Von Autostickern wie „Baby an Bord“ über Baby Shower Parties bis hin zur Präsentation von Schwangerschafts- und Babyfotos auf den sozialen Plattformen – Elternschaft scheint in der öffentlichen Wahrnehmung meist als glückliches Ereignis angesehen zu werden.
Diese positive Grundhaltung wurde 2015 jedoch durch eine Debatte getrübt, die unter dem Hashtag ‚regrettingmotherhood‘ für Aufsehen sorgte. Auch die zunehmende Enttabuisierung der weit verbreiteten postpartalen Depression sowie die wieder aufkeimende Antinatalismus-Haltung im Zuge der Klimabewegung konterkarieren die Wahrnehmung des Kindes als Glücksgaranten.
Man kann sich nun also durchaus fragen, inwiefern Kinder nicht nur zu günstigeren Steuerklassen und höheren Renten führen, sondern tatsächlich auch zu einem Zuwachs an subjektiv empfundenem Glück. Könnte es nicht auch sein, dass das Bild der glücklichen Familie eher ein soziales Konstrukt, der Kindersegen eher ein Kinderfluch ist – und dies unabhängig von der real empfundenen Liebe zum eigenen Kind? Wissenschaftliche Studien liefern tatsächlich nur sehr wenig Hinweise für die Kindersegen-Theorie.
Zunächst einmal kann man davon ausgehen, dass ein neues Familienmitglied Stress bedeutet. Auf der ‚Social Readjustment Scala‘, welche den durch Lebenskrisen bedingten psychischen Stress misst und der Schwere nach klassiert, steht Familienzuwachs auf Platz 15 von 43, noch vor dem Tod eines nahen Freundes und vor Veränderungen der finanziellen Situation.
Betrachtet man das Glücksempfinden unter einer zeitlichen Perspektive, stellt sich in einer Studie von 2015 mit 2.016 Teilnehmer*innen heraus, dass mehr als 70% der Eltern nach der Geburt des ersten Kindes angeben, unglücklicher zu sein als vor der Geburt. Im Schnitt sind Mütter wie Väter im ersten Jahr ihrer Elternschaft um 1,4 Einheiten weniger glücklich als während der zwei Jahre davor. Über ein Drittel empfindet sogar ein Minus von zwei oder mehr Glückseinheiten. Im Vergleich: Arbeitslosigkeit oder der Tod des Partners ‚kostet‘ eine Einheit auf der Glücksskala, Scheidung sogar nur 0,6. Die Wahrscheinlichkeit unter einem Verlust an Lebenszufriedenheit zu leiden, trifft junge Mütter, vor allem jene mit wenig Bildung und Einkommen, besonders hart.1
Des Weiteren zeigt sich, dass die Belastungssymptome im Verlauf der Mutterschaft eher zu- als abnehmen. Das durch die Geburt des Kindes signifikante Absinken des mentalen Wohlbefindens bei Frauen wirkt sich so noch bis zu sieben Jahre nach der Geburt aus. Nur 19% der Mütter erfahren in diesem Zeitraum eine substanzielle Verbesserung ihres Wohlergehens. Allerdings geben auch kinderlose Frauen in diesem Zeitfenster ein Schwinden ihrer Zufriedenheit an, dieses fällt jedoch moderater aus als das von Müttern.2
Für die Mehrheit der Eltern scheint die Partnerschaft in dieser Situation kein Quell an neuen psychischen Ressourcen und positivem Empfinden zu sein. Auch in diesem Bereich sinkt nämlich die Zufriedenheit für beide Partner, insbesondere jedoch wiederum für Frauen, und vor allem solange die Kinder jünger als zwei Jahre sind. Nur 38% der Mütter mit Kleinkindern geben eine überdurchschnittliche Zufriedenheit in der Partnerschaft an, bei den Frauen ohne Kinder sind es 62%. Die Unzufriedenheit steigt außerdem mit der Anzahl der Kinder.3 Die Hauptfaktoren der Unzufriedenheit sind Erschöpfung und soziale Isolation, wie eine australische Studie über den physischen, psychischen und sozialen Preis von Elternschaft ergab.4
