojekte beleuchtet.
Der Straßentunnel
Das 500 Meter lange Bauwerk, 350 Meter davon volluntertunnelt, löst keine Verkehrsprobleme. Der Vorzug der flüssigeren Fortbewegung wird durch ein Plus an Verkehr wegen gesteigerter Attraktivität wettgemacht. Oben entsteht ein verkehrsberuhigter Raum in direkter Bahnhofsnähe, doch wegen der Kürze des Tunnels werden ganze 30% der Wegstrecke durch städtebaulich abstoßende und lärmige Ein- und Ausfahrten verunstaltet. Der Bau macht den Abriss des historischen Bahnhofsgebäudes notwendig. Für Ettelbrück ist das ein Unding, da die Gemeinde der Eisenbahn buchstäblich ihr Werden zur Stadt verdankt. Ein 160 Jahre altes Baudenkmal weicht dem Individualverkehr in einer Zeit, wo es jedem dämmert, dass eine Verkehrswende unvermeidbar ist. Dabei geht es nicht darum, ob das Gebäude veraltet, abgenutzt und zum jetzigen Zeitpunkt eine klägliche Figur abgibt. Fakt ist, dass die äußere Bausubstanz intakt ist und mit Leichtigkeit in ein modernes Ensemble hätte integriert werden können. Die damalige Kulturministerin Maggy Nagel (DP) bestätigte unumwunden die parlamentarische Anfrage ihres Parteikollegen, Abgeordneten und Kenners der lokalen Geschichte André Bauler15, ob der Abriss keine Verarmung des historischen Erbes darstelle, mit der Aussage, dass das fortgeschrittene Stadium des Bauprojektes keine andere Wahl zulasse. Der Tunnel neben den Gleisen stellt eine zweite Barriere zur Landschaft her und schränkt damit das Entwicklungspotenzial ein. Sollte man sich eines Tages doch zur Urbanisierung des Areals südlich der Gleise entscheiden – man erinnere sich: die Grundstücke seien kurzfristig nicht verfügbar –, vereitelt der Tunnel auf einem halben Kilometer die Möglichkeit, die Gleisanlagen zu unterqueren.
Die Modernisierung der Bahnanlagen
Die Erneuerungsarbeiten sind zweifellos begrüßenswert. Unverantwortlich ist aber, dass nicht gleichzeitig für eine fußläufige und fahrradfreundliche Unterquerung der Gleise mit der Möglichkeit einer späteren Verlängerung in Richtung des sogenannten Erpeldinger Dreiecks gesorgt wurde. Dies später nachzuholen, dürfte schwierig sein. Eine radfreundliche Unterquerung benötigte aus sicherheitstechnischen Gründen platzaufwendige, flache Steigungswinkel im Eingangsbereich neben dem Bahnhofsgebäude. Raum, der wegen des Straßentunnels nicht mehr zur Verfügung steht. Man bedenke, dass das Bahnhofsgelände über einen völlig ebenen Radweg ganze zwei Fahrradminuten (650 Meter) vom Erpeldinger Dreieck entfernt läge, wo ein bestehender Radweg den Kreisel unterquert. Leider hat die CFL letztes Jahr beim Bau der neuen Eisenbahnbrücke über die Sauer nicht die Gelegenheit ergriffen, daneben eine Radpassage anzulegen. Dabei wird die Bevölkerung von Erpeldingen stark wachsen, und das Nordstad-Lycée wird hier entstehen16.
Die neue Patton-Brücke
Das Ettelbrücker Bahnhofsprojekt führt dazu, dass jeglicher Individual-, öffentlicher sowie Fuß- und Radverkehr zur ‚zentralen Achse‘ weiterhin über den östlichen Bogen der Patton-Brücke erfolgt. Da der im Jahre 1952 errichtete Viadukt zu schmal ist, um den verschiedenen Transportmitteln getrennte Bereiche zur Verfügung zu stellen, wird er abgerissen und durch einen breiteren, höher gelegenen Neubau ersetzt. Dieses Vorhaben ist damit ein weiterer kulturhistorischer Kollateralschaden des Bahnhofsprojektes. Hätte man dem Fuß- und Radverkehr die oben erwähnte, kürzere, ebene und angenehmere Direktverbindung vom Bahnhof zum Erpeldinger Dreieck angeboten, die neue Brücke wäre kaum notwendig gewesen. Umso mehr als kein Systementscheid vorliegt und neben Buskorridoren munter weiter in die Eisenbahn investiert wird.
Urbanität am Busbahnhof
Der neue Busbahnhof stellt einen Fortschritt zum jetzigen auf zwei Orte verteilten Betrieb dar. Die Lage jedoch ist wenig optimal, da die Entfernung des Standorts zur Stadtmitte zunimmt. Der Zentralität wegen wäre er besser an der stadtzugewandten Seite des Bahnhofs angelegt worden.17 Der autoverkehrsfreie Bereich am Bahnhof wurde weder mit dem Zentrum noch über die erwähnte Gleisunterführung mit dem Umland verbunden. Hätte man sich redlich um die Schmälerung der räumlichen Insellage bemüht, das Bahnhofsviertel hätte tatsächlich zur „urbanen Drehscheibe“18 werden können. So verbleibt der von stark befahrenen Straßen abgeschnürte Raum weitgehend isoliert. Auch ist fraglich, ob die Errichtung einer Jugendherberge das gewünschte Szenario einer attraktiven, lebendigen Begegnungszone schafft. Der Blickfänger der Bauerestuff wird es wahrlich nicht leicht haben, nach Abriss des alten Bahnhofs neben fünf- bis achtstöckigen, funktionellen Neubauten dem Platz eine gewisse Identität zu bewahren.
Die Planungskultur
Die Beteiligung oder zumindest die Konsultation der Öffentlichkeit steht erst seit kurzem auf der Tagesordnung einer traditionell eher verordnenden Art und Weise der Planung in Luxemburg. Die Nordstad spielte eine Vorreiterrolle, als mit Vertretern der Zivilgesellschaft in dem zwei Jahre dauernden partizipativen Prozess Szenarien und Leitkonzepte gemeinsam formuliert wurden. Dabei blieb die Balance zwischen staatlicher Lenkung und regionaler Selbstorganisation ein delikater Akt: Eine Planung von oben herab steht einem ausgeprägten Eigensinn des lokalen Milieus gegenüber19, den manche besonders der Nordregion zuschreiben. Ob nun der partizipative Ansatz eher eine Art hastiger Versuch war, Versäumtes zu kompensieren, wie Stadtforscher Markus Hesse meint20, in der Nordstad jedenfalls wurde der Prozess der Einbindung von Beteiligten als überaus konstruktiv erlebt und führte letztlich zum Erfolg. Bemerkenswert ist der Umstand, dass es staatliche Instanzen waren, die den Prozess zuerst anfeuerten und später abblockten. Der eher untergeordnete, um nicht zu sagen technische Aspekt der Wahl des Nahverkehrssystems genügte, um die positive Dynamik so stark zu torpedieren, dass der Elan kollabierte. Hesse spricht von singulären Widerständen – die es prinzipiell immer gibt –, die aber in Luxemburg größenbedingt überproportionale Wirkung entfalten können. Das Ergebnis heißt dann Bewahrung des Status quo und Sicherung der daran gekoppelten Individualinteressen und nicht Aufbruch zu neuen Ufern.21 Die anschließende Ernüchterung führte zurück zu alten Planungsmustern, die von oben herab und ohne Blick für das Kontinuum einer Leitplanung sich mit „endgültigen Problemlösungen“ beschäftigten. Das dann beschlossene Bahnhofsprojekt beanspruchte „einen Grad von allgemeiner Akzeptanz, der kaum noch Widerspruch zulässt“22.
Das Megaprojekt der ‚zentralen Achse‘ hatte zweifellos hohe Erwartungen geweckt. Die damals in eine Rezession gleitende Wirtschaft sowie die Erwartung, dass neue Arbeitskräfte sich schwerlich in der Nordstad einfinden würden, schraubten in den Folgejahren die Erwartungen herab. Doch der politische Wille, die Siedlungsentwicklung der Hauptorte zu stärken, und das hohe Bevölkerungswachstum machen aus der Urbanisierung des nahe an der gewachsenen Siedlungsstruktur gelegenen westlichen Teils der ‚zentralen Achse‘ an der Flussmündung eine Notwendigkeit. Die Gelegenheit wurde nicht ergriffen und das Areal wurde seither zu einer regelrechten Tabuzone. So verliert die im letzten Jahr vorgestellte „Stadtvision Ettelbrück 2030“, auch „Masterplan für die Stadt“23 genannt, keine Silbe über das Areal. Dafür wird ein Sammelsurium an Annehmlichkeiten wie Urban Gardening-Flächen, eine einheitliche, aufeinander abgestimmte Stadtmöblierung und ein neuer Look für Bushaltestellen vorgestellt. Auf Nordstad-Ebene liegt ein neues, mit dem Kürzel „2.0“ versehenes Konzept der ‚zentralen Achse‘ vor, das gleich zu Anfang Farbe bekennt: „Das betrachtete Plangebiet bezieht sich nicht auf den kompletten Bereich des ZAN 1.0, sondern bezieht sich auf das Areal zwischen Cactus Ingeldorf und dem Bahnhof Diekirch.“24 Nun denn, die CFL-Grundstücke bleiben unantastbar. Eine Nordstad-Strategie zu haben, sieht anders aus.
Es hatte etwas von einem Déjà-vu, als man im April 2019 lesen konnte: „Auf der Industriebrache Esch-Schifflingen herrscht Euphorie. Im Urbanistenwettbewerb, bei dem in Planungswerkstätten auf Bürgerbeteiligung gesetzt wurde, ist unter den vier internationalen Planungsteams ein Gewinnerprojekt für den Masterplan Quartier Alzette ermittelt worden. Zukünftig wird Wohnen im Grünen möglichst autofrei stattfinden und vom Wasser umgeben sein, gar ein Strand an der renaturierten Alzette wird erwogen.“25 Man wünsche viel Erfolg!
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