Zu der Frage, ob sie die Elternschaft bereuen, antworten unter 1.228 Eltern 19% der Mütter und 20% der Väter, dass „sie heute keine Kinder mehr bekommen würden, wenn sie sich nochmal entscheiden könnten“.5
Betrachtet man die regionalen Unterschiede, so zeigt eine Analyse zwischen 86 Ländern, dass Eltern in einem sozialdemokratisch regierten Land glücklicher sind als solche in konservativ oder liberalen politischen Systemen. Nach dieser Studie sind Eltern in Tansania, El Salvador und Venezuela am glücklichsten. Die unglücklichsten Eltern finden sich in Moldawien, Weißrussland und Albanien. Luxemburg befindet sich mit Platz 17 im ersten Fünftel der Rangliste. Auch in dieser Studie bestätigt sich erneut die weltweite Korrelation von Elternschaft mit Unzufriedenheit.6
Und wie sieht die Situation im Alter aus? Stimmt das vermeintliche Klischee der verbitterten und einsamen kinderlosen älteren Personen? Keineswegs, sagt die Wissenschaft. Kinderlose ältere Menschen sind nicht depressiver, einsamer oder subjektiv unzufriedener als Eltern. Falls sie einen Partner haben, sind sie nur sehr bedingt weniger sozial integriert als in Partnerschaft lebende ältere Menschen mit Kindern. Sehr interessant ist dann auch das Ergebnis, dass kinderlose ältere Menschen sich sogar glücklicher fühlen als Eltern, die mit ihrem erwachsenen Kind zusammenleben.7
Und genau hier befindet sich der Dreh- und Angelpunkt der Frage, ob Kinder wirklich das größte Glück für ihre Eltern bedeuten. Die Antwort lautet: Ja – und zwar ab dem Moment, in dem sie ausziehen! Laut einer Studie, bei der über Fünfzigjährige in 16 europäischen Ländern befragt wurden, ergibt sich die stärkste positive Korrelation zwischen Kindern und elterlicher Zufriedenheit durch die Kinder, die nicht mehr zuhause leben. Je mehr Kinder noch zuhause wohnen, desto größer die Unzufriedenheit. Diese Studie hat auch aufgezeigt, dass soziale Beziehungen, unabhängig von der familiären Situation, den wichtigsten Glücksfaktor im Leben eines Menschen darstellen.8
Kinder ab einem gewissen Alter tragen zweifellos zum Aufbau dieser Beziehungen bei, jedoch sind sie keine notwendige Bedingung dafür – ein Hund, der Lauftreff oder das Ehrenamt können das glücklicherweise auch leisten.
- Rachel Margolis/ Mikko Myrskylä, „Parental Well-being Surrounding First Birth as a Determinant of Further Parity Progression“, in: Demography 52 (2015), 4, S. 1147-1166.
- Marco Giesselmann, „Mutterschaft geht häufig mit verringertem mentalem Wohlbefinden einher“, in: DIW Wochenbericht (2018), Nr. 35, S. 738-744.
- Jean M. Twenge/ W. Keith Campbell/ Craig. A. Foster, „Parenthood and Marital Satisfaction: A Meta Analytic Review“, in: Journal of Marriage and Family, 65 (2003), 3, S. 574-583.
- Lareen Newman, „How parenthood experiences influence desire for more children in Australia: A qualitative study“, in: Journal of Population Research, 25 (2008), 1, S. 1-27.
- https://yougov.de/news/2016/07/28/ein-funftel-der-deutschen-eltern-bereut-die-eltern/ (Alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 16. Oktober 2019 aufgerufen).
- Rachel Margolis/ Mikko Myrskyla, „A global perspective on happiness and fertility“, in: Population and development review, 37 (2011), 1, S. 29-56.
- Matthias Pollmann-Schult, „Soziale Integration und Lebenszufriedenheit kinderloser Frauen und Männer im mittleren und höheren Erwachsenenalter“, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 44 (2011), 6, S. 411-416.
- https://journals.plos.org/plosone/article/file?id=10.1371/journal.pone.0218704&type=printable
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